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Arbeiten bis 70 – das dänische Modell und was wir daraus lernen sollten

Dänemark erhöht das gesetzliche Pensionsantrittsalter auf 70 Jahre – ein europäischer Tabubruch mit Signalwirkung. Doch was, wenn die Arbeitswelt dafür gar nicht gerüstet ist? Ein Plädoyer für Strukturwandel und mehr Ehrlichkeit unter den Generationen.

Dänemark macht ernst – und Geschichte. Als erstes Land Europas hebt es das gesetzliche Pensionsantrittsalter auf 70 Jahre an. Ab 2040 gilt diese Regelung für alle, die nach dem 31. Dezember 1970 geboren wurden. Die Begründung: Wer länger lebt, muss länger arbeiten. Klingt logisch – ist es aber nicht. Zumindest nicht, solange die Realität des Arbeitsmarkts eine andere Sprache spricht.

Das dänische Modell koppelt das Pensionsalter an die durchschnittliche Lebenserwartung von 60-Jährigen. Alle fünf Jahre wird überprüft, ob sich diese erhöht hat – und mit ihr auch das Pensionsantrittsalter. Das bedeutet: Wer heute 30 ist, könnte sich mit dem Gedanken anfreunden müssen, sogar erst mit 74 Jahren in Pension zu gehen. Eine Entwicklung, die längst auch von der Europäischen Kommission prognostiziert wird.

Doppelmoral am Arbeitsmarkt

Natürlich: In einer alternden Gesellschaft ist es notwendig, über die Finanzierbarkeit von Pensionssystemen zu sprechen. Und ja, die Lebenserwartung steigt. Doch was dabei oft übersehen wird: Die Dauer des Erwerbslebens lässt sich nicht beliebig ausdehnen, wenn die Arbeitsbedingungen nicht mitziehen. Schon heute schaffen es viele Beschäftigte körperlich oder psychisch kaum bis zum regulären Pensionsalter. Vor allem in fordernden oder emotional anspruchsvollen Berufen – etwa in Pflege, Bildung oder am Bau – ist ein Arbeiten bis 70 schlicht unrealistisch. Dies bestätigt auch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung in Deutschland. Seine klare Einschätzung: Eine Anhebung auf 70 Jahre sei angesichts der aktuellen Arbeitsrealität „illusorisch“.

Gleichzeitig erleben wir in vielen europäischen Ländern – Deutschland und Österreich inklusive – eine auffällige Doppelmoral. Auf der einen Seite fordern Politik und Wirtschaft, dass Menschen länger im Berufsleben bleiben. Auf der anderen Seite stoßen über 50-Jährige auf dem Arbeitsmarkt zunehmend auf Gegenwind. Bewerbungen werden aussortiert, weil das Alter angeblich nicht mehr „ins Profil“ passt oder weil Ältere als zu teuer beziehungsweise zu wenig produktiv gelten. Das Arbeitsmarktservice Österreich bestätigt: Wer über 50 ist, hat oft das Nachsehen. Wie also passt das zusammen? Wie sollen Menschen länger arbeiten, wenn es für sie kaum noch Beschäftigungsmöglichkeiten gibt?

Neue Perspektiven: Nicht „alt“, sondern anders

Dabei liegen die Vorteile einer echten Einbindung älterer Menschen in den Arbeitsmarkt auf der Hand: Erfahrung, Gelassenheit, Loyalität – oft auch eine große Freude an der Weitergabe von Wissen. Viele Ältere arbeiten nicht mehr für den Karriere-Boost oder den Chefsessel, sondern weil sie es können und wollen.

Herausforderungen gibt es natürlich auch: Die Belastbarkeit lässt erwiesenermaßen nach, ebenso wie die Bereitschaft zum ständigen Multitasking. Zudem bestehen bei manchen Oldies deutliche Lücken im digitalen Know-how – vor allem rund um KI und Automatisierung. Doch gerade hier könnte gezielte Weiterbildung ansetzen. Warum kommt etwa die viel gepriesene Gamifizierung nicht stärker zum Einsatz? Sie könnte ein Zeichen dafür sein, dass generationenübergreifendes Lernen wirklich ernst genommen wird.

Eine Gesellschaft, die länger lebt, muss auch anders arbeiten und kooperieren – und zwar so, dass Menschen physisch, psychisch und digital mithalten können, wenn es ihre gesundheitliche Verfassung erlaubt. Wenn wir Ältere als Ressource begreifen und nicht als Problem, kann gerade in Zeiten des Fachkräftemangels eine Win-win-Situation für alle entstehen. Das dänische Modell kann ein Anstoß sein. Doch ohne Strukturwandel bleibt es eine soziale Zumutung.

Fotomaterial(c) Canva

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