StartBusinessSuccess"Zeigen, was möglich ist"

„Zeigen, was möglich ist“

Außergewöhnliche Karrierewege inspirieren und lassen uns von neuen Möglichkeiten träumen. Juliana Dahl hat mit Mitte 20 ihr Leben noch einmal auf den Kopf gestellt und obwohl in ihrem bisherigen Beruf erfolgreich eine neue Ausbildung begonnen. Ein Gespräch darüber, dass Risiken immer eine Chance sind und wir mutig genug sein sollten, uns verletzlich zu zeigen.

Von Chanel in die Finanzwirtschaft und in die Schaltzentralen der Macht: Waren Ihre Karriereschritte mehr von Intuition oder von Strategie geprägt?

Ich würde sagen, es war ein Mix aus beidem: Strategie geleitet von Intuition und meiner Liebe zu Europa. Ich wusste, wohin ich wollte – für Europa arbeiten – und habe dieses Ziel nie aus den Augen verloren. Darauf habe ich langsam hingearbeitet. Trotz Strategie, habe ich aber auch immer auf mein Bauchgefühl gehört. Ich finde es absolut in Ordnung, eine Entscheidung auf „es hat sich richtig angefühlt“ zu basieren. Auch im Arbeitsalltag.

Natürlich gab es während meines Studiums oder meiner Karriere auch Hürden, sehr große sogar, und tiefe Gräben. Ich traf zum Beispiel nicht überall auf Zustimmung, als ich mit 25 Jahren beschloss meinen festen Job als PR Managerin bei Chanel und mein Leben in Hamburg aufzugeben, um mit einem großen Rucksack und wenig Geld ins Ausland zum Studieren zu gehen. Wer würde schon eine Pariser Fashionshow gegen einen kalten VWL-Hörsaal tauschen? Daraus habe ich gelernt: wenn jemand anderes Deinen Entscheidungen nicht zustimmt, heißt das nicht, dass Du es nicht tun solltest. Denn jedes Risiko zu scheitern, birgt eine Chance zu gewinnen.

Welche Erfahrungen haben Sie aus diesen unterschiedlichen Branchen in Bezug auf „Women Empowerment“ mitgenommen? Ist die berühmte gläserne Decke in den Institutionen durchlässiger als in der Privatwirtschaft oder umgekehrt?

Ich glaube, es geht bei diesem Thema weniger um den Vergleich Privatwirtschaft und öffentlicher Sektor. Entscheidend ist wie ernsthaft das Thema Gleichberechtigung von Frauen und Männern über alle Karriereebenen hinweg bei dem Arbeitgeber gefördert und umgesetzt wird.

Die Frage ist, warum es so wenig Frauen in Führungspositionen gibt. In Deutschland sind laut des aktuellen „Global Gender Gap“ Berichts des World Economic Forum (WEF)(Anm.1) nur 29% der leitenden Positionen mit Frauen besetzt. Das ist erschreckend wenig.

Das Anreizsystem spielt dabei sicherlich auch eine Rolle. Die „bereinigte geschlechterbedingte Gehaltslücke“, die gleichwertige Arbeit bei Frauen und Männern mit gleichwertiger Qualifikation vergleicht, beträgt in Deutschland immer noch ungefähr sechs Prozent. Die Gehaltsschere würde sich weiter schließen, wenn mehr Frauen in Führungspositionen beschäftigt wären.

Warum soll einer Frau, mit gleicher Ausbildung und Erfahrung wie ein Mann hat, für dieselbe Tätigkeit weniger bezahlt werden? Und warum muss sie sich im Ernstfall Lohngerechtigkeit einklagen? Das erschließt sich mir nicht. In dem Bereich wünsche ich mir von der Politik noch mehr Hilfestellung.

Laut des WEF-Berichts wird es bis zur internationalen Gleichberechtigung am Arbeitsplatz noch mehr als 267 Jahre dauern. Es gibt also noch einiges zu tun!

Mit welchen Vorurteilen im Berufsumfeld müssen Frauen sich häufig auseinandersetzen?

Ein bekanntes Vorurteil ist, dass Frauen weniger durchsetzungsfähig sind, weil sie Teams „einfühlsamer“ leiten. Deswegen wird ihnen eine mangelnde Führungskompetenz nachgesagt.

Der Versuch, Vorurteile zu widerlegen, ist eine Gratwanderung und löst oft leider nicht das Problem. Dieses Klischee kann, zum Beispiel, zu einer Überkompensation führen: Frauen versuchen sich von ihrer weiblichen Identität bei der Arbeit zu lösen und strengen sich noch stärker an.

Das kann aber zu einem weiteren Klischee führen, da man ehrgeizigen Frauen  rasch nachsagt, sie seien „bossy“ (herrisch), während männliche Kollegen bei gleichem Verhalten als entschlossen und dynamisch bezeichnet werden. Sie sehen, es ist ein Teufelskreis. 

Um Vorurteile zu vermeiden, sollte man im Berufsumfeld das Bewusstsein stärken, dass es nicht um einen Kampf der Geschlechter geht. Es geht darum, als Team unschlagbar zu sein, gemeinsam etwas zu erreichen. Ich finde, das ist alles, was zählt.

