StartBusinessKarriere„Kaffee ist alles andere als Männersache“

„Kaffee ist alles andere als Männersache“

Vor wenigen Wochen eröffnete das italienische Kaffeeunternehmen Illy das erste auf Nachhaltigkeit bedachte Schulungszentrum für die Kaffee-, Tee- und Gewürzindustrie in Äthiopien. Doch der Name steht auch für Innovation außerhalb des Kerngeschäfts: Seit einem Jahr bringen die drei Töchter von Firmenboss Andrea Illy mit „Amarey“ eine auf Kaffee basierende Kosmetiklinie heraus. Georges Desrues traf Andrea Dominique Illy auf einen Caffè Latte in Triest.

Als Treffpunkt wählt Andrea Dominique Illy (etwas vorhersehbar) das Caffè Illy – das einzige in ihrer Heimatstadt Triest, das von der hier ansässigen Firma der namensgebenden Kaffeedynastie selbst betrieben wird. Untergebracht ist es im sogenannten Palazzo Rosso, einem eindrucksvollen Art Deco Gebäude, das direkt an der Uferstraße und am Ende des hiesigen „Canal Grande“ liegt.

Zum Interview an diesem heißen Sommertag erscheint die jüngste der drei Töchter des Firmenbosses Andrea Illy, Andrea Dominique Illy, mit wallendem Haar und in einem Look, den man als Hippie- oder Ibiza-Schick bezeichnen könnte. Die 25-Jährige ist schlank, mit langem, blondgewelltem Haar und stahlblauen Augen.

Gemeinsam mit ihren Schwestern Jaqueline und Micaela gründete sie im Vorjahr die Firma Amarey. Man erzeugt ziemlich revolutionäre Kosmetikprodukte, die aus unterschiedlichen Bestandteilen der Kaffeepflanze gewonnen werden. Die Jungunternehmerin grüßt, zieht ihren Laptop aus der Tasche und bestellt Caffè Latte, womit in Triest das gemeint ist, was man anderswo in Italien und dem Rest der Welt als Cappuccino kennt.

Wann und wie kam es zu der Idee, aus Kaffee nicht nur ein Getränk, sondern auch Kosmetikprodukte zu erzeugen?

Eigentlich dachte ich schon als Kind daran. Was daran lag, dass wir den Großteil des Sommers mit unseren Eltern auf ihrem Segelboot verbrachten. Dabei ging es ihnen darum, möglichst abgeschieden und weit weg von allem zu sein, folglich konnte man nicht oft einkaufen gehen.

Außerdem musste man Abfall vermeiden, so gut es ging. Wir hatten lediglich ein Shampoo an Bord, mit dem man sich Körper und Haare im Salzwasser waschen konnte, ansonsten aber kein Kosmetikprodukt und auch kein Sonnenöl. Deswegen rieb uns meine Mutter täglich mit dem übriggebliebenen Kaffeesud aus der Mokka-Kanne ein, den sie mit Oliven- oder sonstigem Öl mischte. Und das Ergebnis für die Haut war jedes Mal fantastisch.

Wie die Idee zur „Amarey“- Kosmetiklinie entstanden ist: Schon die Mutter mixte Cremes aus Illy-Kaffeesud.

Wie erklärt sich das?

Die Kaffeepflanze ist vollgepackt mit Antioxidanten, darunter Chlorogensäure, Kaffeesäure und Tocopherol. Diese Antioxidanten bekämpfen freie Radikale, und beugen so der Hautalterung vor. Dabei hilft Linolsäure, die Unversehrtheit der Zellbarrieren und die Hautfeuchtigkeit aufrechtzuerhalten. Zudem unterstütz Koffein die Lipolyse, also die Fettspaltung, und wirkt obendrein gefäßverengend.

