Sie schreiben „Ein Nein ist der erste Schritt zur Freiheit“ – Fällt es Frauen schwerer, Nein zu sagen? Und wenn ja, warum?
Ein Nein bedeutet für uns alle eine Herausforderung. Zugehörigkeit ist für uns als soziale Wesen überlebenswichtig, und wenn wir Nein sagen, also nicht kooperativ sind, kann sich das wie eine Bedrohung dieser Verbindung anfühlen. Frauen werden zusätzlich von klein auf in eine Ja-Sager-Rolle gedrängt. Sie werden belohnt, wenn sie still und artig sind. Wenn sie nicht widersprechen. Wenn sie bei Streit vermitteln und ihre Bedürfnisse ignorieren. Diese Dynamik setzt sich auch im Erwachsenenleben fort. Wenn Männer beispielsweise im Job nicht hilfsbereit sind, schadet das ihrem Ruf kaum bis gar nicht. Wenn Männer nicht zulassen, dass andere ihre Leistungen vereinnahmen, werden sie als selbstbewusst gefeiert. Frauen aber werden für das gleiche Verhalten sozial abgestraft: Sie gelten als kalt und arrogant. Natürlich fällt ein Nein schwerer, wenn wir dafür teuer bezahlen müssen.
Warum sollten wir unsere Grenzen schützen? Ist derzeit nicht gerade eher Empathie gefragt?
Es ist ein hartnäckiges Vorurteil, dass Abgrenzung ein Ausdruck von Kälte und Empathiemangel wäre. Ich glaube, dass das Gegenteil stimmt: Indem wir offen über unsere Grenzen und Bedürfnisse sprechen und unser Gegenüber einladen, das Gleiche zu tun, zeigen wir Respekt, Vertrauen und das ehrliche Interesse, einander zu verstehen. Wir signalisieren, dass wir unser Miteinander nachhaltig verbessern wollen. Gesunde Abgrenzung ist Beziehungsarbeit.
Sie decken private Bereiche mit Ihren Hacks und Betrachtungen ab, bis hin zum Dating und Sex – und dann geht es im zweiten Teil um die politische Kommunikation oder Online-Gegenrede. Warum war Ihnen die Beleuchtung beider Bereiche wichtig?
Sowohl für individuelle Beziehungen als auch für unsere demokratische Gesellschaft gilt: Wir sind nur auf Augenhöhe stark. Wir brauchen offene Debatten, wir brauchen ehrlichen Austausch – und wir brauchen gemeinsame Regeln, damit dieser Austausch respektvoll und konstruktiv bleibt.
Warum müssen wir politisch anders kommunizieren als privat?
Privat stärkt es unsere Beziehung, wenn wir aufmerksam zuhören und nicht unterbrechen. Wenn wir aber in einer politischen Debatte widerspruchslos zuhören, selbst dann, wenn Fake News und menschenverachtende Parolen verbreitet werden, gefährdet das unsere Demokratie. Der Aufstieg der AfD wäre nicht ohne deutsche Medien möglich gewesen, die es ernsthaft als ausgewogene Debatte verkaufen wollen, wenn sie ihre Bühnen für Populisten freiräumen und dabei weder Live-Faktenchecks noch souveränen Widerspruch bieten. Sachbezogener Austausch und Kompromisse sind mit Populisten nicht möglich. Wir müssen ihre Manipulationsstrategien benennen, statt uns auf fruchtlose Diskussionen mit ihnen einzulassen.
Wie sind Sie zu dem Buchthema gekommen?
Ich bin in einer Sekte aufgewachsen; deswegen sind Radikalisierung und gesunde Grenzen für mich große Lebensthemen. In einer radikalen Gruppe haben persönliche Grenzen und Bedürfnisse keinen Platz. Alles muss dem vermeintlich heiligen Ziel untergeordnet werden. Für Frauen gab es in der Sekte zwei Rollen: Mutter oder Nonne. Sichtbar und mächtig durften nur Männer sein. In einem solchen Klima floriert Gewalt gegen Kinder und Frauen. Mir wurde nie beigebracht, dass ich ein Recht habe, Nein zu sagen, sondern ich musste mir dieses Wissen selbst aneignen. Heute möchte ich gern teilen, was ich auf diesem Weg gelernt habe.
Warum nimmt das Thema Care-Arbeit und Eltern einen großen Raum im Buch ein?
