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Altersfragen

Immer mehr ältere Menschen bleiben immer länger beruflich aktiv – viele, weil sie müssen, aber auch immer mehr, weil sie es wollen. Über junge Alte und alte Junge, die Notwendigkeit, eine gemeinsame Sprache zu finden, und das „Rote-Auto-Phänomen“.

Kennen Sie das „Rote-Auto-Phänomen“? Wenn nein, keine Sorge, ich kannte es bis vor einiger Zeit auch nicht. Mein Mann hatte mich darauf aufmerksam gemacht. Er sagte: Kauft man sich ein neues rotes Auto, stechen einem auf der Straße auf einmal lauter neue rote Autos ins Auge, die man zuvor nie gesehen hätte. Und man bekommt das Gefühl, Teil einer neuen, upcoming Community zu sein. Daraufhin versuchte ich viele Dinge, die ich in jüngerer Zeit erlebt oder mir zugelegt hatte, unter diesem Aspekt zu betrachten – und kam zu dem Schluss: Irgendwie hat er recht. Selbst wenn dies nichts über den Allgemeinzustand aussagt.

Mein jüngstes Ding in diesem Zusammenhang ist das Thema Alter. Es beschäftigt mich, weil ich in einer Lebensphase bin, in der sich die Mehrheit der österreichischen Frauen in die Rente verabschiedet, ich aber noch voll im Arbeitsleben stecke. Als Selbständige genieße ich allerdings den Vorteil, ziemlich viel Mitspracherecht zu haben bei der Frage, wie viel und wie lange ich (noch) arbeiten darf und möchte.

Gleichzeitig habe ich das Gefühl, von ganz vielen Menschen umgeben zu sein – auch außerhalb des Freundeskreises –, die in einer ähnlichen Situation stecken wie ich. Obwohl die Statistik anderes sagt: In Österreich sind von rund 1,9 Mio. Beziehern einer Alterspension derzeit etwa 56.000 mit einem Verdienst über der Geringfügigkeitsgrenze beschäftigt. In Deutschland sind 1,123 Mio. Erwerbstätige älter als 67 Jahre. Weitere Zahlen: Von den 55- bis 64-Jährigen sind in Österreich 56 Prozent erwerbstätig, in Deutschland sind es rund 64 Prozent (1995 waren es noch rund 38 Prozent). Die Gruppe der fleißigen Alten wird da wie dort größer, wiewohl Österreich und Deutschland als europäische Schlusslichter gelten, wenn es um Berufstätigkeit jenseits der 60+ beziehungsweise 65+ geht.

Vergangenes Wochenende landete ich durch Zufall in einer Facebook-Runde, bei der sich alles um die Frage drehte: „Wie geht es Euch mit dem Pensionsantritt mit 65?“ Fast alle schrieben, dass sie so lange arbeiten wollten wie nur möglich. Noch ein weiteres Mal kam das „Alter“ über mich vergangene Woche – bei einem Vortrag zum Thema Lebensversicherungen. Der Alternsforscher Univ. Doz. Dr. Gerald Gatterer sprach von „jungen Menschen, die heute schon an die Pensionierung denken“ und von den Boomern und der Generation Golf, die vor allem ein Lebensmotto kennen würden; dieses laute: „Arbeiten!“

Nun ist es so: Viele arbeiten länger als notwendig, weil sie müssen. Weil die Rente allein nicht ausreichen würde. Dies betrifft vor allem Frauen, die von der Armutsfalle bedroht sind, weil ihnen Pensionsjahre fehlen. Oder weil sie zu lange in Teilzeit beschäftigt waren. Ein anderer, meiner Wahrnehmung nach, wachsender Teil, aber arbeitet, weil er es gern tut. Weil es regelmäßige soziale Kontakte ermöglicht. Weil man geistig beweglich bleibt. Weil man sich gebraucht und wichtig fühlt. Prof. Gatterer sprach auch von „jungen Alten“, von „Persönlichkeitsstruktur“, die altersmäßig nicht klassifizierbar sei.

Tatsächlich fordert das Weltgeschehen mit all seinen Krisen eine neue Systematik ein: von den jüngeren Generationen mehr Erwachsenendenken denn je und von Älteren eine bislang kaum gekannte jugendliche Aktivität und Flexibilität. Denn eine Generation allein wird all die anstehenden Probleme nicht bewältigen können. Die deutsche Changemakerin und Gründerin der Initiative „Joint Generations“, Dr. Irene Kilubi, schreibt in ihrem Buch „Du bist mehr als eine Zahl. Warum das Alter keine Rolle spielt“*: „Die Zukunft ist jung UND alt. Weil wir nur zusammen und auf Basis gegenseitiger Wertschätzung und gegenseitigem Vertrauen zukünftige Umbrüche, Aufbrüche und Durchbrüche zum Wohle aller gestalten können“.

Sind wir doch schon weiter als beim „Rote-Auto-Phänomen“? Jedenfalls findet die Annäherung der Dynamiken zunehmend Worte und Beachtung – jetzt gilt es nur, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln.

* Das Buch „Du bist mehr als eine Zahl. Warum das Alter keine Rolle spielt“ von Dr. Irene Kilubi erscheint Ende Februar 2024. Lesen Sie mehr von Irene Kilubi im WEconomy-Coverinterview.


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Fotomaterial(c) Canva

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