Wurden auch Sie im letzten Jahr intelligenzgestestet? Wollte man wissen, wie viele Nobelpreisträger in Ihrer Familie sind? Hat man Sie wenigstens nach Ihren Abschlüssen (Abitur/Matura, Studium, Lehre) befragt – oder wie Ihre Schulklasse, Schule, Stadt oder Ihr Bundesland PISA-mäßig abschnitt? Nein, hat man nicht?! Komisch – denn vor wenigen Tagen kam die Liste der cleversten Länder der Welt heraus, und da rangiert Österreich immerhin an 10. Stelle, während es Deutschland nur auf Platz 22 schaffte.
Das Mindeste, das man sich angesichts eines derart bedeutsamen Ergebnisses retrospektiv erwartet hätte, ist doch, dass irgendwann das Telefonat geklingelt und eine freundliche Stimme gefragt hätte: „Und wo hatten Sie Ihre Eins im letzten Jahr?“. Aber es hat nicht geläutet. Weder bei Ihnen, noch bei uns und auch nicht bei mir. Trotzdem basiert dieses Studienergebnis des britischen Vitaminpräparat-Erzeugers Supplement Place auf Leistungen, die Sie in irgendeiner Form mitgetragen haben.
Die Studienautoren werteten den durchschnittlichen IQ der Länder (in Deutschland und Österreich 100), den Anteil der Bevölkerung mit höherer Bildung (Deutschland: 33,5%, Österreich 33,8%), die Nobelpreis-Frequenz (in Deutschland 84, in Österreich schwankt die Zahl zwischen 23 und 29) sowie das durchschnittliche PISA-Resultat aus (Deutschland 500, Österreich 491) aus. Und hier beginnt das Erstaunliche: Sobald man sich die Mühe macht, die einzelnen Daten herauszupicken, merkt man, dass hier etwas nicht stimmen kann.
Das gleiche gilt übrigens für Reiche-Charts. Fast zur selben Zeit, in der die Clever-Liste publiziert wurde, brachte Forbes sein alljährliches Ranking der Superreichen heraus. Dabei gelten diese Listen in Kennerkreisen als höchst umstritten, da sie nur auf Schätzungen basieren können (Umsatz, Profitabilität, Marktposition). So scheinen bei Österreichs Milliardärsliste diesmal die Namen von Signa-Gründer René Benko oder Investor Michael Tojner auf, obwohl deren „gemessene“ Vermögen auf Zahlen beruhen, die nicht unerheblich mit dem Kapital Dritter erreicht werden. Alteingesessene Milliardäre wie etwa Glock, Flick oder Horten hingegen kommen unter den Top-Ten gar nicht mehr vor.
Doch gegen den Unterhaltungswert solcher Charts hat spaßbremsendes Hinterfragen keine Chance. Schlimm ist nur: Ohne es zu merken, haben auch wir uns längst zu Knechten des Punktesammelns gemacht – egal, ob es um Bildung (die Bundesregierug macht jetzt sogar den Studienerfolg und damit die Möglichkeit ein Studium abzuschließen von Punkten pro Zeiteinheit abhängig), Recruiting (Assessment-Center) oder eben das Bemessen von Erfolgen geht. Wichtige Lebensbereiche landen damit in der Verdurchschnittlichung und werden behandelt wie Kreditpunktesammeln im Supermarkt. Das bringt Vorteile – 10, 15 oder 20 Prozent Rabatt! –, aber auch Verluste. Denn was dabei auf der Strecke bleibt, sind Erzählung und echte Qualität.