StartBusiness"Wir denken nicht mehr in Stellenprofilen, sondern in Kompetenzen und Rollen"

„Wir denken nicht mehr in Stellenprofilen, sondern in Kompetenzen und Rollen“

Wertschätzung als Asset, keine klassischen Hierarchiemodelle oder Stellenprofile, Beteiligung der Mitarbeitenden - die IT-Beratung Viadee landet mit ihrem Führungsansatz immer wieder in der Top Ten von "Great Place to Work". Ein Interview mit der Doppelspitze Rita Helter und Volker Oshege über unpassende Kandidaten und weniger Wachstum.

Viadee ist als relativ kleines mittelständisches Unternehmen mit rund 200 Beschäftigten und etwa 50 freiberuflichen Mitarbeitenden immer wieder im Ranking von „Great Place to Work“ unter den Top 10 zu finden. Wie gelingt das?

Rita Helter: Wir nehmen die Befragung der Mitarbeitenden für „Great Place to Work“ sowie ihr Feedback darauf sehr ernst und ändern die angesprochenen Dinge tatsächlich – auch vermeintlich kleine Dinge wie etwa die Abrechnung von Reisekosten. Wir haben viele Ergebnisse als Aufhänger für unsere aktive Personalarbeit genommen und umgesetzt. Dadurch werden unsere Beschäftigten gesehen und wirksam. Und wir leben unsere Werte, statt sie auf Plakaten an die Wand zu heften.

Wenn Sie ein so begehrter Arbeitgeber sind, spüren Sie dann den Fachkräftemangel?

Rita Helter: Auch wir merken, dass es nicht mehr so viel Nachwuchs gibt. Wir schauen aber sehr genau hin, wen wir auf unsere Reise mitnehmen können. Denn wir machen einiges anders, als klassische Unternehmens- und IT-Beratungen.

Sie setzen beispielsweise auf kompetenzbasierte Führung, wie sieht das konkret aus?

Volker Oshege: Wir denken inzwischen nicht mehr in klassischen Status-Hierarchien oder Stellenprofilen, sondern in einem Mix von Kompetenzen und Rollen. Durch diese Form der Diversifizierung können unsere Beschäftigten ihre Talente gezielt einsetzen und auch mehrere Tätigkeiten und Verantwortungen haben. Wir suchen Entwicklungsmöglichkeiten, die zur jeweiligen Person passen. Daraus entsteht eine Ämterhäufung, die natürlich anspruchsvoll, aber genau so gewollt ist. Bei uns gibt es nicht „die im Marketing“, sondern eine Verzahnung der Abteilungen – je nach den Erfordernissen im Projekt.

Wertschätzung ist für Sie ein wichtiges Instrument. Das klingt gut – aber wie setzen Sie das operativ um?

Volker Oshege: Zunächst sind wir eine nicht börsennotierte AG, deren Anteile den Mitarbeitenden gehören. Damit entsteht bereits ein Verhältnis auf Augenhöhe. Aber es greift zu kurz, eine einzelne Maßnahme als Nachweis für Wertschätzung zu sehen. Eine wertschätzende Unternehmenskultur ist mehr als die Summe ihrer Teile. Es braucht einen langen Atem und die entsprechende Haltung. Viele schreiben sich das auf die Homepage, aber es authentisch umzusetzen, das müssen sie immer wieder an verschiedenen Stellen zeigen und mit Referenzen unterlegen.

„Übergroße Egos fühlen sich bei uns sicher nicht wohl“ (Rita Helter)

Rita Helter: Genau – Wertschätzung ist ein komplexes Gebilde, das sich über viele Jahre entwickeln muss und auf Vertrauen basiert. Auf dem Vertrauen, das mir bei jeder Begegnung im Unternehmen mein Gegenüber mit Wertschätzung begegnet. Konkret werden Entscheidungen bei uns gemeinsam getroffen, Selbstverantwortung wird großgeschrieben. Größere Themen oder Probleme spielen wir immer wieder ins Gesamtpanel des Unternehmens zurück und beteiligen möglichst viele. Diesen Weg führen wir übrigens im Sinne des Gründerteams fort, das Viadee vor 29 Jahren an den Start gebracht hat.

Auch beim Thema Wachstum sehen Sie die Dinge anders, als viele andere Unternehmen…

Volker Oshege: Für uns ist Wachstum das Resultat unseres Wirtschaftens, aber kein Ziel an sich. Natürlich brauchen auch wir einen bestimmten Umsatz. Aber wir glauben beispielsweise nicht an individuelle Belohnungen für individuelle Leistungsziele, sondern wir haben einen ganzheitlichen Ansatz. Der führt aus unserer Sicht zu einem größeren Willen zur Kooperation.

Rita Helter: Das müssen die Bewerbenden aber wollen. Deshalb prüfen wir eben sehr genau im Recruiting, wer damit längerfristig gut umgehen kann. Übergroße Egos fühlen sich bei uns sicher nicht wohl.

Woran merken Sie, dass sich Ihre Strategie auszahlt?

Volker Oshege: Unter anderem an unseren Kunden und einer Wiederbeauftragung von 90 Prozent. Dazu kommt eine extrem niedrige Fluktuation, von 213 Leuten sind 5 in diesem Jahr ausgestiegen – davon sind 3 in den Ruhestand gegangen.

„Wir sind bereit, uns auch führen zu lassen“ (Volker Oshege)

Dann haben Sie vielleicht eine Antwort auf die häufig gestellte Frage: Wie funktioniert hybride Führung?

Rita Helter: Hybrid ist auch für uns eine Art „Extremsport“, allerdings in entspannter Form. Wir haben schon vor Corona viel remote gearbeitet. Als Unternehmen ist es wichtig, genug Begegnungsflächen zu bieten. Und die meisten unserer Leute kommen gern ins Büro. Für uns ist es wichtig, eine gesunde Mischung besonders im Kundenkontext zu bieten. Es lässt sich vor allem nicht stereotypisieren. Gerade die jüngeren Beschäftigten haben aus unserer Erfahrung ein hohes Bedürfnis, persönlich „anzudocken“.

Welche Form der Führung üben Sie denn aus?

Rita Helter: Volker kümmert sich um die Marktentwicklung, ich verantworte Personal und Finanzen. Wir kommen beide aus der Viadee-Welt und haben die Kultur schon länger erlebt, bevor wir in den Vorstand gekommen sind. Wir vertreten ein bestimmtes Menschenbild, bei uns sind Junior-Berater genauso wichtig wie wir als Vorstand. Das vermitteln wir übrigens auch unseren Kunden. Ich habe eine Coaching-Ausbildung und verbinde damit meine Form der Kommunikation – zum Beispiel die Gedankenwelt meiner jeweiligen Gegenüber nicht sofort mit meinen eigenen Erfahrungen zu überdecken.

Volker Oshege: Ich habe die Gewaltfreie Kommunikation für mich entdeckt, hier bilde ich inzwischen auch unsere Mitarbeitenden fort. Am wichtigsten für uns beide aber ist: Wir sind bereit, uns auch selbst führen zu lassen. Denn wir glauben als Vorstand unseren Mitarbeitenden in ihren jeweiligen Bereichen, sie sind die Fachleute.


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Fotomaterial© Viadee

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