Bei lokaler Anwendung hilft es dieserart, Entzündungen, Schwellungen und Hautverfärbungen zu reduzieren sowie die natürliche Zellregeneration der Haut zu aktivieren und zu regenerieren, wie uns Dermatologen bestätigen. All diese Eigenschaften, die viel zu lange ungenutzt waren, wollen wir uns zunutze machen. Kurzgefasst kann man sagen, dass die Energie, die Kaffee uns gibt, wenn wir ihn trinken, er auch unserer Haut gibt.

Und von welchem Teil der Pflanze sprechen wir da genau?

Also einstweilen von der ganzen Frucht. Für den Kaffee, den wir trinken, nutzen wir lediglich zehn Prozent der Frucht. Was bedeutet, dass 90 Prozent ungenutzt bleiben. Dabei zählt dazu beispielsweise auch das Silberhäutchen, das die ungeröstete grüne Kaffeebohne, die ja eigentlich der Samen ist, umhüllt. Sie ist noch reicher an Antioxidanten als die Bohne selbst, weil sie sich näher an der äußeren Natur, der Sonne, dem Regen, dem Wind befindet und ihre Funktion ja ist, mit ihren Antioxidanten den Samen zu schützen.

Das ist wie bei allen Früchten: die wirklich bedeutenden Stoffe sitzen in der Schale. Inzwischen experimentieren wir auch mit dem Fruchtfleisch der Kaffeekirsche, mit den Blättern, Blüten, etc., und hoffen, bald die ganze Pflanze anstatt nur die ganze Frucht zu verwerten.

Diese Teile der Pflanze müssen Sie dann aber, im Unterschied zu dem Silberhäutchen, dass ja mit den grünen Bohnen kommt, eigens importieren, richtig?

Ganz genau. Dafür arbeiten wir mit denselben Plantagen zusammen, von denen unsere Familie schon seit vielen Jahren die Bohnen bezieht. Sie liefern uns nun auch die anderen Bestandteile der Pflanze.

Wie ist das, wenn man in so einer alteingesessenen und renommierten Firma wie jener Ihrer Familie einen komplett neunen Geschäftszweig kreiert?

Da gibt es doch sehr viel Druck. In der Tat steht der Name Illy ja für höchstmögliche Qualität, deswegen konnten wir unmöglich etwas machen, ja nicht einmal andenken, das nicht auf demselben Qualitätsniveau ist. Aber es ist auch eine tolle Erfahrung, weil man selbst sehr viel lernt und auch die Firma etwas dazulernen kann.

Wir hatten natürlich auch den Vorteil eine sehr bedeutende Forschungsabteilung nutzen zu können. Mein Vater ist ja geradezu besessen von der Idee, den besten denkbaren Espresso zu servieren. Und so wird bei Illy bereits seit Jahren an Kaffee geforscht. Auf diese Forschungsabteilung konnten wir uns stützen, gleichzeitig gaben wir ihr, dank der neuen Produkte, eine noch bedeutendere Rolle als sie bislang hatte.

„Die Energie, die Kaffee uns gibt, wenn wir ihn trinken, gibt er auch unserer Haut“, erklärt Andrea Dominique Illy (rechts).

Was war, technisch gesprochen, die größte Herausforderung?

Also ganz sicher die Aufgabe, aus den Grundstoffen ein Extrakt zu gewinnen, in dem soviel wie möglich von den genannten positiven Stoffen bewahrt bleiben. Darin hatten wir und auch niemand sonst irgendwelche Erfahrung. Aber auch da kam uns sehr zugute, dass die Firma unserer Familie schon seit sehr langem in Triest ein Forschungszentrum namens Università del Caffè betreibt, wo wir ausprobieren, experimentieren und uns beraten lassen konnten.

Ist auch Amarey in Triest angesiedelt?

Produziert wird freilich in Triest, weil hier unser Kaffee gelandet wird und wir hier die nötige Infrastruktur haben. Der Firmensitzt und die Büros aber sind in Mailand.

Und woher stammt der Kaffee, den Sie verarbeiten?

