Wie sind Sie zur Videokunst gekommen?
Betty Mü: Ich wurde sicher von meiner Familie inspiriert. Mein Onkel war zum Beispiel verantwortlich für die Ausstattung von Filmen wie „Das Boot“ oder die „Unendliche Geschichte“, Bewegtbild hat mich von Kindesbeinen an fasziniert. 1995 zog ich nach New York, arbeitete als Grafik- und Webdesignerin und besuchte die New York University sowie die School of Visual Arts. Parallel experimentierte ich mit Super-8 Kameras und sammelte erste Erfahrungen mit Videokunst und Live-Visuals. Zurück in München, habe ich bei Medienunternehmen wie Pro7 das Animationshandwerk gelernt und mit künstlerischen Videoinstallationen begonnen, unter anderem in Clubs.
… und zwar in den angesagtesten Clubs – Sie sind mit Ihren Installationen in München zu einer der bekanntesten VJs avanciert, heute arbeiten Sie für zahlreiche große Unternehmen. Wie passt das zusammen?
Ab einem gewissen Punkt wollte ich Installationen schaffen, die länger halten und nicht so kurzlebig sind wie in der Clubszene. So sind auch Unternehmen auf meine Arbeit aufmerksam geworden. Klar, Kunst und Kommerz, das wird in Deutschland oft kritisch gesehen, aber damit hatte ich nie Probleme. Im Gegenteil, die Firmen lassen mir freie Hand und eröffnen mit ihren Budgets und Objekten immer neue Möglichkeiten. Ich bin aufgeschlossen, mit der Industrie zu arbeiten, weil das oft ein „Win-Win“ ist. So entstehen Austausch und Diskussionen über den Tellerrand hinweg.
Sie erschaffen Werke in ungewöhnlichen Dimensionen. Wie haben Sie gelernt, groß zu denken?
Mir fällt da zuerst die Eigenschaft eines Projektors ein. Mit ihm lassen sich Welten im Kleinen, en miniature, und ganz groß entwickeln – wie demnächst mein Projekt „Hey Sister“ an einem Hochhaus in Cincinnati/Ohio. Somit können ganz verschiedene Wahrnehmungen erzielt werden – der Perspektivwechsel ist für mich ein essenzieller Aspekt in der Kunst. Als kreativer Weg, aber natürlich auch als Anregung für den Betrachtenden, vielleicht einmal andere Blickwinkel einzunehmen.
Welche Eigenschaften braucht es dafür, lässt sich „groß zu denken“ trainieren?
Der Kern liegt vielleicht darin, ein Handwerk von der Pike auf zu beherrschen, aber immer die Lust am Experimentieren zu bewahren, sich immer weiter zu wagen. Gerade bei großen Projekten hängt der Erfolg an der Planung, aber es ist auch viel Improvisation gefragt. Ich habe gelernt, dass es immer eine Lösung gibt. Selbstzweifel gehören dazu, aber da rate ich: einfach weitermachen. Was wahrscheinlich nicht zu erlernen ist, ist der innere Drang, eigene Welten zu erschaffen und sich darin zu verlieren.
Welche Rolle spielt Technologie für Sie, speziell Künstliche Intelligenz?
Für mich ist das Thema KI so revolutionär wie die Erfindung der Fotografie. Die Porträtmaler von damals mussten plötzlich auch umdenken – doch was ist danach alles Wunderbares entstanden? Picasso hat einmal so schön gesagt: „Ich male die Dinge, wie ich sie denke, nicht wie ich sie sehe.“ Mit KI kommen wir jetzt erneut auf ein höheres Level. Die Frage ist: Wie kann ich sie als Ausdrucksmittel nutzen, ohne dass sie das Wesen und den Charakter meiner Kunst verändert? Viele neue Arbeiten dazu zeige ich aktuell im Innovationsparkt auf dem Internationalen Campus für KI (IPAI) in Heilbronn – auch als Mittel, um Lust auf Innovation zu machen. Ich beschäftige mich außerdem mit Augmented Reality, dazu lasse ich gerade eine eigenen AR-App programmieren. Auch hier möchte ich eine neue Ebene erreichen.
Wie kann Kunst zur Lösung gesellschaftlicher Themen beitragen?
Ich glaube, da gibt es viele Wege. Immersive und interaktive Kunst dient zum Beispiel oft als eine moderne und spielerische Art der Wissensvermittlung. In manchen Werken setze ich mich mit gesellschaftlichen und ökologischen Themen auseinander und möchte neue Denkanstöße geben – etwa mit meinem Engagement bei VideoArt4Future oder zum Lichtfest Leipzig. Der immersive Charakter meiner Arbeiten, das Eintauchen und Verschmelzen mit allen Sinnen, erlaubt ein ganz anderes Kunstverständnis als bei einer „passiven“ Betrachtung in klassischen Museen. Dadurch ist die Kunst auch für ein breiteres Publikum zugänglich, was aber nicht heißen soll, dass sie deshalb oberflächlich wird. Letztlich ist die Kunst für die Menschen da, deshalb sollte sie auch im Leben und Alltag der Menschen Wirkung entfalten. Ich freue mich aber auch dann schon, wenn Menschen etwa neugierig, beglückt oder verzaubert vor meinen Werken stehen.
Was sind nächste große Ziele?
Ich liebe München und bin an vielen Orten in Deutschland aktiv, aber aktuell blicke ich wieder verstärkt auf die USA, wo ja meine Anfänge waren.
Über den IPAI-Campus
Das Ziel des IPAI ist es, eine Plattform für angewandte Künstliche Intelligenz im Weltklasseformat zu schaffen. Dabei spielt die Schaffung mehrerer Berührungspunkte eine zentrale Rolle, um Transparenz und Verständnis für Künstliche Intelligenz in der Gesellschaft zu fördern.
Ein zentrales Element ist das öffentliche Besucherzentrum, das der Allgemeinheit den Zugang zur Künstlichen Intelligenz ermöglicht. Der Innovationspark für Künstliche Intelligenz (IPAI) soll ein Leuchtturmprojekt für Baden-Württemberg, Deutschland und Europa werden, das genügend Strahlkraft besitzt, um auf dem Weltmarkt und im globalen Wettbewerb bestehen zu können. Ausstellungen, Events und innovative Formate der Informations- und Wissensvermittlung werden gefördert, um die vielfältigen Möglichkeiten und Anwendungen von Künstlicher Intelligenz erlebbar zu machen.