StartBusinessEmotionale Intelligenz: Der Gamechanger im Management

Emotionale Intelligenz: Der Gamechanger im Management

Heidi Stopper coacht Top-Manager:innen. Und das seit der Pandemie nicht zu knapp: Im Gespräch mit Nicole Thurn verrät sie, warum der EQ, also der Emotionale Intelligenzquotient, zur zentralen Größe im Management wird und wie man mit Emotionen richtig umgeht.

 „Schon vor der Pandemie war die Wirtschaftswelt sehr schnelllebig. Die Pandemie und die multiplen Krisen haben das noch weiter verschärft – das klassische Leadership Modell stößt bei diesen komplexen und schnelllebigen Herausforderungen an seine Grenzen“, sagt Prof. Heidi Stopper. Die Führungskraft, die anderen sagt, wo es langgeht, und mit Durchsetzungskraft brilliert, hat ausgedient. Die wahre Top-Skill für erfolgreiches Leadership ist laut Prof. Heidi Stopper: emotionale Intelligenz. „Emotionale Intelligenz ist eine Quelle der Macht“.

Sheconomy: Frau Stopper, wie sehen Sie die aktuellen Herausforderungen für Top-Manager:innen und Führungskräfte im Vergleich zu vor zehn Jahren?

Heidi Stopper: Die Ansprüche an Führung haben sich in den vergangenen 15 Jahren wegen der Digitalisierung und Globalisierung und den zunehmenden Unsicherheiten verändert, aber auch davor unterlag der Anspruch an Führung Veränderungen. Bis in die 80er Jahre war die ideale Führungskraft der oder die Expertin, die fachlich anleitet und wusste, was und auch vor allem wie es zu tun ist.

Als ich in den 90er Jahren meine Karriere gestartet habe, gab es den Übergang zu einer neuen Anforderung, einer neuen Rolle als Führungskraft: strategisches Denken und strategische Zielsetzung rückten als Hauptinstrument der Führung in den Vordergrund, die Zielerreichung gab es vorherzusagen und zu kontrollieren. Das „Was“ wurde vorgegeben, im „Wie“ wurde Freiraum geschaffen. Erfolgreiche Führungskräfte wussten, wo es lang geht und konnten andere überzeugen und sich durchsetzen.

Mit der Dynamik der Digitalisierung kam dieses Modell bereits an seine Grenzen. Die schwierigen Makrobedingungen der letzten Jahre sind zusätzliche Beschleuniger, Führung im heute wirksamer auszurichten. Auch im Innen gibt es immer mehr Druck von der Belegschaft. Befragungen zeigen, dass Mitarbeitende so unzufrieden mit ihren Führungskräften sind wie noch gar nie. 92 Prozent würden laut einer Studie nur dann im Unternehmen bleiben, wenn der Chef künftig empathischer führt. 85 Prozent der Befragten einer kununu-Studie in Deutschland gaben an, dass in deutschen Unternehmen ein schlechter Führungsstil vorherrscht. Hinzu kommt ein großer Personalmangel aufgrund von Demografie und Fluktuation – nicht nur ihn Handwerksbetrieben, sondern auch im akademischen Bereich. Führungskräfte stehen also auch hier sehr unter Druck.

Das in den letzten 30 Jahren überwiegend praktizierte Leadership scheint heute in vielen Fällen Verhinderer und nicht mehr Enabler zu sein, da es auf sehr komplexe Fragestellung nur noch unterkomplexe Lösungen findet. Das bedeutet für Führungskräfte, sich weiterentwickeln zu müssen, Bewährtes und Gewohntes auf den Prüfstand zu stellen und an der eigenen Entwicklung aktiv zu arbeiten.

Sheconomy: Inwiefern spielt Emotionale Intelligenz hier eine Rolle? Was ist sie überhaupt?

Stopper: Emotionale Intelligenz war ja immer schon ein Thema, hat aber gewaltig an Bedeutung gewonnen – für alle, nicht nur für Führungskräfte. Für viele Führungskräfte ist das immer noch Chi-Chi und Empathiegedöns – die wollen einfach Business machen und sich nicht mit den Gefühlen der anderen herumschlagen. Dabei hat US-Ökonom Richard Thaler bereits 2002 belegt, dass es den Homo Oeconomicus nicht gibt – und den Wirtschaftsnobelpreis dafür bekommen. Wir sind bei der Arbeit nicht ratio- und vernunftgesteuert. Vielmehr verfügen wir über drei Intelligenzsysteme: den Kopf mit der Ratio, das Herz mit seinen Emotionen und Gefühlen und den Bauch mit seiner Intuition und Instinkten. Für gelingende Führung sind alle drei Intelligenzsysteme wichtig. Und wenn Menschen zu mir kommen, weil ihnen das Business schlaflose Nächte bereitet, finden wir immer recht schnell heraus, dass es nicht an den Sachthemen, der rationalen Seite liegt.

Sheconomy: Sondern woran?

Stopper: Schlaflose Nächte bereiten stets die Beziehungs- und Machtstrukturen, die in jedem System bestehenden Konflikte und die damit verbundenen Emotionen. Je diverser ein Team ist, desto mehr Konfliktpotential entsteht. Unterschiedliche Denkweisen, Werte und Persönlichkeiten kommen nur dann wirksam zusammen, wenn Führungskräfte und die Teammitglieder die daraus entstehenden Spannungen und die Konflikte wirksam handeln können.

