Kolumne. Alt versus Jung. KunstliebhaberInnen versus BaumarktbesucherInnen. SünderInnen versus folgsame JüngerInnen. Corona öffnet gefährliche Gräben. Man sollte sie erkennen, bevor man in sie hineinstolpert.
Der Sündenfall geschah vor wenigen Wochen im französischen Elsaß, wo es für alte Corona-Patienten keine Behandlung mehr gab, sondern nur mehr Sterbebegleitung mit Opiaten. Auch in Italien und Spanien wurde den über 80-Jährigen teilweise die Luftzufuhr mittels künstlicher Beatmung vorenthalten. In Deutschland fiel der katastrophale Satz eines Spitzenpolitikers: „Wir retten möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot wären“. Schon geistert der Begriff der Euthanasie durch die Medien – wenn auch als Warnsignal. Und man traut es sich fast nicht auszusprechen – aber von jener Geisteshaltung, die Menschenleben in »wertes« oder »unnötige Kosten verursachendes« Leben einteilt, sind wir nur wenige Schritte entfernt. Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, altes gegen junges Leben aufzurechnen?
Anderer Schauplatz: Die verwaisten Theater, die verzweifelten Künstler, die, vom wirtschaftlichen Absturz bedroht, ihre Appelle an die Öffentlichkeit richten – parallel dazu, die Bühnen des Alltags vor den Baumärkten/Einrichtungshäusern, die sich vor lauter »Publikum« kaum retten können. Auf Social Media wird seit Tagen die eine Gruppe gegen die andere ausgespielt. Selbst große, öffentliche Namen scheuen nicht davor zurück, die Demontage zu betreiben. Nur: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Wer sagt, dass Kulturschaffende sowie -konsumenten wertvoller wären als Häuslbauer, Garten- und Wohnungsverschönerer – zumal Zweitere vielleicht auch gern ins Theater, in die Oper oder ins Konzert gehen. Jedenfalls tragen sie mit ihrer Steuerleistungen zum Erhalt dieser wichtigen Institutionen bei. Und ganz abgesehen davon: Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, Künstler und Kunstliebhaber gegen Bastler und Heimverschönerer aufzurechnen?
Dritter Schauplatz: Die Teilung der Gesellschaft in Sünder und folgsame Jünger, in »Lebensgefährder und Lebensretter«, wie der Innenminister es ausdrückte. Dem Denunziantentum aber wurde damit Tür und Tor geöffnet. Das Land hat einen fruchtbaren Boden für Vernaderer, das bestätigen die Zahlen. So wurden allein von Mitte März bis zum Ostermontag mehr als 24.000 Anzeigen erstattet. Wie kann man überhaupt auf die Idee kommen, seine Neidgefühle hinter der Staatsgewalt zu verstecken?
»So ist Österreich einfach nicht«, sagte Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor genau einem Jahr in einer Ansprache anlässlich anderer, unschöner Vorfälle. Seine Worte sind von zeitloser Schönheit. Denn die Wirtschaft – immerhin haben wir gerade mehr als eine halbe Million Arbeitslose im Land; rund 900.000 sind in Kurzarbeit – würde genau das Gegenteil von niedrigen Instinkten, Lagerdenken und Blockwarthaltung benötigen. Zusammenhalt und Zuversicht.
Um wieder in die Gänge zu kommen, braucht es Optimismus. Und eine Achse des Guten, bei der Erfahrung und Dynamik, Feinsinn und Hemdsärmeligkeit, Empathie und gegenseitiges Verständnis ineinander übergehen. So kann Österreich nämlich auch.
Header © Peter M. Mayr