StartInnovationPlanet"Nachhaltigkeit ist für uns kein Projekt"

„Nachhaltigkeit ist für uns kein Projekt“

Wie setzt ein mittelständisches Familienunternehmen wie die Melitta Group mit Produkten wie Kaffee und Frischhaltefolien Nachhaltigkeit um, ohne Greenwashing zu betreiben? Die verantwortliche Geschäftsführerin für diesen Zentralbereich, Katharina Roehrig, gibt Einblicke.

Im Januar 2023 wäre Melitta Bentz, die Erfinderin des Kaffeefilters, 150 Jahre alt geworden. Die Erfindung der Filtertüte legte den Grundstein für die Marke Melitta. Inzwischen ist die Melitta Group zwar noch immer ein Familienunternehmen mit Hauptsitz im westfälischen Minden, hat aber ihr Sortiment und ihre Aktivitäten längst international ausgebaut und zählt zu den führenden deutschen Konzernen im deutschen Kaffeemarkt. Nicht nur Produkte rund um Kaffee und Co, auch Haushaltsfolien und -papier von Marken wie Swirl oder Toppits gehören zur Gruppe.

Mit dieser Bandbreite und dem Sortiment rückt das Thema Nachhaltigkeit spätestens im Zusammenhang mit der ESG-Berichterstattung in den Fokus. Katharina Roehrig, Geschäftsführerin bei der Melitta Group und Leiterin für diesen Zentralbereich, verankert Nachhaltigkeit breiter. „Für mich ist Nachhaltigkeit das strategische Rückgrat für das Unternehmen. Seit acht Jahren betreue ich mit meiner Abteilung dieses Thema, auch vorher gab es bereits Initiativen dazu. Wir setzen nun einen ganzheitlichen und globalen Ansatz um.“ Dafür habe man Kommunikation, Transformation und Nachhaltigkeit in eine Gesamtlogik gebracht. „Am Anfang wurde ich gefragt: Wie lange dauert das Projekt? Aber es ist kein Projekt, sondern zieht sich durch die gesamte Organisation und hat auf allen Ebenen etwas mit Haltung und Verantwortung zu tun – auf der Produktseite ebenso wie bei Immobilien, im Corporate Citizenship oder beim Thema Diversität.“

Konkret habe das Unternehmen laut Roehrig einen kulturellen Wandel angeschoben und die Kommunikation nach innen und außen verändert. „Um Nachhaltigkeit in dieser Transformation zu nutzen haben wir konkrete Projekte „bottom up“ entwickelt und so das Engagement der Mitarbeitenden gefördert“, sagt die Geschäftsführerin. „Wir haben zum Beispiel unsere Papierproduktionen angeschaut, die alle unterschiedliche Wasserverbräuche hatten. Durch die internationale Vernetzung konnten wir neue Maßstäbe setzen und Wasser einsparen. Gemeinsam mit einem Start-up haben wir außerdem unsere Logik verändert und setzen nun stärker auf sekundäre Rohstoffe – beispielsweise werden Schlacken aus unserem Tapetenvlies nicht mehr teuer entsorgt, sondern von anderen Unternehmen als Einlegematten verwendet. Solche Projekte haben die Denkweisen bei Melitta verändert und inkrementelle Innovationen geschaffen, weil unsere Mitarbeitenden oder Stakeholder die Ideen dazu hatten – aber weil wir auch den entsprechenden Raum dafür bereitstellen“, berichtet Roehrig.

„Nachhaltigkeit motiviert intrinsisch, das merken wir bei allen Initiativen“

Im Projekt „Back to the Roots“ suche die Melitta Gruppe gemeinsam mit der Hanns R. Neumann Stiftung zudem nach Möglichkeiten, organische Abfälle in der gesamten Kaffeelieferkette wiederzuverwerten. „Denn beim Kaffeeanbau sowie bei der Verarbeitung fallen große Mengen organischer Reste an, wie etwa das Fruchtfleisch der Kaffeekirschen. Ziel ist es, nicht nur auf chemische Dünger zu verzichten, sondern auch die Qualität der Böden zu verbessern sowie die Pflanzen widerstandsfähiger gegen Klimaschwankungen zu machen“, so die Managerin. Handlungsbedarf sieht das Unternehmen auch beim Thema Kunststoffe. Cofresco – unter diesem Dach werden z.B. Produkte von Swirl und Toppits hergestellt – setzt sich gegen Lebensmittelverschwendung ein, hat aber auch eine Recyclingfirma in Bangalore als Social Business gegründet. „Hier werden ca. 2000 Tonnen Kunststoffabfälle pro Jahr aufbereitet und in unserer eigenen Produktion wiederverwertet.“ Durch das Thema ESG muss das Unternehmen künftig zusätzliche Transparenz schaffen. „Diese systemischen Veränderungen in jede Ecke des Unternehmens zu bringen, da sind wir noch dran. Aber durch Vorgaben wie ESG und Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird gesehen, wie wichtig es ist, diese Themen voran zu bringen. Und Nachhaltigkeit motiviert intrinsisch, das merken wir bei allen Initiativen.“

Wichtig sei es, hier über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen, weiß Roehrig. „Wir sind dazu beispielsweise mit der Global Coffee Platform im engen Austausch, denn wir sollen bis 2024 reporten, wo unser Kaffee herkommt – wir arbeiten mit ca. 12 Mio. Kleinstbauern zusammen. Das macht man nicht auf Knopfdruck. Ich bin eine große Befürworterin von Regularien, weil sie diejenigen aufs Pferd setzen, die vorher noch nicht drauf waren. Aber das alles muss für ein mittelständisches Unternehmen wie uns auch noch pragmatisch abzuarbeiten sein“, appelliert Roehrig.

„Wir wollen keine BIo-Marke werden“

Dabei spielt auch die Digitalisierung eine maßgebliche Rolle. „Digitale Technologien ermöglichen eine umfassende Datenerfassung, detaillierte Analysen, und damit eine effiziente Steuerung sowie Prozessoptimierung in Produktion, Logistik und Einkauf, inklusive der vor- und nachgelagerten Lieferketten“, ergänzt Susanne Röber, Head of Digital Strategy and Transformation der Melitta Group. Die Konzerntochter roastmarket fokussiert sich als digitales Start-up neben der Optimierung von Prozessen auf die Nachhaltigkeit im Vertrieb. Bestellungen werden laut rostmarket-CEO Dr. Stefan Scholle mit recycelten Materialen und Füllstoffen verpackt. „Gemeinsam mit unseren Logistikpartnern haben wir ein Versandmodell entwickelt, das entlang einer digital nachvollziehbaren Logistik den nachhaltigen und klimafreundlichen Versand ermöglicht“, so Scholle.

Bei aller Nachhaltigkeit stellt Katharina Roehrig klar: „Wir wollen keine Bio-Marke werden.“ Was andere Unternehmen aus den Prozessen der Melitta Group lernen können? „Ein systemischer und ganzheitlicher Ansatz steht auch mittelständischen Organisationen gut. Der Weg ist nicht einfach, und er sollte im eigenen Tempo, aber ambitioniert gegangen werden – von einem Plateau aufs nächste, damit die Unternehmung Lust hat, die Schritte mitzugehen. Dazu gehört ein enger Stakeholder-Dialog. Gerade bei Inhabergeführten Organisationen ist aber das Commitment von oben wichtig – einer unser Eigentümer hat vor drei Jahren gesagt: ‚Wir machen es nachhaltig, oder wir machen es gar nicht.‘ So etwas wirkt.“


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Fotomaterial© Melitta Group

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