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Von Erfolg gekrönt – Annemarie Börlind-CEO Alicia Lindner im Interview

Seit rund fünf Jahren führt Alicia Lindner die Kosmetikmarke Annemarie Börlind in dritter Generation. Im Interview spricht sie über Herausforderungen, Zukunftspläne und warum ihr Naturschutz und echter Impact wichtiger ist als schicke Headlines.

Die Sonne ist gerade erst über dem Schwarzwald aufgegangen, als Alicia Lindner mit Schwung die Tür zum Konferenzraum ihres Firmensitzes in der schmucken Kleinstadt Calw öffnet. Obwohl sie seit Stunden wach ist und die morgendliche Choreografie, die jede Mutter kennt, bereits hinter sich hat, wirkt sie so ausgeruht und fokussiert, als hätte sie die vergangenen Stunden in einem Spa verbracht.

„Wir können gleich mit der Produktion beginnen. Ich muss nur kurz meine Gang begrüßen“, ruft sie und läuft mit schnellen Schritten wieder davon. Mit „Gang“ meint die Annemarie Börlind-Geschäftsführerin ihre mehr als 200 Mitarbeitenden, für die sie mit ihrem Bruder Nicolas Lindner die Verantwortung trägt.

„Ich vergleiche uns mit einem Baum, den man mal stutzen muss, damit er umso gesünder austreibt.“

Was in den 50er-Jahren als kleines Familienunternehmen begann, ist heute nicht nur einer der größten Arbeitgeber in der Region, sondern auch eine der erfolgreichsten Naturkosmetikmarken in Deutschland. Sieben Millionen Tiegel, Tuben und Flaschen werden jährlich in der hauseigenen Produktion abgefüllt, verpackt und anschließend in die ganze Welt versand. Der Umsatz? Ein zweistelliger Millionenbetrag. Einen großen Teil davon reinvestiert das Unternehmen, das seit 2012 das CSE-Siegel für geprüfte nachhaltige Firmen tragen darf, in die Forschung, Entwicklung und den Schutz der Natur. Im Interview erklärt Alicia Lindner, warum sie sich nicht mit jeder Auszeichnung schmücken möchte und mit welcher Strategie sie ihr Unternehmen durch die turbulenten Zeiten bringt.

Alicia Lindner in ihrer Firmenzentrale im Schwarzwald – die ihr Vater, ein passionierter Sammler, mit eindrucksvoller Kunst ausgestattet hat

Frau Lindner, Sie sind die Chefin einer Naturkosmetikmarke und haben kürzlich eine Finalisten-Auszeichnung des Deutschen Nachhaltigkeitspreises abgelehnt. Wie passt das zusammen?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen war die Preisvergabe in der Vergangenheit für mich nicht auf gemeinsames Besserwerden ausgelegt. Wir haben über viele Jahre teilgenommen und haben nie erfahren, wo wir uns noch optimieren müssen. Es gibt keine Erklärungen, weshalb jemand gewinnt. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es für mich aber entscheidend, dass Best Practices mit allen geteilt werden. So wüsste man als Marke, woran aus Sicht der Expert*innen noch gearbeitet werden muss. Nur so wachsen wir als Gesellschaft. Darüber hinaus ist die Jury-Bewertung für mich ausbaufähig, was die Transparenz betrifft.

Was heißt das konkret?

Es gibt zwei verschiedene Ratings. Das erste ist ein sehr langer und aufwendiger, faktenbasierter Screening-Prozess, in dem man viele verschiedene Unternehmensdaten offenlegt. Die großen Firmen haben die Zahlen und Informationen aufgrund der Berichtspflicht in der Schublade. Kleine Unternehmen beschäftigt das Zusammentragen viele Wochen. Man muss zum Beispiel zeigen, wie man energie-effizient produziert, CO2-Emissionen reduziert und die Biodiversität schützt.

