Warum brennen Sie für das Thema Diversity – was war der Auslöser?
NINA STRASSNER: Eigentlich hatte ich in der Schule und im Studium nicht das Gefühl, einer Diversity-Dimension anzugehören. Dass allein das ein großes Privileg ist, wurde mir erst viel später klar. Aber Mutter zu werden, das war ein echter Wendepunkt. Denn Frauen bekommen ja nicht einfach nur Kinder, sie bekommen ein bestimmtes Mutterbild dazu, und obendrauf noch unzählige Erwartungen.
Wie haben Sie das konkret erlebt?
N.S.: Ich bin zur gleichen Zeit in die Familiengründung und in den Beruf gestartet. Da wurde mir schlagartig klar, wie sehr unsere Arbeitswelt männlich geprägt ist. Vereinbarkeit war in Großkanzleien nicht vorgesehen. Aber damit war ich ja nicht allein. Also habe ich versucht, etwas zu verändern. Mit Jura beziehungsweise Arbeitsrecht verfüge ich über ein Handwerk, das anderen hilft, und deshalb war die Kolumne „Die Juramama“ für die Zeitschrift Brigitte eine echte Dienstleistung für meine Peer-Group. Und auf beruflicher Ebene habe ich mit meinem Mann gemeinsam eine eigene Kanzlei aufgebaut.
Das hört sich doch nach einer tollen Lösung an. Ende der Geschichte?
Von wegen. Obwohl wir uns ja im Kern und im Ziel einig waren, stießen wir immer wieder an unsere Grenzen. Der Weg von Eltern ist von so viel äußerer Struktur geprägt, da entstehen zwangsläufig Konflikte.
Als ich dann meinen Job bei SAP in Waldorf antrat, gab es den maximalen Kulturschock – für mich, für uns und unser Umfeld.
Erzählen Sie mehr…
Ich war vier Tage in der Woche unterwegs. Zum einen habe ich gemerkt, wie viel ich weit weg von der Familie für den Beruf schaffen konnte, das fühlte sich – ganz ehrlich – richtig gut an. Und auch hier habe ich wieder gesehen, wie privilegiert das männliche Geschlecht ist. Denn mein Mann bekam plötzlich an allen Enden Unterstützung angeboten – sogar warmes Essen wurde ihm an die Tür gehängt. Uns hat das wirklich nachdenklich gemacht, denn was ist das für ein Vaterbild – wo bleibt hier das Zutrauen, dass er das genauso kann?
Am eindrücklichsten fand ich aber die ewige Frage an mich: „Und, wie macht ihr das dann mit den Kindern?“ Umgekehrt wurde die meinem Mann nie gestellt, als er viel reiste. Und die fast immer anschließende Bemerkung: „Ich könnte das ja nicht.“ Das macht was mit dir.
Sie beschäftigen sich beruflich mit Diversity – welche Vielfaltsdimensionen sind Ihnen inzwischen vielleicht wichtiger geworden?
Es ist keine spezielle Dimension, die mir wichtiger ist. Ich sehe aber inzwischen deutlicher die Privilegien, die ein Leben bestimmen und Menschen prägen. Wer beispielsweise in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen ist, hat dabei schon viel Energie verloren. Wenn man sich Vielfaltsmanagement so nähert, also sich bewusst macht, was Mitarbeitende bereits mitgebracht haben, dann lässt sich hier ansetzen. Ich muss mich nicht dafür entschuldigen, dass ich eine weiße Hautfarbe habe und finanziell gesichert aufgewachsen bin – das verlangt auch niemand – aber ich kann die Energie, die ich damit kostenlos geschenkt bekommen habe, für andere einsetzen.
Warum sollten Unternehmen und Führungskräfte Vielfalt ernst nehmen?
Vielfalt ist ein Fakt. Dass diverse Teams Innovationen voranbringen, ist inzwischen bekannt. Aber die Mitarbeitenden geben ihre Wechseljahre ebenso wenig am Eingang ab wie ein 25-Jähriger seinen Liebeskummer. Unternehmen sollten das stärker wahrnehmen.
