Die Digitalisierung der Arbeitswelt eröffnet Frauen viel mehr Chancen als ursprünglich angenommen. Gerade dort, wo es um individuelle Fähigkeiten wie Kommunikationstalent und Analysefähigkeit geht, wendet sich das Blatt immer häufiger zu weiblichen Gunsten.
Noch vor ein paar Jahren wurde die berufstätige Frau angesichts der Digitalisierung als bedrohte Spezies definiert. Unter anderem deshalb, weil sich die Expertinnen und Experten im Zusammenhang mit dem Wandel meist stark auf die Faktoren Mathematik und Technik fokussierten – beides Fächer, in denen Mädchen traditionellerweise schlechter abschneiden als Burschen. Doch seit einiger Zeit weiß man, dass auch ganz andere Faktoren für die erfolgreiche Umsetzung des digitalen Wandels zuständig sind: etwa Kommunikationsfähigkeit oder Problemlösungskompetenz. Forschung und Unternehmertum bemerken nämlich, dass die Digitalisierung viel breiter gefasst ist als in dem Kürzel MINT, das für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik steht.
»Die Veränderung von Arbeitsprozessen ist ein weites Feld«, weiß WIFO-Forscherin Julia Bock-Schappelwein. Die Wissenschafterin, deren Fachgebiete unter anderem Arbeitsmarkt und Genderfragen sowie die Zukunft der Arbeit sind, gibt zu bedenken, dass sich althergebrachte Denkmuster in Frauen- und Männerjobs langsam überholen. »Denn wo wird die Digitalisierung in Produktionsunternehmen eingesetzt? Da, wo es um schwere körperliche Arbeit oder um einfache Routinetätigkeiten geht. Die Automatisierung befreit somit Tätigkeiten, die an bestimmte physische Voraussetzungen gebunden waren, von dieser Abhängigkeit.«
Konkretes Beispiel: Verlangte der Einsatz in Produktionsbetrieben früher den Arbeitnehmerinnen eine gewisse körperliche Fitness ab, kommt es heute darauf an, dass die Mitarbeiterinnen, die einander ebendort quasi die Tastatur in die Hand geben, miteinander kommunizieren. »Bei der Ablöse geht es darum, dass man den nachfolgenden Kolleginnen oder Kollegen mitteilt, was in den letzten Stunden geschehen und worauf weiter zu achten ist. Es steht also nicht mehr nur die reine Technologie oder das Handwerk im Vordergrund, sondern die Weitergabe und Kommunikation von Wissen zum Nutzen des Unternehmens«, erläutert Bock-Schappelwein. Bestätigung in dieser Sichtweise bekommt sie etwa von ÖBB-Infrastruktur-Vorständin Silvia Angelo. Im Gespräch mit der Tageszeitung Der Standard sagt die Top-Managerin: »Die Digitalisierung macht Frauen viele Berufe zugänglicher als die männlich geprägte Eisenbahn mit ursprünglich viel Schwerarbeit. Jetzt bekommen Frauen leichter sozusagen einen Fuß auf die Schiene«.
»Die Digitalisierung wird dort eingesetzt, wo es um schwere körperliche Arbeit oder Routinetätigkeiten geht«
Gerade wo es um interaktive, kognitive oder analytische Skills geht, sind Frauen nicht nur stark vertreten, sondern haben gegenüber Männern häufig die Nase vorn. In einer Studie von Accenture aus dem Vorjahr wird sogar behauptet, dass digitale Kompetenz vor allem Frauen helfen würde, ihre Karrierechancen zu steigern. In 16 von 31 untersuchten Ländern erreichten Frauen ein höheres Bildungsniveau als Männer – etwa weil sie es verstehen, digitale Technologien effektiver zu nutzen. Auch in Österreich stehen die Chancen für Frauen nicht schlecht. 2015 waren »rund 35 Prozent der unselbstständig Beschäftigten in Berufen tätig, die sich vorwiegend durch analytische und interaktive Nicht-Routine-Tätigkeiten auszeichnen«, hält die WIFO-Studie »Österreich im Wandel der Digitalisierung« fest, an der Bock-Schappelwein zentral mitwirkte. Genau diese Berufe würden aber »höhere Ansprüche an die Qualifikationen und Kompetenzen der Beschäftigten« stellen, so die Untersuchung weiter. Bedenkt man, dass laut Hochschulprognose der Statistik Austria bis ins Jahr 2035 fast 60 Prozent aller Maturantinnen und Maturanten Mädchen, jedoch nur knapp über 40 Prozent Burschen sein werden, kann jeder seine Schlüsse ziehen; schon jetzt sind die diesbezüglichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern markant. Hinzu kommt, dass sich bereits aktuell Frauen auf Berufe konzentrieren, die einen geringen Routine-Anteil und dafür umso stärker analytische wie interaktive Schwerpunkte haben (Bock-Schappelwein in »Digitalisierung und Arbeit«). Beide Faktoren – die bessere Ausbildung sowie die Fokussierung auf die richtigen Skills – können in einer digitalisierten Welt als Karriere-Booster angesehen werden.
Angesichts dieses weiblichen Potenzials, mit den Anforderungen der Zeit zu gehen, wiegt umso schwerer die Tatsache, dass »Österreich im internationalen Vergleich bei der Digitalisierung im Rückstand liegt und gemessen am Pro-Kopf-Einkommen nur unterdurchschnittliche Werte aufweist«, wie Bock-Schappelwein zusammenfasst. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.