StartBusinessMit nachhaltiger Marketing-Superkraft die (Wirtschafts-)Welt retten

Mit nachhaltiger Marketing-Superkraft die (Wirtschafts-)Welt retten

Neue KPIs, hin zu einer langfristigen Wertschöpfung: Aus Sicht der Expertinnen Birgit Berthold-Kremser und Stefanie Kuhnhen liegen im Marketing Superkräfte für einen notwendigen Paradigmenwechsel, um Unternehmen gerade jetzt zukunftsfähig aufzustellen. Ein Interview übers Verlernen, Superheroes, ein neues Buch und warum Marketing der Schlüssel zur Transformation sein kann.

Nachhaltigkeit und Wachstum – im aktuellen Diskurs wird das nicht immer zusammen gesehen. Kommt Ihr Buch „Superpower Sustainable Marketing“ zu einer ungünstigen Zeit?

Berthold-Kremser: Es gibt keinen ungünstigen Zeitpunkt, vielleicht aber ein jetzt erst recht. Nachhaltigkeit und Wachstum ergänzen einander. Nachhaltigkeit ist weder ein Trendthema noch eine Option, sondern echte unternehmerische Haltung  – nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch ein Muss. Die Weltmärkte und Kundenverhalten bewegen sich in Richtung grüner Technologien/Angebote, und wer hier nicht mitgeht, riskiert langfristig den Anschluss zu verlieren.

Nachhaltigkeit geht nicht mehr weg, sondern stellt die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens. Nachhaltigkeit ist kein Widerspruch zum Gewinn, sondern senkt Kosten, führt zu höheren Effizienzen, neuer Innovation, neuen Qualitäten, steigert so die Reputation und lockt die besten Talente an. Nachhaltigkeitsmarketing ist der oft verkannte, aber einer der wichtigsten Hebel mit hoher Wirkung und Relevanz

Stefanie Kuhnhen: Für mich ist das weniger ein Zeitthema als ein systemisches: Um nachhaltig zu wachsen, müssen wir unsere Märkte und Produkte suffizienter, konsistenter und effizienter gestalten. Daran führt kein Weg vorbei. Je länger wir warten, umso mehr endliche, kostbare Ressourcen werden wir verschwendet haben. Von daher ist der öffentliche Diskurs gerade ein anderer, aber die Unternehmen wissen durchaus, dass sie sich systemisch neu aufstellen müssen und viele sind ja auch schon unterwegs.

Warum sehen Sie die Notwendigkeit für einen Wandel im Marketing – warum sollten CMOs zu CMTOs werden?

Berthold-Kremser: Marketing hat die Kraft, ein Unternehmen von innen heraus zu transformieren. Im Zentrum unserer Philosophie steht die feste Überzeugung, dass Marketing eine entscheidende Kraft besitzt und eine zentrale Rolle dabei spielt, eine nachhaltigere Zukunft zu gestalten. Indem es Wirtschaft und Gesellschaft miteinander verbindet, hält das Marketing den Schlüssel zur treibenden, transformierenden Veränderung in Händen. Marketing ist in der Lage, Lebensstile, Normen und Werte zu verändern. Beispiele: was wir zum Frühstück essen oder warum wir uns mit einem Diamantenring verloben, sind das Resultat starker Markenkampagnen. CMOs können ihre einzigartige Brückenposition nutzen, um eine nachhaltigere Produktion und Konsumgewohnheiten zu beeinflussen. Ein Beispiel sind Choice Architectures: Wo wir nachhaltige Mode oder gesundes Essen im Store platzieren, beeinflusst Angebot und Nachfrage und kann so langfristig zu nachhaltigen Verhaltensänderungen führen.

Sie sprechen von Foot-, Hand-, Brain- und Heartprint als Elemente einer neuen Marketing-Superpower. Was steckt dahinter?

Kuhnhen: Die vier Prints zeigen auf einen Blick, wie wir mit dem, was wir persönlich und im Marketing jeden Tag tun, wirken. Sie verdeutlichen, wie Marketing Teil der Popkultur ist und damit Superkräfte hat, um Wirtschaft und Gesellschaft mit Marketing zu transformieren. Wenn wir diese Kräfte jetzt gezielt einsetzen, agieren wir wie mutige Superheld:innen und werden auf der guten Seite der Geschichte gestanden haben.
Der Footprint hilft uns, wie wir heute schon unsere eigene Lieferkette CO2-optimieren und gerechter machen können. Der Handprint ist unser wahrer Scope 3: Wem schenken wir unsere Marketing-Superpower in der Werbung. Unser wahrer Impact liegt darinnen, den guten Marken eine gute Stimme zu geben. Der Brainprint weist auf unsere kulturelle Wirkung hin: Mit dem, was wir in der Kommunikation feiern, schaffen wir neue Lebensstile. Und der Heartprint hat zum Ziel, das negative Verlustnarrativ aufzulösen und immer mehr Menschen fühlen zu lassen, dass sie selbst wirklich einen Unterschied machen können.