Es geht um ein menschenzentriertes Bild von Führung. Wenn die Führungskräfte wissen, was die Leute im Team beschäftigt, können sie damit arbeiten. Aus meiner Sicht funktioniert Diversity-Management wie die Tischordnung auf einer Familienfeier. Wer passt zusammen, wer bringt welche Stärken und welche Eigenheiten mit? Bei den Herausforderungen, die auf unsere Gesellschaft zukommen, wird uns gar nichts anderes übrigbleiben, als uns in Vielfalt und Solidarität zu üben.
Sie sind Global Head of People Initiatives bei SAP SE. Wie zahlt das auf Diversity bei SAP ein?
Wir können Strategien in echte Maßnahmen entwickeln und diese arbeitsrechtlich umsetzen. Bei uns geht es darum, die Trigger für ein Gefühl von „Wir finden statt“ zu finden. Arbeit soll sich für die Beschäftigten als Teil des Lebens anfühlen. Das sieht aber in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich aus, auch wenn die Ausgangsidee identisch ist. Während es in Kanada etwa um Gehaltstransparenz geht, stoßen wir in Polen vielleicht Initiativen für die LGBTQ+-Community an und in Japan Co-Leadership-Modelle.
Diese Arbeit ist keine Träumerei oder Konfetti, sondern knallhart. Sie erfordert starkes prozessuales Wissen, ein klares Legal Framework und die Kenntnis davon, viel Kommunikation statt Laberei und Stakeholder Management. Damit stärken wir Diversity.
Seit diesem Jahr sind Sie auch Vorständin der „Charta der Vielfalt“. Was kann diese Organisation tatsächlich bewirken? Kritische Stimmen sagen, viele Unternehmen leisten nur eine Unterschrift, aber dann passiert häufig nicht mehr viel…
Unser Ziel ist es, eine Gesellschaft zu erhalten und zu stärken, die aufeinander achtgibt. Wir sind ein Bündnis von Arbeitgebenden, das auch politisch zur ersten Diversity-Anlaufstelle werden könnte – denn wir haben beispielsweise die Kontakte für konkrete Umfragen und das Wissen der Unternehmen. Diversity ist in den Organisationen angekommen. Die Firmen sind dabei unterschiedlich weit.
Eine Mitgliedschaft bei uns ist kein Selbstläufer. Die Unternehmen müssen eben nicht nur Geld, sondern auch Mitarbeit auf den Tisch legen. Und sie gehen Verpflichtungen ein, etwa in puncto Transparenz. Aber auch die 5.000 Unterzeichnenden der Charta leisten nicht „nur“ eine Unterschrift. Für viele ist das ein erster Schritt – und intern ein sehr wichtiges Signal, sich dem Thema zu stellen.
Nehmen Sie eine „Diversity Fatigue“ in den Unternehmen wahr?
Die Aussage „Da gibt es aber Wichtigeres“ gab es schon immer. Und sicher nutzen viele Organisationen Diversity auch als Möglichkeit, ihr Marketing aufzuhübschen. Wir kommen aus den genannten Gründen nicht drumherum, diese wichtige Arbeit in den Unternehmen zu machen. Was mich richtig aufregt, ist so ein Satz wie „Das wird sich mit der Zeit von selbst erledigen.“ Von selbst passiert gar nichts.
Man mag beunruhigt sein über die Grabenkämpfe, die es gesellschaftlich und auch in den Organisationen teilweise gibt. Ich glaube daran, dass der Mensch im Grunde gut ist. Und solange wir noch kämpfen, haben wir noch etwas zu verlieren.
Nina Straßner sitzt seit Mai 2024 im Aufsichtsrat von SAP, sie ist Fachanwältin für Arbeitsrecht, Global Head of Peoples Initiatives bei SAP SE und Vorständin bei der Charta der Vielfalt.