StartInnovationErster weiblicher Crashtest-Dummy: "Eva" soll Frauen besser bei einem Unfall schützen

Erster weiblicher Crashtest-Dummy: „Eva“ soll Frauen besser bei einem Unfall schützen

Die schwedische Ingenieurin Dr. Astrid Linder und ihr Team wollen die Gender Safety Gap schließen. Ihre Entwicklung „Eva“ ist der erste Crashtest-Dummy, der die Sicherheit von Frauen bei Verkehrsunfällen verbessern könnte.

Dr. Astrid Linder und ihr Team haben mit „Eva“ in Schweden den ersten weiblichen Crashtest-Dummy entwickelt. Noch ist das Modell ein Einzelstück, doch die Ingenieurin setzt sich weiter für mehr Sicherheit bei Verkehrsunfällen ein.

Warum waren Sie die erste Ingenieurin, die an einem durchschnittlichen weiblichen Crashtest-Dummy wie Eva gearbeitet hat?

Der Regelungsrahmen, die UNECE, verlangt einen „durchschnittlichen Mann“ als Crashtest-Dummy als Fahrer bei der Bewertung des Insassenschutzes bei einem Unfall. In den späten 90er Jahren stellte ich als Doktorandin fest, dass bereits alle Studien in den späten 60er / 70er Jahren zeigten, dass Frauen im Falle eines Verkehrsunfalls bei Weichteilverletzungen im Nackenbereich, den so genannten Schleudertraumen, weniger geschützt waren als Männer. Auf die Frage, warum dies der Fall war, erhielt ich Antworten wie: Es gab keine Daten, es waren keine detaillierten Validierungsdaten verfügbar, es war zu teuer“ und so weiter, um ein Modell für den weiblichen Teil der Bevölkerung in der gleichen Weise zu erstellen, wie wir es für den männlichen Teil der Bevölkerung getan haben.

Was waren Meilensteine für Ihre Entwicklung?

Ich habe versucht, eine Finanzierung für die Entwicklung des benötigten Modells zu bekommen, was auch gelang. Schließlich konnten wir die Crashtest-Dummys, die Seat Evaluation Tools, SET 50F und 50M entwickeln. Das SET 50F wird manchmal Eva genannt. Zehn Jahre zuvor haben wir ein virtuelles Dummy-Modell entwickelt, den EvaRID. Dieses Modell wurde jedoch noch nicht in ein physisches Modell umgewandelt. Dies war sowohl dank der Finanzierung durch die Europäische Kommission als auch dank der Finanzierung durch die schwedische Innovationsagentur Vinnova möglich. In den letzten Jahrzehnten habe ich mich bemüht, das Wissen in Vorträgen und Präsentationen zu verbreiten.

Warum gibt es einen besonderen Bedarf für einen weiblichen Crashtest-Dummy?

Studien zeigen: Frauen sind bei einem Unfall unter den gleichen Umständen weniger gut geschützt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen bei Verkehrsunfällen verletzt werden, ist doppelt so hoch wie bei Männern. Diese Verletzungen können lebensbedrohlich sein oder zu Behinderungen führen. Der SET 50F und 50M wurden entwickelt, um den Schutz vor dem so genannten Schleudertrauma zu bewerten, diese Verletzungen können zu Behinderungen führen. Bei der Bewertung des Schutzes vor diesen Verletzungen wird ein Modell des durchschnittlichen Mannes mit einem Gewicht von 78 kg und einer Größe von 1,77m verwendet. Eine Frau wird über einen kleineren Insassen abgebildet, das repräsentiert aber nicht den weiblichen Teil der Bevölkerung.

Was ist bei Eva anders?

Zunächst einmal muss man, um die Vielfalt zu betrachten, beide Teile der Bevölkerung haben, und das war bisher nicht der Fall. Wir entwickelten SET 50F, Eva, mit 62 kg und 1,62 m. Aber vor allem ist sie viel lebensechter. Die SET 50M hat die Form und Gestalt einer durchschnittlichen Frau, genauso wie die SET 50M die Form und Gestalt eines durchschnittlichen Mannes hat. Es gibt charakteristische Unterschiede zwischen der durchschnittlichen Frau und dem durchschnittlichen Mann, zum Beispiel die Breite der Hüften, der Schultern und der Taille und der Brüste.

