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„Vorurteile in der Arbeitswelt haben fatale Folgen“

Wir alle haben Vorurteile, doch gerade in der Arbeitswelt richten sogenannte Biases immensen Schaden an, warnt Tech-Managerin Annahita Esmailzadeh. Welche Vorbehalte besonders stark wirken, warum Diversity gerade jetzt wichtig ist und welche eigenen Denkmuster der Autorin bewusst geworden sind, zeigt sie im Interview.

Annahita Esmailzadeh ist Führungskraft bei Microsoft, zuvor war sie bei SAP als Head of Innovation tätig. Die Wirtschaftsinformatikerin zählt zu den bekanntesten Business-Influencerinnen im DACH-Raum mit dem Fokus auf Diversity.

Warum ist das Thema „Vorurteile“ in der heutigen Arbeitswelt wichtig?

Wir alle haben Vorurteile – auch im Arbeitskontext. Das Gefährliche ist, dass das Thema nicht nur sehr vielschichtig, sondern uns auch häufig nicht bewusst ist. Ich beleuchte in meinem Buch daher zunächst einige besonders einflussreiche Arten des sogenannten Unconscious Bias, also unbewusste Verzerrungen, die unsere Wahrnehmung beeinflussen und unseren Umgang mit unseren Mitmenschen prägen, um den Leser:innen das grundlegende Wissen über diese Thematik zu vermitteln.

Im Kontext von Arbeit spielt beispielsweise der Affinity Bias eine wichtige Rolle – also dass wir jene Personen besonders sympathisch finden, die uns ähneln. Je weiter wir in der Wirtschaft oder in der Politik nach oben blicken, desto homogener und männlicher wird das Bild, das wir dort vorfinden. Diese Gruppe hat aber nun nicht nur eine große Entscheidungsgewalt, sondern auch Einfluss darauf, wer auf ihre Positionen nachfolgt. Setzen sich diese Personen nun etwa nicht mit ihrem Affinity Bias auseinander, haben sie den ganz natürlichen Drang, nur ihresgleichen einzustellen – so kann sich keine Diversität entwickeln.

Personalentscheider:innen, die ihren Bias nicht reflektieren, treffen unfaire Personalentscheidungen, die Unternehmen schaden – denn mit Homogenität bleiben wir nicht zukunftsfähig, weil sich das Innovationspotenzial nicht herausbilden kann und kein Umfeld entsteht, in denen sich Minderheiten oder auch Menschen, die von der vermeintlichen „Norm“ abweichen, wohlfühlen.

Warum haben Sie sich entschieden, darüber ein Buch zu schreiben?

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie groß die Hürden sind, die durch Dinge entstehen, die nicht in unserem eigenen Handlungsspielraum liegen. Spätestens seit ich Führungskraft bin, wollte ich selbst daran arbeiten, fair und ohne Bias Menschen zu fördern und diverse Teams zusammenzustellen.

Außerdem möchte ich gerne Brücken bauen. Deshalb habe ich nach einem Buch gesucht, das das Thema Vorurteile im Kontext der Arbeitswelt praxis- und realitätsnah beleuchtet – und keines gefunden. Das musste ich ändern.

Welche Vorbehalte sind Ihnen im Berufsleben selbst schon begegnet?

Ich kann gar nicht sagen, woran es genau liegt, wenn mir Menschen in einer Weise begegnen, die offensichtlich negativ behaftet ist. Liegt es an meinem Migrationshintergrund, an meinem Alter, an meiner Optik insgesamt oder meinem sozialen Hintergrund? Wahrscheinlich ist es häufig einer Mischung aus verschiedenen Aspekten, die Menschen nicht sofort einsortieren können.

„Menschen, die das wollen, stecken dich sowieso in eine Schublade – auch wenn du dich auf den Kopf stellst, um zu gefallen. Menschen, die sich durch Kompetenzen überzeugen lassen, die erkennen dich trotzdem an.“

Wie reagieren Sie heute, wenn Ihnen Menschen mit Skepsis oder Vorbehalten entgegentreten?

Bei mir war es eine Entwicklung über viele Jahre. Zum Start ins Berufsleben sagte mir eine erfahrene Kollegin, dass ich mit meinen langen und bunten Fingernägeln, bunten Blazern und offenen langen Haaren – also mit meiner äußeren Erscheinung – in der IT-Branche niemals ernst genommen würde. Ich wollte mir nichts verbauen, also habe ich auf sie gehört und Kleidung ausgesucht, mit der ich vermeintlich seriöser wirkte.

Über die Zeit haben sich jedoch zwei Dinge für mich grundlegend verändert: Zum einen ist mein Selbstvertrauen deutlich gewachsen. Ich weiß heute, dass ich nicht nur durch Glück so weit gekommen bin – sondern, dass ich hart arbeite und gut darin bin, was ich tue. Deshalb brauche ich die Kleidung als Schutzschild nicht mehr, sondern kann einfach ich sein. Denn, und das ist das andere: Menschen, die das wollen, stecken dich sowieso in eine Schublade – auch wenn du dich auf den Kopf stellst, um zu gefallen. Menschen, die sich durch Kompetenzen überzeugen lassen, die erkennen dich trotzdem an.

Heute kann ich also einfach ich sein. Wenn ich in einem Job nicht wertgeschätzt werde, ist es nicht die richtige Konsequenz, mich zu verbiegen – sondern mir ein Umfeld zu suchen, in dem meine Kompetenzen und Qualitäten gewürdigt werden.

