Es liegt eine kleine Ewigkeit zurück, da war das Motto der Salzburger Festspiele „Denn stark wie die Liebe ist der Tod“. Die Festrede hielt damals die deutsche Autorin Elke Heidenreich – und sie äußerte gleich zu Beginn so ihre Zweifel: „Denn stärker als die Liebe ist der Tod. Mit wie vielen Toten leben wir in unserer Erinnerung? Es sind so viele. Und wie viele Lebende lieben wir? Es sind so wenige.“
Über ihre Gedanken könnte man nun stundenlang weiterdiskutieren. Das Interessante aus aktueller Sicht ist aber, dass es eine Frau war, die die Eröffnungsrede hielt. Wie besonders dieser Umstand war und ist, wurde mir – shame on me! – eigentlich erst vor kurzem bewusst, als der Chefredakteur der Salzburg Krone, Claus Pándi, auf Twitter postete: „Der Eröffnungsredner (glaube, es gab noch nie eine Rednerin) bei @SbgFestival ist immer eine besondere Persönlichkeit…“
Tatsächlich wurden bislang nur wenige Frauen um ihr Wort gebeten in der segensreichen –das ist jetzt bitte nicht sarkastisch gemeint – Geschichte der Salzburger Festspiele, die in diesem Jahr ihr 101-jähriges Jubiläum feiern: Neben Elke Heidenreich (2008) sprachen noch die österreichische Schriftstellerin Barbara Frischmuth (1999) und die Schweizer Philosophin Jeanne Hersch (1985). Und jetzt soll bitte keiner mit dem Argument kommen, das ich so oft in meinem Berufsalltag höre: „Es hat sich keine Rednerin/Aufsichtsrätin/Vorständin/Managerin/Diskutantin (usw.) gefunden.“
Natürlich findet sich immer eine kompetente Frau. Heute leichter denn je. Wenn man nur will. Wenn man denn sucht. Das beweisen die Salzburger Festspiele selbst,
- an deren Spitze seit 26 Jahren Helga Rabl-Stadler steht
- die mit Bettina Hering seit 2017 eine Schauspiel-Chefin haben
- und die in den letzten Jahrzehnten für zahlreiche junge Regisseurinnen und Künstlerinnen ein Sprungbrett auf die großen Weltbühnen waren.
Aber wenn es um die große gesellschaftliche Perspektive, den kritischen Rückblick und den Gedankenanstoß für die Zukunft geht, kommt eben immer ein Mann zu Wort.
Was ich damit sagen will. Gerade im Abschiedsjahr von Helga Rabl-Stadler wäre es von schöner Symbolik gewesen, die Eröffnungsrede einer Frau zu überlassen. Die Klima-Aktivistin Naomi Klein wäre eine spannende Kandidatin gewesen oder die Philosophin Judith Butler, bekannt für ihre oft radikalen Vorträge zu Genderforschung. Aber gut, wir haben Corona und es gibt Reisebeschränkungen. Denken wir also näher: Die preisgekrönte Schriftstellerin Juli Zeh, die austro-amerikanische Psychoanalytikerin Erika Freeman, die österreichische Philosophin Lisz Hirn oder die Schweizer Schriftstellerin Sibylle Berg wären ebenso geeignete Kandidatinnen gewesen – um nur einige, wenige Möglichkeiten zu nennen.
Sonntag vor einer Woche fand also die Eröffnung der Salzburger Festspiele“ statt. Der deutsche Philosoph Julian Nida-Rümelin sprach über „humanistische Utopie“ und mahnte dabei das Bewahren gesellschaftlicher und politischer Visionen ein.
Eine der wesentlichen, humanistischen Utopien, die es endlich umzusetzen gilt, ist jene einer gleichberechtigten, diversen Gesellschaft. Zentral dabei ist die Gleichstellung von Frauen und Männern – bei der Bezahlung, den Karrierechancen, der Familienarbeit sowie deren öffentlichen Auftritten. Warum also nicht an den diesjährigen Gedanken anknüpfen und bei der Eröffnungsrede 2022 eine Frau zu den politischen und gesellschaftlichen Themen unserer Zeit sprechen lassen? Das wäre ein wichtiges und schönes Signal – und längst fällig obendrein.