„Measure what matters“

Wie könnte ein New Growth aussehen?

Kuhnhen: Wir müssen zukünftig die drei Facetten der nachhaltigen Marktgestaltung fördern und in unsere Modelle integrieren: Ressourcen-Konsistenz, -Effizienz und –Reduktion sowie die Kauf- und Nutzungsphase und End-of-Life-Phase von Produkten. Nur dann datet sich Marketing auch zusammen mit dem Geschäftsmodell zur Kreislaufwirtschaft und sauberen, gerechteren Lieferkette up. Diesen Modell-Entwurf legen wir mit unserem 4×4 Superpower-Modell vor, direkt und konkret anwendbar. Zumal unsere begleitenden Universitäten dies auch weiter mit Unternehmen verproben würden.
Alternativ steht ja immer noch der Degrowth-Begriff im Raum, ihn halte ich aber für kritisch: Damit Wohlstand gerecht auf der Welt verteilt würde, müssen wir sogar weiter wachsen, da der größte Teil der Welt aktuell so arm ist. Und in kürzester Zeit einen kompletten Kulturwandel zu schaffen, halte ich ebenso für utopisch. Wir sehen ja jetzt schon, wie schwer Veränderung hin zu nachhaltigem Verhalten ist, selbst wenn es besser für mich persönlich ist wie z.B. Bio-Ernährung oder individuelle E-Mobilität im urbanen Raum, der die Städte ruhiger und schadstoffärmer macht. Insofern bin ich überzeugt, dass die Märkte jetzt kurzfristig im Kreislauf gedacht, in Kauf, Nutzung und Entsorgung designed und in neuem Ressourcenumgang gestaltet werden müssen.

Was sollten Marketing-Expert:innen jetzt verlernen, was neu lernen?

Berthold-Kremser: Marketing hat die Superkräfte für den notwendigen Paradigmenwechsel. Es kann Menschen bewegen, ihre Haltungen und Handlungen beeinflussen – und dabei gleichzeitig die Unternehmen zukunftsfähig aufstellen. Nur wenn wir den Mut aufbringen, uns von überholten Denkweisen und den Prinzipien des »Business as usual« zu lösen, können wir die wahre Kraft des Marketings entfesseln. Wenn wir wollen, dass sich die Welt ändert, müssen wir anders handeln und anders führen. Wir müssen lernen KPIs zu schaffen, die wirklich zählen: »Measure what Matters!« Dies erfordert oft eine Veränderung der traditionellen, kurzfristig orientierten Erfolgsmessungen hin zur langfristigen Wertschöpfung und ressourcenschonendem Verhalten. In unserem 4×4 Superpower Modell haben wir erste KPIs erarbeitet und fordern auf diese im Sinne der Systemdenke, kollaborativ weiterzuentwickeln.

Wie lassen sich die UN-Nachhaltigkeitsziele ins Marketing integrieren?

Berthold-Kremser: Die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs) lassen sich durch eine gezielte Neuausrichtung des Marketing-Mix in die Marketingstrategien integrieren. Am besten startet man mit einer gründlichen Analyse der Marketingpraktiken in Bezug auf die einzelnen SDGs. Dazu gehört die Bewertung von Zielgruppen, Produkten, Preisstrategien, Vertriebskanälen, Promotionen, Wachstumsstrategien, Governance, Lieferanten, Teams, Leistungskennzahlen etc. Jeder dieser Aspekte kann entweder zur Förderung oder Behinderung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster beitragen. Nach der Analyse erfolgt die Priorisierung der Handlungsfelder, um gezielte Maßnahmen umzusetzen. Das erfordert aber eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Praktiken und die Bereitschaft zur Veränderung. Durch diese proaktive Anpassung wird Marketing zu einem positiven Veränderungstreiber, der zur Erreichung der SDGs bis 2030 beiträgt.

Wie lassen sich Kund:innen und Entscheider:innen davon überzeugen, geben Sie konkrete Argumentationshilfen?

Kuhnhen: Für Kund:innen muss der persönliche Nutzen zuerst kommen. Die Nachhaltigkeit in den Hintergrund rücken. Für Entscheider:innen muss klar sein, dass Nachhaltigkeit zwar erst kostet, dann aber Effizienz, Reduktion und Talentförderung schafft. Wir sehen bei allen Unternehmen, die ihre Regulatorik aufgesetzt haben, dass sie die gewonnene Transparenz 1. überrascht und sie 2. immer auf der Basis Effizienzen schöpfen. Das zahlt sich nach dem Anfangsinvest mehrfach aus.

