Für eine Frau, die für ihre Arbeit und ihre Meinung regelmäßig Morddrohungen erhält, wirkt Düzen Tekkal erstaunlich gelöst – egal, ob man persönlich mit ihr spricht oder ihr Leben und Wirken auf dem Instagram-Profil mit mehr als 200.000 Followern verfolgt. „Ich bin sehr resilient. Hätte ich nicht den heiligen Zorn meiner jesidisch-kurdischen Großmutter geerbt, wäre ich längst aus der Kurve geflogen“, erklärt die Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Sozialunternehmerin, die zu den lautesten und einflussreichsten Stimmen für Menschenrechte in Deutschland zählt.
Mit ihrer Organisation HÁWAR.help, die sie mit ihren Geschwistern kurz nach dem Völkermord an den Jesiden durch den IS vor zehn Jahren gegründet hat, implementiert sie unter anderem Entwicklungs- und Bildungsprogramme im Irak, in Afghanistan – und in Deutschland. Ihre Vision: Eine Welt, in der Menschen- und insbesondere Frauenrechte keine Frage der Herkunft, der Religion und Ethnie sind und in der Täter*innen nicht nur klar benannt, sondern auch zur Rechenschaft gezogen werden.
Im Interview erklärt sie, warum Frauenrechte nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Deutschland gefährdet sind, welche feministischen Illusionen wir endlich ablegen müssen und wie wir alle wieder näher zusammenrücken können.
Überall in Europa erstarken extremistische Kräfte. In Deutschland ist eine rechte Partei nun zweitstärkste Kraft im Bundestag. Blicken wir düsteren Zeiten entgegen?
Ich stimme nicht gern in diesen Untergangs-Singsang ein, den man gerade überall in Deutschland hört. Wir erreichen mehr,wenn wir ohne Hysterie in die Zukunft blicken. Aber ja, die Wahl war eine Ansage. Die Errungenschaften, die Generationen von Frauen vor uns erstritten haben, werden wieder in Frage gestellt. Und zwar nicht nur von Rechten, sondern auch von Tech-Oligarchen, Rassisten, Antisemiten und Islamisten. Sie alle haben eines gemeinsam: den Hass auf Frauen. Das heißt nicht, dass Frauen nicht auch all das oben Beschriebene sein oder es zumindest mit ihrem Verhalten stützen können. Aber es ist besorgniserregend, zu sehen, wie sich das Zurückdrängen von Frauenrechten online und offline Bahn bricht.
Wie meinen Sie das?
Wir erleben gerade eine Hexenverfolgung 3.0. Jede Frau, die es wagt, sich öffentlich zu positionieren, wird von allen Seiten angegriffen, diffamiert und dehumanisiert. Und zwar so, dass es strafrechtlich relevant ist. Wir müssen uns für alles rechtfertigen, was wir sagen, wie wir es sagen – und auch für das, was wir nicht sagen.