„Solange die Verordnung das Modell eines durchschnittlichen Mannes vorsieht, kann man nicht erwarten, dass es jemand anders macht“

 

 

Warum war die Automobilindustrie nicht stärker daran interessiert?

Wir haben gemeinsam mit der Automobilindustrie, mit Verbraucherschutzorganisationen und auch mit den Versicherungsgesellschaften gearbeitet, die alle betroffen sind. Die Versicherungsgesellschaften wissen zum Beispiel viel über die Behinderungen, die vor allem Frauen erleiden. Diese Daten sind in den nationalen Unfalldaten nicht zu finden, die entweder auf dem Polizeibericht beruhen und bestenfalls (bisher nur in wenigen Ländern) auch die Bewertung der Verletzung bei der Einlieferung in die Notaufnahme des Krankenhauses enthalten. Diese Daten liefern wertvolle Informationen, sagen aber nichts über die möglichen langfristigen Folgen der bei dem Unfall erlittenen Verletzungen aus. Aber solange die Verordnung vorschreibt, dass ein Modell eines durchschnittlichen Mannes zu verwenden ist, kann man nicht erwarten, dass es jemand anders macht.

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Computermodelle, um mehr Sicherheit zu erreichen?

Wir können in Zukunft die physischen Tests durch die Bewertung der Sicherheit mit Hilfe von Computermodellen ergänzen. Die Industrie nutzt seit Jahrzehnten virtuelle Modelle für die Entwicklung der Sicherheit. Jetzt wollen wir dieses Wissen in die Bewertung der Sicherheit verschiedener Fahrzeuge einfließen lassen. Das ist auch der Grund, warum es sich bei der Entwicklung nicht um eine One-Woman-Show handelt – man braucht viele Datenquellen und Kompetenzen und ein vielfältiges Team dafür, z. B. Analytiker von Daten aus der realen Welt oder Entwickler von Computermodellen.

„Auch bei der Sicherheit für Männer brauchen wir Verbesserungen“

Wo wird „Eva“ gerade konkret eingesetzt?

Derzeit gibt es nur ein Paar SETs, die sich in der Crashtestanlage des VTI befinden. Sie können von allen Interessierten für die gemeinsame Forschung genutzt werden.

Was ist Ihr Ziel?

Wir wollen nicht nur die geschlechtsspezifische Sicherheitslücke schließen, sondern auch die Sicherheitslücke insgesamt. Denn auch der durchschnittliche Mann ist keineswegs durchschnittlich, auch hier brauchen wir Verbesserungen. Ich bin motiviert, wenn wir mehr Menschen davor schützen können, sich zu verletzen. Ich versuche mein Bestes, um zu zeigen, was die Forschung leisten kann – wenn man in dieser Position ist, muss man das tun. Der nächste Schritt besteht darin, mehr Mittel für weitere Projekte zu finden.

Sind Sie optimistisch, dass sich die Vorschriften in dieser Richtung ändern werden?

Die Vorschriften haben sich immer geändert. In der UNO gibt es eine Gruppe, die sich damit beschäftigt, unter dem Vorsitz von Schweden. Ich bin optimistisch, denn bei Airbags, Sicherheitsgurten usw. hat sich die Prüfung bereits geändert. Aber das ist nicht von allein passiert. Wir müssen als Gesellschaft ehrgeizig sein, wir können das viel besser machen.


Dr. Astrid Linder ist Professorin of Traffic Safety at Swedish National Road and Transport Research Institute (VTI). Als Speakerin tritt sie am 15. Juni 2023 beim Fifteen Seconds Festival auf, das am 14.-16-Juni 2023 in Graz stattfindet.

Weitere Impulse zum Festival hier bei sheconomy.

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