Immer noch sind Frauen in der Bubble der Investoren unterrepräsentiert. Das führt auch zu weniger Kapital, das weiblich geführten Start-ups zur Verfügung steht. Investorin und Business Angel Svenja Lassen will beides ändern. Mit Finanzbildung in geschützten Räumen, starken Netzwerken und einem Fous auf zukunftsträchtige Branchen.
Frau Lassen, kürzlich sind Sie von FOCUS MONEY mit dem Female Finance Award ausgezeichnet worden. Warum? Und welches Zeichen setzt der Award?
Karla Schönicke und ich sind für die Idee und Gründung der FIN-Academy ausgezeichnet worden, ein Programm für Frauen in der DACH-Region, die Investorinnen werden wollen. Da das der Diversität in der Investment- aber auch in der Gründungsszene einen ordentlichen Push gibt und die weibliche Perspektive mit an den Cap Table bringt, wurden wir für unser Engagement gewürdigt und freuen uns riesig darüber!
Das mit der weiblichen Perspektive hört man von Ihnen öfter. So sagen Sie: „Unsere Zukunft braucht Innovationen und diese wiederum weibliche Perspektiven.“ Was sind denn diese weiblichen Perspektiven und wie bringt das Female Investors Network FIN diese in die Wirtschaft ein?
Diversität hat viele Faktoren. Aber bei vielen Innovationen und wirtschaftlichen Produkten und Dienstleistungen werden Frauen einfach vergessen. Weil sie nicht in die Entwicklung mit eingebunden sind, weil die Gründer männlich sind und weil auch die Investoren nur männlich sind. Dann kann das ein lukratives Business sein, aber es fehlt der weibliche Blick drauf. Frauen legen Wert auf Impact, sie wollen Gutes tun mit ihrem Geld, investieren bewusst in Klima- und Umweltschutz, in Bildung, Ernährung, Landwirtschaft. Und diese Themen werden oft übersehen, wenn es nicht genug Impact Investorinnen und Frauen gibt. Mit dem FIN tragen wir aktiv dazu bei, dass der Anteil der weiblichen Investorinnen steigt.
Männer nehmen diese Perspektiven nicht ein?
Männer und Frauen haben eine unterschiedliche Denkweise. Es geht vor allem darum, beide Denkweisen zu nutzen. Ich kann nicht wie ein Mann denken, ein Mann nicht wie ich. Wir sehen in der Medizin, was herauskommt, wenn die weibliche Perspektive nicht mitgedacht wird. Lange Jahre ging man vom prototypischen Mann mit 1,80m und 85 Kilogramm als Patient aus. Fakt ist – wir lassen die Hälfte des Potenzials liegen, wenn wir weiterhin nur männlich geführte Start-ups oder Venture Capitals kultivieren. Dann besteht die Gefahr, dass Innovationen für Frauen beispielsweise als Nischenthemen abgetan werden.
Innovationen für Frauen sind Nischenthemen? Wie meinen Sie das?
Wenn zum Beispiel ein Start-up Produkte oder Services entwickelt, die für Frauen in der Menopause gedacht sind, kann es sein, dass ein rein männlich besetzter potentieller Investorenkreis das als Nischenthema abtut. Einfach, weil es sie selbst nicht betrifft und ihnen die Tragweite nicht bewusst ist. Aber wenn etwas potenziell für die Hälfte der Weltbevölkerung relevant ist, dann ist das kein Nischenthema.
Das illustriert eindrucksvoll, wieso auch und vor allem am Cap Table Diversität herrschen sollte.
Richtig, weil sonst wieder nur Männer das Kapital bekommen. Hier zeichnet sich eine deutliche Bias ab – Männer investieren nun mal eher in Männer als in Frauen. Also muss sich auch auf der Kapitalgeberseite, bei Venture Capital Firmen, bei privaten Investorinnen, Analysten und Jurys von Förderprogrammen etwas tun. Sonst wird das Geld nicht nach qualitativen Merkmalen vergeben.
