Sie sind die einzige weibliche Spitzenkandidatin in diesem Wahlkampf. Im ORF Sommergespräch haben Sie allerdings die Frauenkarte nicht gezogen. Warum eigentlich?
Beate Meinl-Reisinger: Warum denn schon? Ich mache Politik für alle, die an ein liberales, starkes, sicheres, europäisches Österreich glauben. Für alle, die sich aus eigener Kraft ein selbstbestimmtes Leben aufbauen möchten, die überzeugt davon sind, dass wieder zählen muss, was man kann, nicht, wen man kennt. Und die uns NEOS als die einzige unverbrauchte Reformkraft dabei unterstützen möchten, Österreich wieder an die Spitze zu bringen.
Ist Österreich überhaupt reif für eine Bundeskanzlerin? Brauchen wir auch einen „Yes-We Can“-Moment?
Auch hier sehe ich nicht in erster Linie eine Geschlechterfrage. Im Gegensatz zu den USA sind die Nationalratswahlen auch keine Persönlichkeitswahlen – wiewohl der oder die Spitzenkandidat:in natürlich für viele Wähler:innen ein entscheidendes Wahlmotiv ist. Ich repräsentiere das NEOS-Programm – ein Reform-Programm, das ich in einer nächsten Regierung mit Mut und Energie umsetzen möchte.
Eine der großen Forderungen von NEOS ist Demokratie-Unterricht in der Schule. Schon Heide Schmidt hatte sich damals mit ihrem LIF mit einer ähnlichen Forderung – nämlich Ethik-Unterricht – ordentlich in die Nesseln gesetzt. Warum ist das Thema bei den Wähler:innen so schwer zu erklären und durchzubringen?
Generell ist es das Bohren harter Bretter, wenn man das Bildungssystem reformieren möchte. In kaum einem anderen Bereich sind die Strukturen so festgefahren. Die letzte Bildungsreform war 1962 – seitdem ist alles beim Alten geblieben. Und das ist schlecht. Unser Versprechen: Kein „weiter wie bisher“. Ein Schulfach „Leben in einer Demokratie“ ist im Hinblick auf Integration und Wertevermittlung essenziell.
In den „Sommergesprächen“ konkretisierten Sie drei Punkte: Unsere Werte halten, Deutsch lernen, und dass Menschen arbeiten und ihre Steuern hier bezahlen – wie wollen sie sich hier von den Forderungen der FPÖ unterscheiden?
Die FPÖ hetzt, handelt aber nicht. Was hat der damalige Innenminister Kickl weitergebracht? Wo NEOS regieren, liefern wir auch. Christoph Wiederkehr hat etwa die Sommerdeutschkurse massiv ausgebaut und für mehr Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an Schulen gesorgt. Erst Ende August hat er ein großes Unterstützungspaket präsentiert, bei dem 400 neue Kräfte an die Wiener Pflichtschulen kommen. Wir NEOS sehen Bildung als den Schlüssel für eine gelungene Integration. Außerdem pochen wir auf eine faire Verteilung auf die Bundesländer samt Wohnsitzauflage.
Die NEOS-Chefin wünscht sich eine bessere Balance in der Sozialpolitik: „Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein“.
Warum ist es so schwer (geworden?), Werte zuvermitteln? Auch die ÖVP hat sich ja mit einem Versuch eines Wertekanons eher blamiert als positiven Eindruck zu vermitteln.
Wir müssen daher möglichst früh damit beginnen – eben, wie wir NEOS fordern, bereits in der Schule.
Die Inflation/Verteuerung steht gleich auf Platz zwei, der Themen, die die Bevölkerung beschäftigen. Eines Ihrer Angebote ist es, einerseits die Energiepreise zu regulieren, aber andererseits würden Preiseingriffe bei Lebensmitteln nicht infrage kommen. Ist das nicht ein Widerspruch? Und warum diese Priorisierung?
Nein. Es geht hier auch nicht um staatliche Eingriffe oder Regulierungen, sondern der Staat muss als Eigentümer der Energiekonzerne – im Gegensatz zu Supermärkten – seiner Verantwortung nachkommen.

