Es scheint ein Fixum der österreichischen und deutschen Start-up-Szene zu sein: Die Mehrheit jener Personen, die ein Start-up gründen, ist männlich. Je technischer das Unternehmen und je größer die Finanzierungsrunden, desto geringer der Frauenanteil. Immerhin ist Österreich im Europavergleich führend, wie eine Studie des WU Gründungszentrums belegt: 36 Prozent aller Start-ups haben mindestens eine Frau im Gründungsteam. Zum Vergleich: In Deutschland sind es laut Statista nur rund 21 Prozent. Freilich: Rund neun von zehn investierten Euros gingen auch in Österreich 2023 an rein männlich besetzte Gründungsteams – bei lediglich 16 Prozent der Finanzierungsrunden waren Frauen überhaupt Teil der Gründungsteams.
Dabei stehen von Frauen gegründete beziehungsweise cogegründete Start-ups den rein männlichen Unternehmen um nichts nach. Denn sie alle verbindet, dass sie mit ihren Ideen Menschen den beruflichen Alltag erleichtern, das Leben verschönern oder die Situation benachteiligter Gruppen der Gesellschaft verbessern möchten. Das Erfolgsgeheimnis jener sechs Gründerinnen, die wir Ihnen hier vorstellen: Sie alle glauben an ihre Idee beziehungsweise ihr Produkt – und schaffen es auch in herausfordernden Situationen durchzuhalten und den Blick in die Zukunft zu richten.
Stärken entdecken und Potenziale entfalten
Das Wiener Sozialstart-up Hobby Lobby macht informelle, außerschulische Bildung armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen zugänglich.*
Hobby Lobby, gegründet von Rosa Bergmann und einigen ihrer Kolleginnen, verfolgt einen innovativen Ansatz, um Kindern und Jugendlichen aus sozioökonomisch gefährdeten Familien kostenlose Weiterbildung in der Freizeit zu ermöglichen: Mit der Unterstützung von ehrenamtlichen Kursleiter:innen werden kostenlose, niederschwellige Kurse umgesetzt – von Kreativwerkstätten über Experimentier- und Robotikklassen bis hin zu Tanz- und Fotokursen. Mittlerweile gibt es Kursorte in Wien, Niederösterreich, der Steiermark, Salzburg und Tirol. Und es wird weiter expandiert: Im April hat Hobby Lobby in Rostock seinen ersten Deutschland-Standort eröffnet.
Mit seiner Idee wurde das Sozialstart-up mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Österreichischen Integrationspreis und dem European Social Economy Award. „Während man sich mit der Zeit Netzwerke aufbauen kann“, sagt Rosa Bergmann, „braucht man vor allem ein gutes Verständnis über das Problem, das man lösen möchte und die Zielgruppe, die von der Idee profitieren soll. Im Prozess sind dann Mentor:innen, Unterstützer:innen sowie Wegbegleiter:innen unabdingbar für den Erfolg.“ Die nächsten Schritte von Hobby Lobby: Die Ausweitung des Angebots nach Oberösterreich sowie für eine jüngere Zielgruppe in den Volksschulen.
Im Dienst der Frauen
Katharina Weißig möchte mit Periodically die Einführung kostenloser Menstruationsprodukte ermöglichen und das Thema Menstruation in die Gesellschaft tragen.
„Mit blutiger Hose“, erinnert sich Medizinstudentin Katharina Weißig, „musste ich Anfang 2021 einen Unikurs verlassen, weil ich keine Tampons dabeihatte. Ich habe mir versprochen, dafür zu kämpfen, dass fehlende Menstruationsprodukte kein Mädchen und keine Frau mehr daran hindern werden, am Schulunterricht teilzunehmen, eine Vorlesung zu besuchen oder eine Präsentation auf der Arbeit zu halten“. Dafür haben Katharina und ihr Mitgründer Corvin Groß in Magdeburg den ersten Spender zur Ausgabe kostenloser Menstruationsprodukte entwickelt, der in Schulen, Universitäten, Unternehmen und andere Einrichtungen implementiert wird. Das Ziel: Mehr Gleichberechtigung und Chancengleichheit sowie die Enttabuisierung des Themas Monatsblutung.
Katharina Weißigs Ratschlag für andere Gründerinnen: Einfach machen. „Als Medizinstudierende hatten wir keine Erfahrung im Gründen, kein unternehmerisches Netzwerk – und ein Startkapital von bloß 400 Euro. Wir haben einfach losgelegt, uns in die Themen eingearbeitet und am Anfang alles selbst gemacht.“ Für die Zukunft dürfte Periodically gut aufgestellt sein: Derzeit wird weiter in ganz Europa skaliert und eine Eigenmarke für Menstruationsprodukte gelauncht.