Sie bringen in einem Talk ein spannendes Beispiel zu der von Ihnen angesprochenen Qualität und sprechen über „The blind audition“. Worum geht es dabei und wieso gibt es so etwas beim Investieren nicht? Warum gibt es so etwas beim Investieren nicht?
Jobchancen von Frauen sind gleich hoch oder sogar höher als jene von Männern, wenn das Geschlecht unerkannt bleibt. Wie beim New York Symphony Orchester, wo der Prozentsatz an Frauen innerhalb von nur 10 Jahren von 0 auf 50% gebracht werden konnte, als man das Experiment der „blind auditions“ machte. Die Entscheider – und leider ist hier Gendern nicht angebracht – sahen die Musikerinnen beim Vorspielen nicht, sondern hörten sie nur. Und beim Investieren in Start-ups geht es ja ums Gründerteam. Es wird also gezielt in die Menschen investiert. Wir müssen an anderen Hebeln ansetzen.
Zum Beispiel bei der Bildung von angehenden Investorinnen? Was lernen Frauen in der von Ihnen ins Leben gerufenen FIN-Academy?
Es gibt viele Frauen, die sich für das Investieren in Start-ups interessieren, aber nicht wissen, wie sie es angehen sollen. Daher fangen wir ganz am Anfang an, zu uns kann man komplett ohne Vorwissen kommen. Wir bieten sechs Webinare zu je 1,5 Stunden, die von Expertinnen geleitet werden. Darin erläutern wir die Terminologie, sehen uns an, wie Startups strukturiert sind, welche Arten es gibt, welche Typen von Investments möglich sind und wie das Investment steuerlich und rechtlich zu sehen ist. Das Wichtige ist, drum ist es auch live, dass sich die teilnehmenden Frauen kennenlernen und gleich untereinander austauschen können, sodass sie Teil einer Community werden. Es bringt nichts, wenn sie nach sechs Wochen Wissen haben, aber dann wieder alleine dastehen.
Sie sprechen bei dieser Community der Investorinnen von einer „Investment Gang“. Wie ist das gemeint und was bringt das konkret? Sind Männer auch so verbandelt?
Ja definitiv, Männer organisieren sich beim Investieren schon lange in den vielzitierten „Boys Clubs“. Dadurch wirkt die Branche oftmals nicht sehr einladend für Frauen. Als einzige Frau auf einer Veranstaltung mit hundert Männern zu sein, fühlt sich nicht so an, als sei man wirklich willkommen. Es gibt auch ein paar fachspezifische Termini, die man lernen muss, um anschlussfähig zu sein, sonst fühlt man sich schnell ausgeschlossen. Und es hilft, sich in Netzwerken zu organisieren. Einerseits, weil dadurch ein Zugehörigkeitsgefühl entsteht, andererseits, weil Investorinnen sich so auch zusammentun, gepoolt investieren, mehr Kapital aufstellen und das Risiko besser streuen können. Dazu bieten wir zum Beispiel eine geschlossene LinkedIn-Gruppe, in der sich gleichgesinnte Frauen austauschen können, die alle am gleichen Punkt stehen.
In welchem der Module gibt es den meisten Austausch, die meisten Fragen aus der Community?
Besonders angeregt verlaufen meist die Diskussionen mit Katja Ruhnke und Conny Hörl, die von ihrem eigenen Werdegang als Business Angels erzählen. Hier haben die Teilnehmerinnen auch die Chance, persönliche Fragen zu stellen, Ideen für ihren eigenen Investment-Schwerpunkt zu entwickeln – und das in sehr entspanntem Rahmen. Es gibt keine Fragen, die „zu basic“ sind, das hilft enorm. Unser vorrangiges Ziel ist es, diese ersten Hemmschwellen zu überwinden, den Frauen genügend Wissen zu vermitteln, sodass auch das Selbstbewusstsein steigt, selbst zu investieren.
