StartOpinionZu jung? Zu hübsch? Zu eloquent?

Zu jung? Zu hübsch? Zu eloquent?

Die Affäre rund um die EU-Spitzenkandidatin der Grünen, Lena Schilling, wirft viele Opferfragen, einige Altersfragen und eine – allerdings wesentliche – Verantwortungsfrage auf.

„Weil sie eine junge Frau ist“ – deswegen werde sie diskreditiert. Es war das häufigste Argument der letzten Tage, wenn es darum ging, die Vorwürfe, die gegen Lena Schilling kursieren, zu entkräften. Kurz zusammengefasst: Die 23-jährige Spitzenkandidatin der österreichischen Grünen für die EU-Wahlen hat u.a. durch das Streuen von Gerüchten einem Ehemann ein strafrechtlich relevantes Verhalten angedichtet und zwei Journalisten dermaßen in Misskredit versetzt, dass dies ein Ende von deren Karrieren bedeuten hätte können. Das Ehepaar erwirkte eine Unterlassungserklärung. Bei den Journalisten ging es um den Vorwurf von sexueller Belästigung, der sich schließlich als unrichtig herausstellte.

Ende gut, alles gut? Keineswegs.

Seither werden unter Anteilnahme der Öffentlichkeit gleich mehrere Fragen diskutiert: Wie politisch ist das Private? Wie jung darf oder muss man sein, um ein politisches Spitzenamt zu bekleiden? Und: Bekommt Schilling nur deshalb so viel Saures ab, weil sie eine Lena und kein Lennard ist?

Sigi Maurer, Klubobfrau der Grünen und „Mit-Erfinderin“ der EU-Kandidatur Schillings, befindet – wie auch die gesamte, mauernde Parteispitze der Grünen: Privat und öffentlich seien zwei verschiedene Sphären, die nicht miteinander zu vermischen seien. Allerdings ist das Private keinesfalls immer unpolitisch. Spätestens dann, wenn sich das eine mit dem anderen vermengt und alle involvierten Personen öffentlichen Interesses sind, ist diese Trennung zu vergessen.

Abgesehen davon interessieren sich die Wähler*innen natürlich für die Persönlichkeit „hinter“ der*dem Politiker*in, sonst würden nicht dauernd Biographien, Charakter-Analysen (wie zuletzt im Fall des FPÖ-Chefs Herbert Kickl) oder mediale Nabelschauen publiziert werden. Die Steuerzahler*innen wollen sich ein Bild über die Volksvertreter*innen machen können – sie vergeben ihre Stimme schließlich nicht nur nach Sachverhalten, sondern auch nach Sympathien.

An dieser Stelle betritt das „politische Ausnahmetalent“ die Szene. Dieses ist jung, eloquent und sieht eher attraktiv aus. Österreich hat Erfahrung mit solchen Figuren. Bislang firmierten sie unter dem Begriff „Schwiegersohn-Syndrom“. Sie wurden erst einmal geliebt, stellten sich aber früher oder später als Enttäuschung heraus. Wie alt muss man daher sein, um ein politisches Spitzenamt zu bekleiden? Ich denke, die Antwort ist einfach: Bis man einige Jahre Erfahrung in der Basis gesammelt, im politischen Alltagsbetrieb mitgewerkt hat und selbst so weit ist, mögliche Folgen seines Handelns – zumindest theoretisch – einzuschätzen. Im Grunde nicht anders als in anderen Berufen. Selbst Gründer*innen schießen im Regelfall nicht wie Raketen aus dem Boden, sondern haben bis zur ersten guten „Ernte“ abwechslungsreiche Jahre der Feldarbeit hinter sich.

Bleibt noch das üble Spiel mit dem „junge Frau“-Blaming, das (nicht nur in Österreich) nach wie vor viel zu oft und viel zu gern gespielt wird – in der Wirtschaft genauso wie in der Politik. Es traf Sanna Marin genauso wie Jacinda Ardern – beiden wurden allerdings keine wesentlichen politischen Fehler angelastet. Sanna Marin wurde von den Finnen einfach abgewählt und Jacinda Ardern, die Neuseeland durch mehrere Krisen geführt hatte, verabschiedete sich auf eigenen Wunsch.

Bei Lena Schilling verhält sich die Situation anders: Das Gerede um ihre Person, das sie selbst mitveranlasst hat, hinterlässt Schaden für sie selbst, die Partei und für das Land. Seien wir uns ehrlich: Sollte sie nach Brüssel gehen, wird kaum ein*e Abgeordnete*r (oder sonst wer von Relevanz) großen Antrieb verspüren, sich mit ihr zu einem vertraulichen Gespräch zu treffen, außer in Begleitung von ein paar Zeug*innen. Für viele wird eine Form des Unbehagens mitschwingen.

Schuld an dieser Misere tragen vor allem jene erfahrenen Politiker*innen, die so eine Situation erst zugelassen haben. Die auf Äußerlichkeiten geschielt und vordergründige Botschaften gehofft und beim Recruiting selbst jedes politische Handwerk außer Acht gelassen haben. Die sich im Vorfeld zu wenig mit der Person – also dem Menschen – Lena Schilling befasst haben. Die Rechnung dafür bezahlt jetzt sie.

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