Warum sind Frauen in Führungspositionen von Tech-Unternehmen immer noch unterrepräsentiert? Und warum können Bulgarien und Rumänien hier als Vorbilder dienen?
Zunächst sollte sorgfältig geprüft werden, wo Ungleichheit besteht, um sie wirksam zu bekämpfen. Nach Angaben von Eurostat mit Zahlen aus dem Jahr 2020 sind von rund 72 Millionen Beschäftigten in wissenschaftlichen und technischen Berufen in der EU fast 37 Millionen Frauen (51,3 Prozent) und 35 Millionen (48,7 Prozent) Männer. Wenn man sich jedoch auf IT-spezifische Arbeitsplätze oder Führungspositionen konzentriert, gibt es immer noch erhebliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Ein aktueller Bericht von McKinsey stellt fest, dass die Unterrepräsentation von Frauen in Führungspositionen nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Unternehmen schädlich ist. Diese Ungleichverteilung ist auf eine Reihe von Ursachen zurückzuführen. Zu den Ursachen gehören unbewusste Voreingenommenheit und die Tendenz, dass Frauen nur aufgrund ihrer bisherigen Leistungen eingestellt werden, während Männer häufiger wegen ihres künftigen Potenzials angestellt und befördert werden. Darüber hinaus verbirgt sich hinter den langsamen Fortschritten auf dem Weg zu einer gerechteren Vertretung eine zunehmende Polarisierung zwischen den Unternehmen, die gute Fortschritte machen, und denen, die zurückbleiben.
Wenige MINT-Studienabsolventinnen arbeiten in MINT
Die im Februar 2018 im Psychological Science Journal veröffentlichte Studie, aus der hervorgeht, dass Deutschland und die Niederlande EU-weit mit den niedrigsten Frauenanteil in technischen Berufen haben, zeigt, dass diese ansonsten entwickelten Volkswirtschaften auch das größte geschlechtsspezifische Lohngefälle aufweisen. Dies verdeutlicht, dass das Problem tief verwurzelt ist. Obwohl immer mehr Frauen MINT-Fächer studieren, stagniert der Anteil von Frauen, die im Technologiesektor arbeiten. In den USA beispielsweise arbeiten weniger als vier von zehn Informatik-Absolventinnen in diesem Bereich, aber mehr als der Hälfte der männlichen Absolventen von Informatikstudiengängen. Das Problem setzt sich fort, da männerdominierte Arbeitsumgebungen zumindest eine unbewusste Voreingenommenheit gegenüber Bewerberinnen begünstigen. Im schlimmsten Fall können solche Arbeitsumgebungen offen feindselig gegenüber weiblichen Beschäftigten sein.
Medizin- und Bioinformatik beliebter
Wie bereits eingangs erwähnt, hängt dies stark davon ab, was man als technische Tätigkeit definiert. Wenn man Technologie ganz allgemein definiert und die Bereiche Produktion und Service zusammenfasst, gibt es keine Unterrepräsentation. Es gibt jedoch eine Unterrepräsentation von Frauen in leitenden Funktionen – unabhängig von der Technologie oder den Geschäftsfeldern – und das hängt stark mit den genannten Ungleichheiten zusammen. Betrachtet man insbesondere die IT, so sind Frauen in den weniger anwendungsorientierten Bereichen der IT mit wenigen interdisziplinären Berührungspunkten wie Entwicklung und Programmierung unterrepräsentiert. Dort, wo es einen Bezug zu einer praktischen Disziplin gibt, wie in der Medizininformatik oder Bioinformatik, ist der Anteil der Studentinnen hingegen recht hoch, wie eine CHE-Studie 2018 am Beispiel Deutschlands zeigte. Es gibt also genügend Belege dafür, dass es Frauen weder an den Fähigkeiten noch an der Bereitschaft mangelt, sich in technischen Berufen zu engagieren. Das Aufbrechen traditioneller Geschlechterrollen, die Beseitigung bewusster und unbewusster Vorurteile und die Möglichkeit für Frauen und Männer, sich die Kinderbetreuung zu teilen, ohne dass sie bei der Rückkehr in den Beruf ins Hintertreffen geraten, wären ein guter Anfang, um eine größere Gleichstellung von Frauen zu erreichen – in der Technologiebranche und darüber hinaus.
Bulgarien hat höchsten Frauenanteil in Tech
Laut dem EU Digital City Index sollten wir uns an den aufstrebenden Technologiezentren Osteuropas ein Beispiel dafür nehmen, wie die Zukunft aussehen könnte. Bulgarien, Rumänien, Litauen und Lettland haben in Europa den höchsten Prozentsatz an weiblichen Beschäftigten in der Technologiebranche. Lettland weist außerdem das geringste Lohngefälle zwischen den Geschlechtern in der Technologiebranche in ganz Europa auf, obwohl das Land generell den zweitgrößten Gender Pay Gap Europas hat.
Vielfalt wiederum ist ein wesentlicher Faktor für jedes Unternehmen, das Produkte entwickeln will, die der modernen Gesellschaft besser dienen. Der eingangs erwähnte Bericht von McKinsey untersuchte Daten von 1000 Großunternehmen in 15 Ländern und zeigte eine Korrelation zwischen der Zunahme der Vielfalt – insbesondere auf der Führungsebene – und dem Geschäftswachstum. Der Bericht zeigte, dass „Unternehmen im obersten Quartil der Geschlechtervielfalt in den Führungsteams mit 25 % höherer Wahrscheinlichkeit eine überdurchschnittliche Rentabilität aufweisen als Unternehmen im vierten Quartil“. Kurz gesagt: Was gut für die Vielfalt ist, ist gut für das Geschäft.