Also bislang hauptsächlich von Partnern aus Äthiopien und Brasilien, aber wir sind intensiv am Erforschen, welche Pflanzen aus welchen Regionen sich am besten eignen für unser Zwecke und für die einzelnen Produkte. Da werden also vermutlich noch weitere Länder hinzukommen.

Und diese Partnerbetriebe profitieren insofern von der Neuerung, als sie mehr Absatz als zuvor erzielen. Sie selbst haben Umweltwissenschaften studiert. Gibt es noch weitere sozial und ökologisch nachhaltige Aspekte, die sie beachten?

Wichtig zu sagen ist, dass wir viel Wert auf die Arbeit mit Frauen in den Produktionsländern legen. Denn Kaffee ist alles andere als eine reine Männersache, weltweit stellen Frauen die Hälfte aller Menschen, die in der Kaffeebranche arbeiten.

Außerdem verwenden wir selbstverständlich Recyclingmaterial für unser Verpackungen und stellen sicher, dass alles, was wir machen und auch der der gesamte Betrieb klimaneutral ist. Vor Jahresende werden wir auch ein neues, biologisch abbaubares Packaging einführen, das man dann ganz einfach in der Biotonne entsorgen kann.

Wie teilen sie sich die Aufgaben mit Ihren Schwestern?

Also ich bin die einzige von uns dreien, die hauptberuflich für Amarey tätig ist. Meine Schwestern haben alle beide auch noch andere Berufe. Jacqueline, die Mittlere, unterstützt mich beim Marketing und Micaela bei wirtschaftlichen sowie taktischen Entscheidungen.

Ist es das erste Mal, dass sie mit Ihren Schwestern arbeiten?

Es ist das erste Mal, dass wir zusammenarbeiten, und es ist ganz wundervoll. Wir verbringen wieder sehr viel mehr Zeit miteinander und gewöhnen uns auch aneinander. Was freilich positiv ist. Denn früher oder später werden wir ja auch den Familienbetrieb gemeinsam führen müssen. So gesehen ist also auch eine gute Schule und Erfahrung.


Facts & Figures

Amarey ist ein biowissenschaftliches Unternehmen, das die Kraft von Coffea Arabica in kosmetischen und nutrazeutischen Produkten nutzen will. Die aktiven Inhaltsstoffe werden also aus Kaffee extrahiert, um die weltweit erste funktionelle Hautpflege aus regenerierten Kaffee-Extrakten herzustellen. Die Wirkstoffe von Amarey werden auch als sauberer Ersatz für einen Sektor vermarktet, der heute noch zu sehr von Rohstoffen und extraktiven Ressourcen abhängig ist. Aktuell arbeiten acht Leute im Unternehmen, das erst vor einem Jahr gegründet wurde – drei im Labor, zwei im Kreativbereich plus die drei Illy-Schwestern.

Zu den Personen

Andrea Dominique Illy, geboren 1998, hat 2018 an der New Yorker NYU ein Studium der Umweltwissenschaften abgeschlossen und war danach als Consultant in Sachen Umweltverträglichkeit in Mailand tätig. Ihre Schwestern: Jacqueline Illy, 24, ist Marketingexpertin und hat für die internationale Werbeagentur TBWA in London gearbeitet, bevor sie sich selbstständig machte und ihre eigene Kommunikations-Agentur gründete.

Micaela Illy, 27, ist Unternehmerin. Trotz ihres jungen Alters war sie bereits bei der Boston Consulting Group in Mailand tätig, war CEO der Schokoladenfirma Prestat und hat die Start-Up Eatsready mitbegründet.

Zum Autor

Georges Desrues lebt als freier Autor und Fotoreporter seit fünfzehn Jahren in Italien, die letzten acht davon in Triest. Seine Spezialgebiete sind Reisen, Essen und Trinken sowie Landwirtschaft. Sein zuletzt Buch »Triest für Fortgeschrittene« (Styria) hat sich bislang mehr als 15.000-mal verkauft. Zuletzt erschien von ihm im selben Verlag „Istrien und Rijeka für Fortgeschrittene“.

 

Fotomaterial(c) Illy

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