Eigentlich ein gutes Zeichen…

Absolut. Allerdings bekommt das Abschneiden im quantitativen Rating keine eigene Gewichtung. Die Jury kann es berücksichtigen – kann aber auch frei davon entscheiden. In der Vergangenheit haben auch Unternehmen gewonnen, die laut objektivem Ranking nicht unter den Top 3 waren. Es geht mir nicht darum, den Preis kategorisch zu canceln. Ich bin auch keine schlechte Verliererin. Im Gegenteil: Es spornt mich an, wenn ich weiß, was ich beim nächsten Mal besser machen muss. Es braucht einen Preis für Unternehmen, die die Sache sehr ernst nehmen. Diese Auszeichnung muss aber nachvollziehbar und transparent sein. Ich habe mein Feedback auch mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis geteilt und hoffe, dass sich davon etwas verfängt.

Mehr Transparenz fordern auch Verbraucherschützer*innen. Eine Studie des Öko-Instituts fand heraus, dass es vielen Konsument*innen immer schwerer fällt, Labels wie „klimaneutral“ und „nachhaltig“ auf Produkten richtig einzuordnen und zwischen glaubwürdigen und weniger belastbaren Aussagen zu unterscheiden. Was läuft da schief?

Greenwashing ist seit Jahren ein großes Problem, und es hat sich leider nicht viel geändert. Viele Unternehmen schauen auf den Umweltschutz immer noch durch eine Marketingbrille. Das heißt: Sie überlegen, welche Story man gut inszenieren und bewerben kann. Um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, müssten wir alle aber Energie und Geld in Themen investieren, die sich nicht sexy vermarkten lassen, dafür aber einen echten Impact haben.

Welche wären das?

Ein großer Hebel ist die Müllvermeidung in der Produktion. Das ist anstrengend, weil man die ganze Lieferkette durchleuchten und mit Business-­ Partner*innen verhandeln muss. Auch die Anlieferung von Packmitteln und die Versendung der Ware an den Handel geht nachhaltiger und mit weniger Verpackungsmüll. Das bringt aber nicht so schicke Headlines wie der Schutz der Fledermaus. Nicht falsch verstehen: jedes bisschen hilft. Aber Unternehmen müssen endlich ehrlich bewerten, wo sie wirklich etwas reißen können. Auch große Investments, etwa in die Produktion von eigenem Sonnenstrom, rechnen sich erst nach Jahren. Wir kämpfen uns gerade durch den Fördergelddschungel. Aber es lohnt sich – wenn man es ernst meint mit der Nachhaltigkeit.

Nachhaltige Maßnahmen sind oft mit hohen Kosten verbunden. Gleichzeitig ist die Marge in der Naturkosmetikbranche vergleichsweise gering, und Sie bieten Ihre Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen an. Wie geht diese Rechnung auf?

Natürlich sind unsere Produktionskosten deutlich höher als bei Marken, die konventionelle Kosmetik herstellen. Das liegt vor allem an unseren Inhaltsstoffen. Statt günstigem Silikonöl, das bestenfalls gar nichts auf der Haut macht, verwenden wir als Grundlage für unsere Cremes hochwertige, natürliche Öle und verschiedene Wirkstoffe, die sich gegenseitig potenzieren. Die sind teurer, aber eben auch besser. Unsere Endverbraucherin ist im Schnitt 45 Jahre alt. Sie möchte nicht die neueste Schneckenschleimmaske ausprobieren oder sich jeden Monat einen Lippenstift in der Trendfarbe kaufen, sondern sucht nach natürlichen Produkten mit einer wissenschaftlich bestätigten Wirksamkeit. Wenn sie das von uns bekommt, bleibt sie der Marke treu. Diese Loyalität und das Vertrauen, oftmals über Generationen hinweg, sind am Ende unsere wichtigste Währung.