Die Pandemie hat uns alle vor Herausforderungen gestellt. Können wir manche davon positiv nutzen: Etwa die Umstellung auf digitale Arbeitsmöglichkeiten für mehr Chancengleichheit und flexiblere Karrierebilder? Sind Sie persönlich ein Fan des Homeoffice?

Ich bin ein Fan des sogenannten Hybrid-Modells: in meinem Beruf, in dem ich kreative und analytische Aufgaben verbinde, arbeite ich gerne ein paar Tage im Büro und ein paar Tage von zuhause aus. Bei mir lösen verschiedene Orte verschiedene Arten von Kreativität aus.

Die Pandemie war für das Thema „flexibles Arbeiten“ ein Beschleuniger, nicht aber der Auslöser. Ich würde das sogenannte „home office“ aber nicht als Lösung wie eine Schablone auf jedes Arbeitsumfeld legen. Je nach Themenfeld sollten Arbeitgeberinnen einen Ansatz finden, der für ihre Arbeitnehmerinnen zufriedenstellend ist („work-life-balance“) und gleichzeitig die Produktivität nicht einschränkt. Dass wir zurückgehen zum „old normal“ – also zur reinen Bürotätigkeit, wie es vor der Pandemie der Fall war – sehe ich aber nicht.

Eine andere Frage ist, ob das Arbeitsumfeld die Produktivität von Frauen generell fördert. Da gibt es derzeit einige interessante Ansätze – wie zum Beispiel periodenfreundliche Arbeitsumfelder mit flexiblen Arbeitszeiten (Anm.2). Ich bin gespannt, was sich in diesem Bereich in den kommenden Jahren noch tut.

Ein Blick in die Kristallkugel: Werden wir in zehn Jahren noch immer über Quoten reden müssen?

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in zehn Jahren noch über Quoten reden müssen – die Frage ist jedoch über welche Quoten. Die „Frauenquote“ wird zu dem Zeitpunkt vielleicht ein geringeres Thema sein, aber es könnte sein, dass dann andere benachteiligte Gruppen Unterstützung brauchen.

In den letzten zwei Jahren, wurden viele wichtige Ämter mit Frauen besetzt. Jetzt werden zum Beispiel der Internationale Währungsfonds, die Welthandelsorganisation, die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank von Frauen geleitet. Diese Vorbilder zeigen jungen Frauen, was möglich ist.

Meiner Meinung nach sind Frauen hervorragende Rollenvorbilder, weil sie keine Angst davor haben, ihre verletzliche Seite zu zeigen. Verwundbarkeit kann inspirierender sein als der Schein von Perfektion.

Vor kurzem habe ich einen Online-Vortrag vor Studentinnen gehalten, in dem ich nicht über meine Erfolge, sondern über die Schwierigkeiten sprach, mit denen ich während meines Studiums zu kämpfen hatte. Dieser Ansatz war für die Zuhörerinnen neu, aber stieß auf viel positive Resonanz. Rollenmodelle müssen realistisch sein.

Zu diesem Thema kann ich Ihren Leserinnen den Artikel der New York Times empfehlen „Imperfect Girls Make Perfect Role Models“ und die Seminare meiner lieben Freundin Helene Banner („Let’s just be imperfect, ladies!“).

Persönlich gefragt: Wohin soll Sie Ihre berufliche Reise noch führen?

In Zukunft möchte ich eine Führungsposition übernehmen und ein Team leiten. Daher vertiefe ich meine Management-Kenntnisse durch Schulungen und Coachings. Mir ist es wichtig, eine Managerin „by education“ (Ausbildung) und nicht „by promotion“ (Beförderung) zu sein. Denn die beste Fachkraft ist nicht immer die beste Führungskraft. Ich möchte, dass sich meine Mitarbeiterinnen in meinem Team gut begleitet und geleitet fühlen und sie sehen, dass sie konstant wachsen können. Ich weiß aus eigener Erfahrung wie motivierend es sein kann, wenn man eine gute Managerin hat.

 

Juliana Dahl hat Kommunikation sowie Internationale und Europäische Volkswirtschaft studiert. Nach vielen Jahren bei der EU in Brüssel und Luxemburg, ist sie derzeit Redenschreiberin für den deutschen Bundespräsidenten. Dieses Interview bildet ihre persönliche Meinung als Privatperson ab.

Fotocredit: Marichka Milord

Anmerkungen:

  1. https://fr.weforum.org/reports/global-gender-gap-report-2021/digest
  2. Laut einer Studie der Beratungsfirma Kearney, kostet es Unternehmen in der EU jährlich mehr als 100 Milliarden Euro sich nicht mit dem Thema Menstruation auseinanderzusetzen. Unternehmen, die sich an das Thema heranwagen, können in den Bereichen Produktivität und Human Resources profitieren: https://www.presseportal.de/pm/15196/4720707. Ein Fußball-App Start-up in Göteborg soll das erste Unternehmen in Schweden werden, das als periodenfreundlich zertifiziert wird: thttps://www.bbc.com/news/business-47699061

  3. https://www.nytimes.com/2021/02/23/well/family/girls-role-models.html
  4. www.helenebanner.com

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