Nachhaltige Körperpflege
Das Grazer Start-up Holy Pit hat nachfüllbare Körperpflege entwickelt – und kürzlich eine Lizenz-Kooperation mit Paramount gestartet.*
2020 von Branka Puljic und Asmir Samardzic gegründet, hat Holy Pit eine Mission: nachfüllbare Deos, Repellents und Sunscreen-Produkte zu entwickeln. Eine Idee, die sich durchgesetzt hat, denn 2023 erwirtschaftete das steirische Start-up einen Umsatz von 1,1 Millionen Euro und konnte so bislang über 300.000 Einwegprodukte ersetzen. Nun wurde der nächste Deal an Land gezogen: Dank einer Kooperation mit dem US-Konzern Paramount Consumer Products & Nickelodeon verkauft Holy Pit seit Kurzem SpongeBob-Schwammkopf-Produkte. „Als Gründerin“, sagt Branca Puljic, „braucht man vor allem eines: richtig viel Drive. Man muss für seine Idee brennen und immer am Ball bleiben. Natürlich helfen auch gute Netzwerke und Unterstützer:innen, aber ohne diesen inneren Antrieb wird es schwierig, langfristig erfolgreich zu sein.“
Smarte Technologie für die Logistik
Logistikexperte Byrd liefert nachhaltige Abwicklung im E-Commerce-Bereich.*
Das Wiener E-Commerce-Logistik-Unternehmen Byrd ermöglicht es Onlinehändlern, die Abwicklung ihrer Bestellungen an professionelle Logistikdienstleister auszulagern. „Das Spezielle daran“, erklärt Co-Gründerin Petra Dobrocka, „ist unser internationaler Ansatz. Ein österreichischer Händler mit einem Lager in Österreich hat immer mit hohen Versandkosten bei Bestellungen aus dem Ausland zu kämpfen und ist weniger konkurrenzfähig.“ Bei Byrd bekommen Händler Zugang zu Logistik-Standorten in sieben europäischen Ländern und können damit „effizient in ganz Europa versenden und alles digital von ihrem Laptop aus steuern.“
Städte mit KI sicherer machen
Urbview aus Hamburg möchte mit seinen KI-basierten Diensten einen neuen Blickwinkel in der Stadtplanung eröffnen.
Nicht immer sind Städte sichere Orte, gerade für Frauen oder Menschen der LGBTQ+-Community. Dass dem mit intelligenter Stadtplanung entgegengewirkt werden kann, beweist das Urbview-Team rund um Co-Gründerin Elnaz Nouri mit seinen Diensten. „Wir analysieren umfangreiche Daten – Stadtbilder, Umweltdaten und Kriminalitätsstatistiken – um Risiken in aktuellen und zukünftigen Stadtgestaltungen zu identifizieren. Unsere Erkenntnisse helfen Stadtplanern, Immobilienentwicklern, der Polizei und den Gemeinden, sicherere und integrativere Umgebungen zu schaffen, ohne den Zugang einzuschränken“, sagt Medizinwissenschaftlerin Nouri.
Digitale Barrierefreiheit in Online-Medien
Paged aus Köln hat ein Tool entwickelt, mit dem beeinträchtigte Menschen Online-Inhalte individuell anpassen und nutzen können.
Kognition und Tech zusammenzubringen und Neurodiversität auf die Agenda internationaler Unternehmen zu setzen – das ist die durchaus umfassende Agenda des Kölner Start-ups Paged. Dabei werden mit IT- und KI-Lösungen für Kundenwebseiten Oberflächen erstellt, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit verschiedensten neurologischen Beeinträchtigungen zugeschnitten sind. „Unser wissenschaftlicher Background“, sagt die Co-Gründerin und Psychologin Dana Pietralla, „hilft dabei enorm, wenn wir erklären, wie verschiedene Formen von Neurodiversität, zum Beispiel ADHS oder Dyslexie, unser Verhalten im digitalen Raum beeinflussen und erschweren können.“
AM PULS DER INNOVATION
Auf der Start-up-Plattform brutkasten.com dreht sich alles um Start-ups, deren Innovationen und Ideen. Regelmäßig werden neue Gründungen vorgestellt, aktuelle Herausforderungen thematisiert oder Erfolgsgeschichten der Gestalter:innen der Zukunft präsentiert.
*Recherche: in Kooperation mit brutkasten.com