Rolemodel: Alicia Lindner ist CEO und Mutter. Um anderen Frauen zu zeigen, dass das möglich ist, nimmt sie ihre Kinder oft mit zu Terminen und nutzt auch schon einmal einen Konferenztisch zum Wickeln

Neben Deutschland und Asien sind die USA einer Ihrer wichtigsten Absatzmärkte. Präsident Donald Trump droht immer wieder damit, Waren aus Europa mit Strafzöllen von 25 Prozent zu belegen. Das würde auch Ihr Unternehmen empfindlich treffen…

Ich halte nichts von Panikmache. Trump setzt viele Drohungen in den Raum und beginnt dann erst zu verhandeln. Das ist sein Stil. Ich glaube auch nicht, dass die USA gleichzeitig mit allen wichtigen Partnern – Kanada, Mexiko, China und der EU – einen Handelskrieg anzetteln. Auch sind Zölle oftmals auf einzelne Warengruppen beschränkt. Wenn es aber doch dazu kommt, müssen wir damit leben. Ich akzeptiere die Dinge, die ich nicht ändern kann, und ändere die Dinge, die ich eben nicht akzeptieren kann. Das gilt auch für die aktuelle Lage hier in Deutschland.

Wie meinen Sie das?

Neben den hohen Produktionskosten, einer regelrechten Regulierungswut und vielen bürokratischen Hürden, ist auch der Fachkräftemangel in Deutschland ein riesiges Problem für Unternehmen. Die Wahlergebnisse der AfD bei der Bundestagswahl verschärfen die Lage noch einmal zusätzlich. Gut ausgebildete Fachkräfte verlassen nun möglicherweise Deutschland oder kommen erst gar nicht aus dem Ausland zu uns, weil sie sich nicht willkommen fühlen. Wir arbeiten bei Annemarie Börlind dagegen, indem wir selbst ausbilden und Remote-Work-Modelle anbieten. Aber ich kann langsam jedes Unternehmen verstehen, das sagt: Ich verlasse Deutschland und produziere woanders.

Wäre das auch für Sie eine Option?

Nein. Ich bin hier aufgewachsen und sehr verwurzelt in der Region. Viele unserer Mitarbeitenden kenne ich noch aus dem Kindergarten und der Grundschule. Außerdem ist das Schwarzwälder Tiefenquellwasser ein wichtiger Bestandteil unserer Produkte. Das Wasser ist sehr weich und sauber, weil es noch nie zuvor getrunken und recycelt wurde. Das kann man nicht so einfach ersetzen.

Mit welcher Strategie bringen Sie Ihr Unternehmen dann durch diese turbulenten Zeiten?

Mit dem Vorsichtsprinzip. Es gibt immer wieder verlockende Optionen – neue Vertriebskanäle, lukrative Deals oder neue, teure Maschinen. Wir setzen aber nie alles auf eine Karte. Investitionen oder Vorhaben, die existenzgefährdend für das Unternehmen wären, wenn sie sich nicht auszahlen, vermeiden wir konsequent. Ich bin eine große Verfechterin einer soliden und konservativen Umsatzplanung. Ich rechne nur mit Einnahmen, die sicher sind. Das bedeutet natürlich auch, dass man einige spontane Ideen in absehbarer Zeit nicht umsetzen kann. Ich vergleiche unser Unternehmen in diesen Zeiten mit einem Baum, den man auch einmal zurückschneiden muss, damit er im nächsten Jahr umso gesünder austreiben kann.

Sie sind nicht nur Firmenchefin, sondern auch Mutter. Was bringen Sie Ihren drei Kindern über Geld bei?

Ich bin hin- und hergerissen. Will ich ihnen beibringen, dass man mehr arbeiten muss, wenn man mehr verdienen will als alle anderen? Oder vermittle ich ihnen lieber einen entspannten Umgang mit Geld, ohne Druck und Hustle-Culture? Noch sind meine zwei Töchter und mein Sohn sehr klein. Ich habe also noch ein bisschen Zeit, um zu überlegen. Aktuell sollen sie erst einmal ein Gefühl für den Wert des Geldes bekommen. Wenn wir in die Stadt gehen, bekommen alle zehn Euro von mir. Sie merken dann sehr schnell, dass das nicht für die große Puppe und das leuchtende Springseil reicht. Ich denke, das ist ein guter Anfang.

Work-Fun-Balance: sheconomy- Chefredakteurin Lara Gonschorowski (l.) und Autorin Sinah Hoffmann (r.) besuchten Alicia Linder in ihrem Headquarter in Calw

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