Viele Menschen empfinden Umzüge als großen Stress. Sie haben Relocation zu Ihrem Beruf gemacht. Was fasziniert Sie an diesem Geschäft?
Es macht mir sehr viel Freude, Menschen kennenzulernen, und ihnen zu helfen, in einem neuen Land Fuß zu fassen. Ich habe selbst Zeit im Ausland verbracht und weiß, wie es sich anfühlt, einen Umzug über Kontinente hinweg zu stemmen – das ist keine Kleinigkeit. Dass wir unseren Kundinnen und Kunden bei allen Aspekten ihres Umzugs, von Wohnungssuche über Steuerthemen hin zu Einwanderung und Administration, zur Seite stehen können, ist sehr erfüllend. Außerdem genieße ich die Vielfalt in meinem Beruf, denn ich sehe so viele verschiedene Nationalitäten und Lebenswege.
Ich selbst habe das Business ursprünglich als alleinerziehende Mutter entdeckt – die verschiedenen Zeitzonen, in denen sich meine Kundinnen und Kunden befanden, erlaubten es mir, auch dann flexibel zu arbeiten, wenn meine Kinder in der Schule oder im Bett waren.
Ihr Start-up Noah Mobility setzt neben Digital-Plattformen vor allem auf den menschlichen Faktor. Sind Sie in diesen Zeiten mit diesem Konzept wettbewerbsfähig?
Wir glauben an die Verbindung von Menschen und Technologie. Umzüge in ein anderes Land sind ein hoch sensibles Thema. Es gibt so viele Ängste, Sorgen und Fragen. Mein Leitspruch ist: Billig zahlt doppelt. Wenn Mitarbeitende abspringen, weil ihre Familien im Ziel-Land nicht versorgt sind bzw. keinen Zugang zur Infrastruktur haben, dann ist das für Unternehmen ein echter Verlust. Wir können nicht so günstig anbieten wie unsere Mitbewerber im Markt, hinter denen meist große VC-Companies stehen. Im Gegensatz dazu bootstrappen wir unser Geschäft. Aber wir überzeugen viele Unternehmen, die unsere Werte teilen und einen nachhaltigen „handholding service“ möchten – denn diejenigen, die umziehen, möchten keine Nummer sein. So wachsen wir mit unseren Geschäftskunden.
Wer arbeitet für Sie?
Wir vertrauen zu einem großen Teil auf Freelancer – aus meiner Sicht ist das ja nur eine andere Vertragsform, wir sind trotzdem ein Team. Häufig sind es Frauen, die wieder in den Beruf einsteigen möchten, oder die aus Jobs kommen, die sich verändern – etwa Übersetzerinnen. Freelancer geben uns und unseren Kundinnen und Kunden dabei Flexibilität. Unsere Mitarbeitenden können hier anderen Menschen ihr Zuhause näherbringen und einen echten Mehrwert schaffen. Häufig ergeben sich oft auch wertvolle persönliche Beziehungen.
Wie können Sie denn als relativ kleines Unternehmen ein internationales Angebot schaffen?
Das funktioniert neben der Arbeit mit Freelancern vor allem über Kooperationen mit lokalen „Boutique“-Agenturen. Wir bringen die Technologie mit, und sie liefern ihre Kontakte und Erfahrung vor Ort. Diese Relocation-Modelle würden ohne innovative Plattformen aussterben. Oft sind das Unternehmen, die von Frauen geführt werden, so entsteht ein Netzwerk auf Augenhöhe mit einem hohen Servicelevel und viel Erfahrung.
Wie funktioniert Relocation bei Ihnen konkret?
Relocation ist tatsächlich eher ein „female business“. Bei uns bekommen die Umziehenden jeweils einen Consultant an die Seite, diese Person kann im Vorfeld selbst ausgesucht werden. Der oder die Consultant übernimmt alle Behördenwege, Schulanmeldungen etc. Ziel ist es, dass die neuen Mitarbeitenden von Tag eins an im neuen Unternehmen voll durchstarten können, und nicht parallel mit ihrem Internetanschluss beschäftigt sind.