spricht, auf konsequentes Handeln und eine klare Abgrenzung zur FPÖ.
Generell scheint das Thema Wirtschaft – Ankurbelung der Leistungsbereitschaft, der Innovations- und Handelskraft – schwer bei den Wähler:innen anzubringen zu sein. Gleichzeitig wissen diese aber, spüren intuitiv, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher. Wie kommt man aus diesem Dilemma – wenn man einerseits gewählt werden, andererseits den Wähler:innen nicht ‚Honig ums Maul‘ schmieren will?
Man muss ehrlich zu den Menschen sein. Man muss ihnen sagen, dass die Politik für ordentliche Rahmenbedingungen sorgen muss, wie eben für die beste Bildung, dass die Politik aber auch nicht alles regeln wird. Jede und jeder muss ihren und seinen Beitrag leisten. Und ja, dafür müssen die Menschen der Politik auch wieder vertrauen, dass sie für die Leute und nicht für sich selbst arbeitet – ein Vertrauen, das in den letzten Jahren unter mut- und kraftlosen Regierungen aus ÖVP, SPÖ, FPÖ und Grünen stark gelitten hat. Und natürlich muss sich Leistung auszahlen. Daher wollen wir NEOS auch eine Senkung der Lohn- und Einkommenssteuer auf unter 40 Prozent, steuerliche Begünstigungen für Über
stunden und einen Vollzeitbonus.
Sie wenden sich mit Ihren Forderungen und Ideen sehr explizit an die Jungen. Anderes Ende der Gesellschaft – die „Alten“: Warum fordern Sie eigentlich keine Pensionsreform?
Da muss ich vehement widersprechen. Wir sind die Einzigen, die seit Jahren eine um fassende Pensionsreform nach schwedischem Modell fordern, weil wir wollen, dass auch die Jungen in 30, 40 Jahren eine ordentliche Pension bekommen. Dabei kann man den Pensionsantritt frei wählen – je länger man arbeitet, desto höher ist die Pension. Die Gutschriften auf dem Pensionskonto werden nach der Logik der Versicherungsmathematik auf die statistische Restlebenserwartung verteilt. Wer früh ins Berufsleben eingestiegen ist, kann sich einen frühen Pensionsantritt leichter leisten. Das schafft die nötigen Anreize für eine insgesamt längere Erwerbstätigkeit. Und gibt uns im Budget endlich den Spielraum, den wir für die so dringende finanzielle Entlastung der Menschen und für die wichtigen Investitionen in die Zukunft brauchen.
Kritiker werfen NEOS gern vor, zu wenig klare Positionen in der Sozialpolitik (abseits von Bildung) zu haben. Wie reagieren Sie auf diese Kritik, und welche sozialen Reformen stehen für Ihre Partei im Vordergrund?
Unsere Position ist sehr klar: Die, die einen Beitrag leisten können, sollen das tun, da mit denen, die es nicht können, wieder auf die Beine geholfen werden kann. Im Endeffekt geht es hier immer um eine gute Balance zwischen Beitragszahler:innen auf der einen Seite und den Leistungen auf der anderen. Damit diese Balance funktioniert, muss sich Leistung lohnen, wer arbeitet geht, darf nicht der Dumme sein. Und wir müssen das Pensionssystem dringend reformieren, damit sich die steigende Lebenserwartung auch im Erwerbsleben abbildet.
Zum Schluss doch noch eine Frage aus dem Bereich der Frauenpolitik: Was kann und muss getan werden, damit die wirtschaftliche Gleichstellung der Frauen endlich rascher vorangetrieben wird?
Ein ganz großer Baustein – und ja, dafür setzen wir NEOS uns schon seit Jahren ein – ist der flächendeckende Ausbau der Kinderbetreuung, damit beide Elternteile die Möglichkeit haben, Vollzeit arbeiten zu gehen. Hier gab es massive Versäumnisse in den vergangenen Jahrzehnten – weshalb wir Ländern wie Dänemark auch 30 Jahre hinterher-hinken.
Text: Michaela Ernst & Kristin Hanusch-Linser