Was sind mögliche erste Schritte?

Berthold-Ktemser: Wir haben dazu eine »Strategy for Action« 4×4 Superpower-Ansatz, in – na klar – 4×4 Schritten erarbeitet, die Top-Entscheidern helfen, ihre Marketing-Strategien nachhaltig zu gestalten. Der erste Schritt fokussiert darauf, den eigenen Einflussbereich und bestehende Superkräfte zu erkennen. Mithilfe der Superpower Purpose⁴ Tools wird eine Statusanalyse durchgeführt, um als Brückenbauer:in zwischen Konsum, Produktion, Gesellschaft und Unternehmen zu agieren.

Im zweiten Schritt geht es um den Perspektivenwechsel. Hier stehen Leadership-Prinzipien wie „Measure what Matters“ im Vordergrund, um KPIs und SMART-Ziele zu überdenken. Wichtige Themen sind aber auch der persönliche und unternehmerische Wandel von Ego- zu Eco-Systemen, Kooperationen und inklusive Führung.

Schritt 3 und 4 widmen sich der Entwicklung einer zielgruppenorientierten und authentischen Markenstrategie, die Greenwashing vermeidet und Transparenz schafft. Zudem wird der Marketing-Mix anhand von Leitfragen und neuen KPIs angepasst. Dazu gibt es hier im Sinne der Systemdenke mehr Informationen und die Möglichkeit zur kollaborativen Weiterentwicklung.

Gibt es Erfolgsbeispiele?

Kuhnhen: Viele, ein paar nationale und internationale, in unterschiedlichen Reifegraden: Ecover, Ecosia, Oatly, Tony’s Chocoloney’s, Liquid Death, Impossible, Wild, Allbirds, XO Bikes, Kühne + Nagel, Patagonia, Ben & Jerries, Chipotle, Rügenwalder, Follow Food, Vaude, Tom’s, Viva con Agua, St. Pauli Fußball, Cheeky Panda, u.v.m. Sie alle lösen ein Bedürfnis von Menschen und ein Kategorieproblem gleichzeitig, einige vermarkten sich sehr disruptiv und „merk-würdig“ on top. Sie gewinnen Marktanteile und verändern so Märkte.

Was treibt Sie an, was gab den Anstoß für das Buch? Wie haben Sie zusammengefunden?

Berthold-Kremser: Für mich war Nachhaltigkeit schon immer ein Business-Asset – das habe ich schon früh in dem kleinen Tourismusort, in dem ich aufgewachsen bin, gelernt, aber auch bei meinen beruflichen Stationen wie Siemens, Swarovski und P&C. Marketing kann vom Problem zur Lösung werden. Eigentlich ganz einfach, da wir die Superkräfte dazu schon haben. Ich möchte andere Top-Entscheider auf ihren Einflussbereich aufmerksam machen, den Wissensgap reduzieren und für meine Tochter, die Welt dadurch vielleicht etwas besser machen. We can be heroes.

Kuhnhen: Mich treibt an, dass wir mit dem, was wir im Marketing tun, mit unseren Talenten, jeden Tag etwas schaffen können, das wirklich zählt. Aktuell nutzen wir unser Superpower für die nötige Transformation der Wirtschaft fast gar nicht, weil wir aus dem Dilemma mit dem Wachstum noch nicht rauskommen. Mit dem Buch wollte ich genau dieses Spannungsfeld auflösen. Und als Birgit mich fragte, wusste ich sofort, dass ich das mit einer Kombination mit ihr als CMO viel besser machen kann, als wenn ich das allein aus Agenturerfahrung schreiben würde. So konnten wir mit Franziska zusammen das komplette Marketing-Mix-Modell neu und holistisch aufstellen. Diese Kombination der Perspektiven ist etwas sehr Besonderes.


Mit über zwanzig Jahren Expertise im Bereich nachhaltiges Marketing – auf Unternehmensseite (Birgit Berthold-Kremser, CMO/Sustainability Executive u. a. Siemens, Swarovski, Peek & Cloppenburg) und auf Agenturseite (Stefanie Kuhnhen, Chief Strategy Officer bei Serviceplan und Entwicklerin von „TheGoodLine“) – sowie mit dem Blick der Marketing-Journalistin Franziska Mozart ist das Buch „Superpower Sustainable Marketing – mit neuem Marketing-Modell wachsen“ entstanden. Es erscheint am 13. März bei Haufe.

Fotomaterial@Helena Winger

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