Sie sind selbst immer wieder Zielscheibe – von rechter Seite werden Sie rassistisch angegriffen, während linke Aktivist*innen Ihnen eine zu große Nähe zur CDU vorwerfen. Auch für Ihre uneingeschränkte Solidarität mit den israelischen Opfern des Hamas-Terrors vom 7.10. bekommen Sie viel Gegenwind in den Sozialen Medien.
Es gibt Stimmen in unserer Gesellschaft, die über solche Kampagnen versuchen, mich für bestimmte Gruppen zu verunmöglichen und meine Integrität in Frage zu stellen. Was macht mich CDU-nah? Dass ich vor zehn Jahren von der Bundesregierung unter Merkel als Integrationsbeauftragte gehandelt wurde? Darauf bin ich stolz! Ich habe kein Parteibuch, und wenn ich irgendwo dazugehören will, dann zu den Kämpfer*innen für universale Menschenrechte. Das bedeutet, dass ich keine Opfer silence, weder jüdische, muslimische, jesidische noch kurdische.
Ein häufiger Vorwurf lautet auch, dass Sie als laute Stimme in den Medien und in Ihrer Rolle als Sozialunternehmerin zu viel Macht haben…
Zu viel Macht wofür? Ja, ich habe Einfluss. Ich habe lange genug dafür gekämpft. Aber ich würde meine Macht als eine dienende beschreiben. Sie ist ein Kraftfeld, das ich anderen zur Verfügung stelle. Mir soll kein privilegierter weißer Mann erzählen, dass ich zu viel Macht habe. Denn ich weiß, was Ohnmacht bedeutet. Um ehrlich zu sein: Ich habe mich im Kampf um Frauenrechte noch nie so einsam gefühlt. Und dabei macht mich nicht nur die Niedertracht der Täter fassungslos.
Sondern?
Ich bin erschrocken über die, die mitmachen, die sich über ihre Smartphones mitfreuen, die mitklatschen und heimlich hoffen, dass an den Gerüchten und Hetzkampagnen etwas dran ist. Die, die so tun, als wenn es im Kampf gegen rechts kein Vertun gibt, aber sich in Wirklichkeit an Frauen abarbeiten. Dabei sind es eben nicht nur Männer, sondern auch Frauen, die uns in den Rücken fallen, die in rechten Parteien Karriere machen oder sich mit Islamisten im Kampf gegen den vermeintlich imperialistischen Westen verbünden.

Was bedeutet das für die feministische Solidarität?
Wir sind wieder an einem Punkt angelangt, an dem sich Frauen gegenseitig angreifen, weil sie das Gefühl haben, besser dran zu sein, wenn sie sich der Meinung der Männer unterordnen. Das Patriarchat gewinnt wieder an Stärke, und wir haben es nicht geschafft, Möglichkeitsinseln zu schaffen, losgelöst von diesen Strukturen und dem Druck. Wir müssen uns auch von der Illusion verabschieden, dass sich Frauen per se solidarisch verhalten und keine Täterinnen sein können. Dieses Märchen habe ich begraben, als die IS-Mörderbanden mit weiblicher Unterstützung unsere jesidischen Frauen vergewaltigt und versklavt haben. Täterschaft verläuft nicht zwischen X- und Y-Chromosomen.
Wie können wir uns gegen die vielen Bedrohungen von allen Seiten wehren – und gleichzeitig wieder mehr zusammenrücken?
Wir dürfen uns in dem Kampf um Frauenrechte nicht kleinreden lassen. Und dafür brauchen wir strukturelle Unterstützung. Insbesondere Tech-Unternehmen und unsere Strafverfolgungsbehörden müssen hier konkrete Antworten liefern, wie sie Frauen und ihre Rechte künftig besser schützen wollen. In der Zwischenzeit bringe ich alle Drohungen und Beleidigungen online und offline zur Anzeige – und ich mache viele der Angriffe öffentlich. Ich möchte anderen Frauen damit zeigen, dass wir uns das nicht gefallen lassen müssen. Und eben nicht machtlos sind.

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie nur noch auf den Hass reagieren und gar nicht mehr proaktiv gestalten?
Überhaupt nicht. Unsere Frauenhäuser sind in Afghanistan und Irak, nicht im Internet. Mein Leben findet immer noch hauptsächlich in der realen Welt statt. Ich würde mir wünschen, dass sich wieder mehr Menschen bewusst machen, dass eine Info-Kachel auf Instagram kein Aktivismus ist. Wir müssen uns immer wieder fragen: Welchen Beitrag kann ich leisten, um das Leben einer anderen Frau und die ganze Gesellschaft positiv zu verändern? Denn: Wir haben keinen Mangel an Meinung, wir haben Mangel an Impact und Umsetzung. Und ich hoffe, dass wir Frauen endlich wieder richtig wütend werden. Denn Wut trainiert unseren Mutmuskel.
Wo finden Sie Zuversicht?
Ich habe einen Safe Space, in dem ich geliebt werde für die Person, die ich bin. Und ich habe ein Umfeld, auf das ich mich verlassen kann. Wenn ich mal wieder das Gefühl habe, die ganze Welt hat sich gegen mich verschworen, dann tut es sehr gut, mit diesen klugen und wohlwollenden Menschen zu sprechen.