Als digitale Vordenkerin beschäftigt sich Nicole Formica-Schiller mit disruptiven Technologien in den Bereichen Gesundheit und Life Sciences. In ihrem kürzlich erschienen Buch plädiert sie für den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) und Blockchain im Gesundheitswesen. Sie ist überzeugt: Viele Probleme rund um Covid-19 hätten durch den Einsatz von Blockchain und KI früher gelöst werden können.
Die Technologie Blockchain ist – wenn überhaupt – den meisten Menschen in Zusammenhang mit dem Bankwesen beziehungsweise Geldtransaktionen oder dem Energiesektor und mit der Verteilung unterschiedlicher Ressourcen bekannt. Sie aber schreiben in Ihrem aktuellen Buch über Blockchain im Gesundheitswesen. Was darf man sich darunter vorstellen?
Nicole Formica-Schiller: Gerade im Kontext globaler Gesundheitsversorgung bietet Blockchain viele Anwendungsmöglichkeiten. Daher gab ich bereits vor der Pandemie bei verschiedensten Stakeholdern zu bedenken, die Bedeutung der Gesundheitsversorgung in Kombination mit Schlüsseltechnologien wie Blockchain oder KI nicht zu unterschätzen. Auch vor dem Hintergrund geopolitischer Aspekte. Denn beide Technologien beruhen auf einem gemeinsamen Element: Daten! Dieses Potenzial von Blockchain im Gesundheitswesen wurde von einigen Ländern und großen Tech-Konzernen schon vor Jahren erkannt. Blockchain ist mehr als Bitcoin!
Wirft man nun einen Rückblick auf die vergangenen zwei Jahre mit COVID-19: Hätte mittels gezieltem Einsatz digitaler Technologien die Situation abgeschwächt werden können?
N. F.-S.: Covid-19 ist für mich eine Art „digitaler Gradmesser“. Alle sind weltweit von der Pandemie betroffen. Aber plötzlich wird zunehmend realisiert, wie digital fortgeschritten einige Länder bereits sind. Die Bürger erkennen, wie anderswo digitale Innovation zur Pandemiebekämpfung genutzt wird, zum Beispiel bei der Verschlüsselung von Testergebnissen, Früherkennung sogenannter Hotspots bis hin zu der Sicherung medizinscher Versorgungsketten. Daher betone ich in meinen Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern immer wieder: Es liegt an uns, die Gegenwart und Zukunft bestmöglich digital zu gestalten. Daran wird sich jede Regierung messen lassen müssen.
Oft heißt es, es gäbe nicht genügend Praxisanwendungen. In Ihrem Buch zeigen Sie jedoch etliche Beispiele weltweit für KI und Blockchain im Gesundheitswesen auf.
N. F.-S.: Einer der europäischen Vorreiter ist Estland. Um die Gesundheitsdaten der knapp 1,3 Millionen Einwohner der baltischen Republik sicher und effektiv zu verwalten, entschied sich die estnische Regierung bereits 2016 für Blockchain. Damit gehört Estland zu den ersten Ländern, die auf nationaler Ebene Blockchain im Gesundheitswesen angewendet haben. Großbritanniens National Health Service startete 2018 eine Blockchain-basierte elektronische Patientenakte. Und in Südkorea gibt es Startups mit Blockchain-basierten Open-Source-Plattformen für den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten.
„Eine 100-prozentige Garantie kann und wird es im Bezug auf Gesundheitsdaten nie geben. Andererseits werden tagtäglich freiwillig persönliche Daten auf Social Media gepostet.“
Sie gelten als internationale Expertin für digitale Technologien. Warum sind in Europa bestimmte Dinge schwieriger umzusetzen als beispielsweise in den USA?
N. F.-S.: Wie gesagt: Auch Europa hat seine digitalen Vorreiter wie Dänemark oder Estland. Aber international betrachtet ist es kein Geheimnis: Europa steht im Digitalen nicht an vorderster Stelle. Die Gründe sind vielfältig: fehlender Transfer von Forschung in die Praxis, Investitionsdefizite, mangelnder Zugang zu ausreichend (Gesundheits-)Daten von guter Qualität, bürokratische Hürden, die gerade Tech Startups Innovation unnötig erschweren. Zu nennen ist auch der aktuelle Verordnungsentwurf der EU-Kommission zur Regulierung von KI. Wird es Brüssel gelingen, den Spagat zwischen Innovationsförderung, Grundrechtsschutz und Überregulierung zu schaffen? Denn gerade in Bezug auf disruptive Technologien ist es wichtig, globalen, digitalen Fortschritt im Blick zu haben!
Gesundheitsdaten sind sensible Daten. Wie kann man den Bürger*innen garantieren, dass ihre Daten nicht missbraucht oder „weiterverkauft“ werden? Kann man das überhaupt?
N. F. -S.: Sind wir realistisch. Eine 100-prozentige Garantie kann und wird es in Bezug auf Gesundheitsdaten nie geben. Andererseits werden aber auch tagtäglich freiwillig sonstige persönliche Daten auf Sozialen Medien gepostet, in Apps und Wearables hinterlegt, von denen ebenso nicht bekannt ist, wie genau diese (unter anderem monetär) genutzt werden. Fakt ist, die Debatten um Besitz von Daten und deren Monetarisierung werden sich zunehmend verschärfen. Es empfiehlt sich aber, zu vermeiden, dass man in Europa mit zu strengen Datenschutz- oder Regulierungsvorgaben digitalen Fortschritt verhindert.
Es ist noch nicht vorbei. Lesen Sie das gesamte Interview in der aktuellen SHEconomy-Ausgabe. Hier geht’s zum Abo-Shop.
Nicole Formica-Schiller
CEO & Gründerin des Beratungsunternehmens Pamanicor Health AG, treibt den digitalen Wandel voran als Impulsgeberin und in direktem Austausch mit Politik und Wissenschaft – etwa mit der Datenethikkommission der deutschen Bundesregierung oder der Crypto Valley Blockchain Association Schweiz. Bei Deutschlands größtem Branchenverband für künstliche Intelligenz, KI-Bundesverband, ist sie im Bundesvorstand, zudem leitet sie dessen Steering Committee „EU KI-Regulierung“. Sie ist Advisor der Task Force „KI & Gesundheit“ sowie Vorstandsmitglied und Spokesperson auf Landesebene Bayern. Vor Gründung von Pamanicor Health AG sammelte die Juristin mit Abschluss eines wirtschaftswissenschaftlichen Zusatzstudiums internationale Erfahrung unter anderem bei Nord Stream, Freshfields Bruckhaus Deringer, der Allianz oder Shearman & Sterling.
Was ist Blockchain?
Bekannt wurde „Blockchain“ durch die Kryptowährung Bitcoin, die auf Basis einer kontinuierlich erweiterbaren Liste von Datensätzen unter die Menschen kam. Die Datensätze werden als „Blöcke“ bezeichnet, und deren Verkettung mittels kryptographischer Verfahren ergibt die „Chain“. Im Energie- und Bankenbereich ist der Einsatz der Blockchain-Technologie am weitesten vorangetrieben, da sie über einen hohen Sicherheitsgrad verfügt. Denn bei Blockchain baut jede Transaktion auf einer bereits im Vorfeld getätigten Transaktion auf – die Durchführbarkeit funktioniert nur dann, wenn die frühere Transaktion bewiesen ist. Damit wird Mani- pulation oder die Tilgung von Transaktionen nahezu unmöglich gemacht, da sonst mit einem Schlag alle Transaktionen (auch die früheren) zerstört würden.