Das braucht andere Kompetenzen und ein anderes Führungsverhalten. Hier kommt emotionale Intelligenz ins Spiel, in zwei Ausprägungen: die Bewusstheit im Umgang mit den eigenen Emotionen und im Umgang mit den Emotionen anderer Menschen. Fragt man Führungskräfte, – und das erlebe ich auch in meinen Coachings – welche Emotionen und Gefühle sie in der Arbeit erleben, nennen sie in erster Linie Ärger und Frust– und Ärger ist gesellschaftlich akzeptiert und ein für Führungskräfte tolerables Gefühl.

Führungskräfte, aber auch Arbeitnehmende wurden in den vergangenen Jahrzehnten so sozialisiert, dass sie ihre anderen Gefühle gar nicht benennen können. Schaut man hinter die Kulissen, erkennt man aber die gesamte Breite der Gefühlswelt und auch die negativen, wie Scham, Angst, Wut, Besorgnis, Aufregung, Verunsicherung, Neid, Eifersucht, Traurigkeit… und sogar Ekel.

Sheconomy: Wie gehen wir gut mit unseren Emotionen um? Sollten wir sie regulieren?

Stopper: Wir sind keine Maschine, regulieren sollte man da nichts. Aber natürlich können wir viel besser werden im Erkennen und im Umgang von Emotionen. Wichtig ist der bewusste Umgang mit eigenen Gefühlen und Emotionen – innezuhalten, sie zu beobachten und den eigenen Reaktionsimpuls zu überprüfen.

Der österreichische Neurologe Viktor Frankl, Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse, sagte einst: „Die größte Freiheit des Menschen liegt im Bruchteil der Sekunde zwischen Reiz und Reaktion.“ Das ist tatsächlich so, wir haben immer eine Wahl, wie wir reagieren. Ein Vorstand eines DAX-Konzerns erzählte mir, sein Kollege wisse, an welchen Knöpfen er bei ihm drücken müsse, damit er die Contenance verliert und an die Luft geht. Das Gute ist, er realisiert das und kann so lernen, neue Reaktionsoptionen zu erarbeiten. Es gibt einige praktische Tipps, Reiz-Reaktionsmuster zu unterbrechen.

Sheconomy: Warum sind die eigenen Ängste und Unsicherheiten gerade im Top-Management so ein blinder Fleck?

Stopper: Unsicherheit wird in der klassischen Management-Sozialiserung abgestraft, gerade bei Top-Führungskräften. Ich lache immer über die öffentlichen Beschreibungen von Tagesabläufen von Top-Führungskräften, die ich ja auch oft kenne: sie stehen frühmorgens um 4.30 Ihr auf, laufen einen Marathon, frühstücken mit der Familie und laufen dann zur Hochleistung im Job mit strategischen Themen auf – und abends retten sie die Welt bei irgendwelchen Dinner-Speeches.

Sie werden von der Wirtschaftspresse als omnipotente Superwomen und Supermen dargestellt – da bleibt kein Platz für Selbstreflexion, für Verletzbarkeit und Emotionen. Und sich selbst unsicher und verletzlich zu erleben, ist gerade für Führungskräfte zwischen 40 und 60 Jahren noch sehr unangenehm. Dass Coaching so boomt, liegt daran, dass viele Führungskräfte und auch Mitarbeitende auf allen Unternehmensebenen erkannt haben, ihre eigene Entwicklung wieder mehr in den Fokus zu nehmen.

Sheconomy: Fürchten Führungskräfte da nicht auch, an Macht zu verlieren, wenn sie empathischer werden?

Stopper: Im Gegenteil. Führungskräfte können nur dann wirklich nachhaltig gestalten, wenn sie über alle Quellen der Macht im Sinne von Gestaltungsspielraum verfügen. Was wir oft vergessen: in jedem System gibt es Machtthemen.

In Organisationen gibt es heute zwei Quellen von Macht. Formale Macht kommt aus dem Recht, belohnen und bestrafen zu können, also aus der Hierarchie. Informale Macht resultiert aus Beziehungsarbeit und schlägt im Zweifel die formale Macht. So gibt es in jeder Organisation sehr mächtige, einflussreiche Menschen, die nicht zwingend auf hochrangigen Positionen sitzen. Und es gibt formal sehr mächtige Menschen ohne informale Macht. Diese fürchtet man aber reißt hinter ihrem Rücken Witze über sie.

Emotionale Intelligenz ist also nicht nur erforderlich in der Konfliktbewältigung und der Eigenführung, sie ist auch eine Quelle informaler Macht. Für Führungskräfte ist es wichtiger denn je, selbstwirksam zu sein und Gestaltungsräume zu erarbeiten. Richtig eingesetzte Empathie und mehr emotionale Kompetenz führt zu mehr Macht. Es führt aber vor allem zu mehr Erträglichkeit für alle Betroffenen. Damit wäre doch schon sehr viel gewonnen.


Über die Person

Die renommierte Topmanagement- und Karriereberaterin und Executive Coach Prof. Heidi Stopper kann auf eine langjährige Führungskarriere unter anderem als Personal-Vorständin bei der ProSieben Sat1 Medien AG und als Vice President Human Resources für EADS Astrium Satellites zurückblicken. Im Jahr 2006 gründete sie ihre Consulting-Firma Stopper Coaching und Beratung.

Zu ihren Klient:innen zählen hochrangige Executives und Vorstandsmitglieder. Heidi Stopper hat Sitze in mehreren Beiräten, ist Honorarprofessorin und Kuratoriumsvorsitzende der Macromedia Universität, Volljuristin und hat ein Master of Science Studium für Human Resources Management und Organisational Development absolviert.


Der Beitrag ist Teil einer Content Kooperation von Sheconomy & herCAREER und wurde zuvor bereits auf www.her-career.com veröffentlicht.

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