Ich gebe zu, ich bin kein Fan der klassischen Eckkneipe, für mich darf es gern ein schickes Café sein. Mein Freundeskreis zählt für neueste Tipps aus der Gastro-Szene auf mich, und damit trage ich wahrscheinlich sogar zur Gentrifizierung und zur abnehmenden Durchmischung im Viertel bei. Das zweite Wohnzimmer oder der dritte Ort, an dem sich verschiedene Generationen und Mindsets treffen, darf jedoch nicht verloren gehen – diese Erkenntnis ist bei mir erneut in Berlin bei der re:publica gereift, der mit rund 30 000 Besucher:innen größten europäischen Konferenz für die digitale Gesellschaft. Seit 2006 war sie für „unsere“ Twitter-Gemeinde der jährliche analoge Treffpunkt, der sichere Hafen, den wir jedes Jahr angesteuert haben. Seit der Übernahme der Plattform durch Elon Musk sind wir tatsächlich digital rast- und heimatlos, daran konnten auch Bluesky oder das Fediverse bislang nur wenig ändern.
Umso wichtiger für mich, wieder an die Spree zu reisen. Den persönlichen Kontakt suchen und aushalten. Diskussionen zulassen, eigene Meinungen infrage stellen (lassen). Alte Wegbegleiter:innen treffen. Denn wir verbringen immer mehr Zeit in unseren Filterblasen, vor dem Bildschirm. Und selbst wenn wir uns mit so vielen anderen auf denselben Plattformen tummeln: Der Ausschnitt, den wir zu Gesicht bekommen, ist klein. Auf den so genannten sozialen Plattformen geht es gezielt um Fragmentierung. Die Algorithmen schieben uns in Kategorien, lassen uns nur noch sehen, was in die geschäftliche Logik der Betreiber passt, machen süchtig und polarisieren. „Diese Fragmentierung verläuft nicht klar zwischen den Generationen, sondern eher zwischen sozioökonomischen und politischen Hintergründen“, weiß Theresia Crone, die Initiatorin von #ReclaimTikTok und Gründerin der Kampagne #EndEndoSilence, die sich für mehr Sichtbarkeit von Endometriose stark macht. Sie wünscht sich online wie offline mehr Orte, wie einen englischen Pub (übrigens abgeleitet von public house) – ohne Dresscode, dafür mit gemeinsamen Spielen wie Darts. Heute, so beschreibt es Crone, sei das Internet kein netter Ort mehr – vielmehr „sitzen in der einen Ecke russische Spione und an der Bar ein verschlafener Kommissar der fragt: Kannst du mir erklären, wie man einen Screenshot macht?“
„Aufmerksamkeit ist Zeit x Intention“
(Maja Göpel)
Die Filterblasen durchbrechen, die eigene Aufmerksamkeit als wertvolles Gut sehen und sie entsprechend steuern – dazu rief Transformationsforscherin und Top-Speakerin Maja Göpel bei der re:publica auf. „Aufmerksamkeit ist Zeit x Intention“, so Göpel. „Wie verwenden wir sie?“ Den Betreibern diese kostbare Währung nicht leichtfertig überlassen, das Doomscrollen einstellen, die Ablenkungsstrategie „Flood the zone with shit“ nicht mitmachen – stattdessen gezielt Accounts unterstützen, die sich für Lösungen und faire Berichterstattung einsetzen und danach das Smartphone weglegen – das war nicht nur der Appell von Maja Göpel.
Die Aufmerksamkeitsökonomie der Plattformen bedrohe die Demokratie, und dazu die Geschäftsmodelle von Influencer:innen, Medien oder Shops. Denn die privaten Monopole verteilen die Reichweite nach undurchschaubaren Prinzipien. Mehr noch: Wer sich zeigt, etwa als politische Aktivistin, muss z.B. Anwaltskosten oder erhöhten technischen Aufwand mit einrechnen, erklärte Theresia Crone.
Patricia Cammarata, im Web bekannt unter „dasnuf“ und Autorin von „Raus aus der Mentalload-Falle“ sieht ebenfalls die Gefahr, dass wir die Vernetzung in der „Kohlenstoff-Welt“ verlernen. Doch sie weiß auch, dass noch immer viel für die digitale Welt spricht – nicht ohne Grund halten wir uns bei aller Suchtgefahr gern darin auf. Etwa seien die Plattformen leicht zugänglich und dann verfügbar, wenn wir Zeit haben. Engagement und Teilhabe seien damit beispielsweise auch für Sorgearbeiter:innen möglich, so Cammarata. Sie rief dazu auf, je nach Lebensphase wieder bewusster ins Außen zu gehen und sich immer wieder klar zu machen: „Vom planlosen Herumscrollen profitieren nur die Plattformen.“
Der anstehende Sommer bietet beste Gelegenheiten, physische Gesellschaft zu finden und zu stärken. Und ob unter bayerischen Kastanien im Biergarten, in Wiener Weinlauben, im Pub oder beim Public Viewing – wichtig sind Gespräche und Gemeinschaft, um Vereinzelung und Polarisierung entgegen zu wirken. Das geht natürlich auch mit Schorle statt Prozenten. Denn wo Menschen sich noch jenseits von Bildschirm und Blase treffen wächst das, was Demokratien ausmacht: Empathie, Dialog, Zugehörigkeit.
Räume und Gelegenheiten schaffen, in denen sich Generationen und verschiedene Karrierelevel treffen können, on- wie offline – das ist auch das Ziel von Sheconomy. Vielleicht sind wir eher der moderne Coworking-Space oder die schicke Bar. Doch mit jedem neuen Kontakt, mit jedem Event stärken wir die Community. Sind Sie dabei?