Bei uns bekommen Kunden noch den „human touch“, wir halten nichts von Bots. Technologie unterstützt aber die Zusammenarbeit inzwischen effizient und erleichtert unserem Team die Arbeit immens. Wir haben fünf Plattformen, die zusammenspielen, KI spielt dabei eine große Rolle. Die Zeiten, in denen der Umzug von 2000 Beschäftigten per Excel-Listen organisiert wird, sind zum Glück vorbei. Wir haben eigene Plattformen entwickelt, die wir ständig anpassen und ausbauen. So haben alle Stakeholder jederzeit volle Transparenz.
Wohnungen und Kindergartenplätze sind inzwischen überall knapp, Behörden ständig überlastet. Wie lösen Sie diese Herausforderungen im System?
Tatsächlich gibt es Engpässe. Durch unser Netzwerk, das wir über viele Jahre ausgebaut haben, entstehen für uns aber andere Möglichkeiten. Auch die Einkommensstufen, mit denen wir es zu tun haben, erleichtern die Suche.
Darüber hinaus stehen wir, wo immer es möglich ist, im Austausch mit lokalen Entscheidern und teilen unsere Sicht der Dinge mit Blick auf die besonderen Herausforderungen, die Neuankömmlinge in Deutschland haben – gerade für nicht-deutschsprachige, neuzugezogene Wohnungssuchende, die vielleicht noch nie zuvor in Europa gelebt haben, hat der Wohnungsmarkt besondere Tücken, die auch auf systemischer bzw. struktureller Ebene immer mitgedacht werden sollten.
„Relocation ist ein Female Business“
Auch Fachkräfte sind knapp – wie trifft Sie diese Entwicklung?
Auf unsere Branche wirkt sich der Fachkräftemangel in Deutschland auf eine Art positiv aus, da wir viel mit Beschäftigten zu tun haben, die nach Deutschland ziehen, um die unbesetzten Stellen zu füllen, für die so händeringend qualifizierte Fachkräfte gesucht werden – aktuell etwa Pflegekräfte aus den Philippinen oder IT-Expertinnen und Experten aus Indien.
Für unsere eigenen Teams profitieren wir vom Wissens- und Erfahrungsschatz von Quereinsteiger:innen, Relocation ist ja kein Ausbildungsberuf. Es gibt aber auch die Bewegung in die andere Richtung, denn die Automotive-Industrie expandiert beispielsweise derzeit stark nach Indien. Da gibt es gerade eine Menge Bewegung im Markt.
Sie haben Ihre gesamte berufliche Laufbahn und Ihre Gründung ohne Schulabschluss und demnach ohne Abitur gestemmt, mussten verschiedene beruflich Hürden wie eine Insolvenz meistern. Was treibt Sie an?
Nach der Trennung von meinem Mann war es zunächst die Existenznot, denn das System in Deutschland hatte mich nach meiner Zeit im Ausland nicht aufgefangen. Ich sehe mich aber nie in der Opferrolle, sondern nehme Herausforderungen an und versuche mich immer wieder neu zu erfinden. Schließlich befinden wir uns in Europa.
Finanziell habe ich es ohne VC’s, aber mit der Hilfe von Freunden und Familie geschafft. Auf mein „Support-System“ bin ich im Übrigen besonders stolz, tolle Menschen, Kollegen:innen und Ratgeber.
Inzwischen bin ich glücklich wieder verheiratet, habe drei Töchter und führe mit Begeisterung und Leidenschaft das Unternehmen Noah Mobility. Ein fehlender Schulabschluss war kein Hindernis. Viele Leute, die studiert haben, haben nach dem Studium aufgehört sich weiterzubilden. Ich entwickle mich ständig weiter und lerne immer dazu, lese sehr viel und alles, im Besonderen Biographien. Es geht eben auch ohne Abitur oder als alleinerziehende Mutter. Ich möchte für andere Frauen ein Rolemodel sein und zeigen, dass man alles schaffen kann, was man sich vornimmt, hinfallen gehört leider dazu – ebenso, wie andere dies für mich waren.
Katrin Ruland ist eine Unternehmerin aus München und seit 2001 im Relocation Business tätig. 2018 hat sie das Relocation Tech-Unternehmen Noah Mobility gegründet und leitet dieses seit 2020 als CEO. Die Mutter von drei erwachsenen Töchtern engagiert sich außerdem für Mädchenbildung in Entwicklungsländern.