Diversität ist in den Unternehmen angekommen, gleichzeitig bilden sich um uns herum immer mehr „Bubbles“. Wo stehen Organisationen aus Ihrer Sicht?

Viele Unternehmen haben verstanden, dass Diversität „en vogue“ ist. Oft geht es leider immer noch vorrangig um Gender-Diversity – das Thema ist aber deutlich vielschichtiger. Hinter den Kulissen wird häufig nicht viel getan. Aus meiner Sicht muss beim Transfer vom Bewusstsein zur Umsetzung in die Praxis noch deutlich mehr passieren.

„Auch vor der Quote wurden Positionen ja nicht zwingend nach Kompetenzen vergeben, sondern oft über etablierte Buddy-Netzwerke. Oft wird vergessen, dass Frauen, die über die Quote kommen, sich ja beruflich bereits klar behauptet haben.“

Durch die Einführung der Quote oder die zunehmende Konkurrenz um attraktive Positionen fühlen sich einige Männer derzeit nicht selten benachteiligt. Was sagen Sie dazu?

Ich muss immer etwas schmunzeln, wenn mir Männer sagen, sie würden durch die Quote benachteiligt. Wir müssen dringend die Emotionalität aus dieser Diskussion nehmen. Nüchtern betrachtet ist die Quote ja nur ein Instrument, um einer unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppe einen gerechteren Partizipationsanteil zu ermöglichen. Und dieses Instrument brauchen wir, weil bisherige freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen nichts bewirkt haben.

Auch vor der Quote wurden Positionen ja nicht zwingend nach Kompetenzen vergeben, sondern oft über etablierte Buddy-Netzwerke. Je weiter man nach oben blickt, desto undurchsichtiger sind die Strukturen der Besetzung. Oft wird auch vergessen, dass Frauen, die über die Quote kommen, sich ja beruflich bereits klar behauptet haben. Vielleicht generiert dieses Verfahren Ängste – aber wenn überhaupt, sollte die Quote als temporäre Ungleichbehandlung gesehen werden, die notwendig ist, um die bestehende enorme Diskrepanz aufzulösen. Und die wir hoffentlich auch bald nicht mehr brauchen.

Was sollten Unternehmen vor allem tun, um Diversity voranzubringen und Vorurteile abzubauen?

Unternehmen haben viele Möglichkeiten. Am wichtigsten ist, dass Diversity von oben – also top-down – authentisch vorgelebt wird. Unerlässlich sind regelmäßige Trainings, um sich der eigenen Vorbehalte und Biases bewusst zu werden. Eigentlich sind solche Trainings für alle Mitarbeitenden wichtig, aber ganz besonders für Führungskräfte, die über die beruflichen Schicksale von anderen entscheiden.

„So wenig privilegiert ich in vielen Bereichen bin, hatte ich kaum über die Privilegien reflektiert, die ich genieße, weil mein Körpergewicht der vermeintlichen Norm entspricht.“

Wie sinnvoll sind unternehmensinterne Netzwerke für Minderheiten? Bringen sie nicht noch mehr Abgrenzungen innerhalb einer Organisation?

Ich halte sie für sehr sinnvoll, weil hier sichere Räume zum Austausch geschaffen werden, außerdem geht es um Sichtbarkeit. Ziel sollte es aber sein, die Netzwerke wiederum untereinander zu verknüpfen, für Diversity zu sensibilisieren und einen Ausgangspunkt für Diskussionen und den Dialog in der gesamten Organisation zu bilden.

Sie schildern im Buch sehr offen, wie Sie Ihrem eigenen Bias auf die Spur gekommen sind …

Die Begebenheit, die Sie ansprechen, hat mir eher gezeigt, dass ich mir meiner eigenen Privilegien nicht bewusst war. Es ging um das Zusammentreffen mit Isabel Gabor, der ersten und einzigen Creative Director Diversity in Deutschland. Bei einer Preisverleihung machte sie mir ein Kompliment für mein Kleid, und ich meinte daraufhin, dass es sicher noch zu haben sei. Sie lächelte eher gequält und sagte mir, dass diese Marke keine Plus-Size-Größen führe – so, wie zahlreiche andere Standard-Labels auch.

So wenig privilegiert ich in vielen Bereichen bin, etwa durch meinen Migrationshintergrund, meiner sozialen Herkunft oder als Frau im technischen Bereich, hatte ich bis zu dem Zeitpunkt kaum über die Privilegien reflektiert, die ich genieße, weil mein Körpergewicht der vermeintlichen Norm entspricht.

Wer sollte Ihr Buch lesen?

Aus meiner Sicht sollten wir uns alle mit der Thematik auseinandersetzen, weil sie nicht nur sehr spannend, sondern auch verdammt gefährlich ist. Ich lege das Buch auch vor allem jenen ans Herz, die beim Blick auf den Titel sagen: Das betrifft mich nicht. Ihnen würde ich das Buch am liebsten auf den Nachttisch beamen. Denn wenn Menschen sagen, sie haben keine Vorurteile, ist es meist das beste Indiz dafür, dass das Bewusstsein und die Selbstreflektion dafür fehlen.

Vielen Dank für das Gespräch.


Annahita Esmailzadeh: Von Quotenfrauen und alten weißen Männern – Schluss mit Vorurteilen in der Arbeitswelt. Campus Verlag.

 

 

 

 

 


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