Bisher haben 136 Frauen die FIN Academy absolviert. Was passiert danach?
Einige von ihnen investieren bereits und sind voll motiviert, . das freut uns besonders. Wir laden die Frauen ein, Mitglieder des Female Investors Networks zu werden. Wir treffen uns bei monatlichen Events, online und live zum Netzwerken. Einmal im Monat laden wir auch zur FIN Pitch Night, bei der vier Gründerinnen ihre Start-ups pitchen. Wir tauschen uns über spannende Deals aus, teilen Infos, es bilden sich regionale Gruppen in verschiedenen Städten in DACH. .
Warum braucht es diese Academy eigentlich? Männer investieren doch auch einfach, ohne Academys zu besuchen.
Das haben mich meine Kollegen bei Gateway Ventures, zu dem das FIN ja gehört, anfangs auch gefragt. Die Antwort ist ganz einfach: Weil es zu wenig Frauen gibt, die investieren. Ich habe 2020 eine Studie mit der Hochschule IU dazu gemacht. Die Zahlen lassen den Rückschluss zu, dass sich Frauen anfangs informieren wollen, Transparenz möchten zu Fragen wie: Wie finde ich die richtigen Startups? Was bedeutet Investment in ein Start-up eigentlich? 68 Prozent der Frauen wollen mit Impact investieren, 62 Prozent möchten gezielt weibliche Gründerinnen unterstützen. Die Szene ist nicht so geprägt, dass sich Frauen angesprochen fühlen, wie vorher beim Boys Club erwähnt. Frauen haben nicht die Wahrnehmung, dass ihre Meinung, Teilhabe, ihr Geld hier gezielt erwünscht sind. Das fehlt ganz einfach. Und deshalb fühlen sich viele Frauen ausgeschlossen.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Bemühungen im Female Investors Network und durch die FIN-Academy auch fruchten?
Mit Zahlen. Bevor wir mit FIN gestartet haben, hatten wir bei Gateway vier Prozent Frauenanteil bei Investorinnen. Nach zwei Jahren waren es 20 Prozent. Jetzt gilt es herauszufinden, was die Investorinnen brauchen, um dranzubleiben, zu starten oder erfolgreich zu werden. Dazu wiederholen wir die angesprochene Studie, um zu sehen, wie wir uns entwickelt haben, ob das Programm greift. Und laden herzlich dazu ein, an der neuen Studie teilzunehmen.
Wie sehen Sie die Rolle der Politik und die Höhe der Förderungen, die in Deutschland und Österreich an Start-ups vergeben werden, vor allem für female-lead oder gemischt geführte Start-ups? Muss sich da etwas ändern?
Ja – hier sehe ich mindestens drei Punkte, die sich ändern sollten. Erstens: Es sollten Incentives von öffentlicher Stelle gegeben werden, wenn in weibliche oder gemischt geführte Start-ups investiert wird. Wenn ein privater Kapitalgeber x Euro investiert, sollte der Staat das spiegeln und noch einmal den gleichen Betrag drauflegen. Das würde auch zu höheren privaten Investitionen führen, weil der Impact dadurch größer wird.
Zweitens brauchen Start-ups leichteren Zugang zu Working Capital. Wenn sie etwas bestellen müssen, wenn sie Arbeitsmaterialien brauchen, die nicht in der Investmentsumme inkludiert sind. Dafür sollte eine unbürokratische staatliche Anlaufstelle geschaffen werden.
Und drittens stehen wir vor riesigen Herausforderungen in Bereichen wie Klimaschutz, Bildung, Innovationen. Da gehen wir zu wenig auf die Lösungen von Start-ups ein, weil nur etablierte Unternehmen an öffentlich geförderte Aufträge kommen. Damit lassen wir viel Potenzial liegen und ich hoffe, dass sich da bald etwas ändert.
Die nächste Staffel der Female Investors Academy startet im Oktober 2023.