Ich wollte aufzeigen, wie viel Care-Arbeit, bis hin zur Selbstverleugnung, gerade von Töchtern, Schwestern und Müttern erwartet wird. Zwei Beispiele: Gibt es nur Söhne in einer Familie, wird die Pflege der alten Eltern eher aufgeteilt. Gibt es auch eine Tochter, stemmt sie diese Arbeit meist allein. Selbst Frauen, die von ihren Eltern missbraucht wurden, pflegen diese im Alter. Ich möchte in meinem Buch deutlich machen, dass wir immer ein Recht auf Grenzen haben – auch und gerade in den Beziehungen, in die wir hineingeboren wurden, die wir also nicht frei gewählt haben.
Wie können wir Grenzverletzungen früh erkennen, nicht nur die „roten Linien“, sondern auch die „orange“ gefärbten?
Diese hilfreiche Metapher hat die Kommunikationsberaterin Franzi von Kempis entwickelt. Wir kennen oft nur unsere roten Linien. Wir bemerken also Grenzverletzungen erst, wenn unsere Psyche oder unser Körper massiv Alarm schlagen. Je besser wir aber unsere orangefarbenen Linien kennen, desto früher und effektiver können wir uns im Alltag schützen. Ich empfehle immer gern, eine emotionale Hausordnung für sich selbst zu erstellen: Welche Sätze oder Verhaltensweisen kann ich gerade noch tolerieren und welche nicht? Was sind meine Frühwarnzeichen, wenn ich mich in einem Gespräch nicht mehr sicher fühle? Werde ich zappelig? Bekomme ich Kopfschmerzen? Werden meine Gedanken so schnell, dass ich sie kaum noch greifen kann? Welche kurzen Sätze kann ich mir bereitlegen, um mich bei Grenzverletzungen zu schützen? Welche Konsequenzen kann und will ich ziehen, wenn jemand meine Grenzen missachtet? Effektive Abgrenzung besteht immer aus Wort und Tat: Erstens Grenze benennen und Konsequenzen ankündigen, zweitens Konsequenzen ziehen.
Das klingt nach Erziehung oder Bestrafung?
Wenn wir eine Beziehung auf Augenhöhe führen wollen, ist kein Platz für Erziehungs- oder Bestrafungsversuche. Wir können unser Gegenüber nicht ändern und das sollte auch nicht unser Ziel sein. Was wir ändern können, ist unser eigenes Verhalten: Verletzt unser Gegenüber uns und unsere Werte, sind wir nicht verpflichtet, uns dieser Situation wieder und wieder auszusetzen.
Was tun, wenn wir selbst Grenzen verletzt haben?
Sich so entschuldigen, dass es wirklich um unser Gegenüber geht und nicht um uns. Wir sollten uns nicht rechtfertigen und in Selbstmitleid zerfließen, sondern Verantwortung für unser Handeln übernehmen. Konkret formulieren, was wir ab jetzt anders machen werden, damit sich der Fehler nicht wiederholt. Fragen, was sich unser Gegenüber von uns wünscht: Wie geht es von hier an bestmöglich weiter? Was kann neue Sicherheit im Miteinander schaffen?
Sie entwickeln so viele kluge, schlagfertige Antworten, die Sie auch auf Instagram publizieren – wie kommen Sie auf diese Hacks? Gibt es ein Muster?
Vielen Dank für dieses schöne Kompliment! Ich glaube, das Rezept ist immer gleich: Übergriffige Kommentare sind eine Einladung, emotional zu werden – aber sobald wir diese Einladung ausschlagen, entsteht Raum für Leichtigkeit. Ein Hinweis ist mir wichtig: Meine Antworten sind für Alltagssituationen gedacht, in denen wir genervt oder enttäuscht sind, aber unsere Umgebung sicher ist. Sobald wir mit Gewalt konfrontiert sind, gelten andere Regeln. Da geht es nicht ums Kontern, sondern darum, sofort die Situation zu verlassen und sich zu schützen.
Dana Buchzik (auf Instagram zu finden unter @herzkater) ist auch auf der Leipziger Buchmesse zu erleben, die von Do., 27. März 2025 – So., 30. März 2025 im Verbund mit der Manga-Comic-Con und dem Lesefest „Leipzig liest“ stattfindet.
Buchzik ist Journalistin und Kommunikationsberaterin. Sie arbeitete unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Spiegel Online, die Süddeutsche Zeitung, Die Welt und DIE ZEIT. 2017 war sie Redaktionsleiterin der „No Hate Speech“-Kampagne des Europarats gegen Hass im Netz. Sie lehrte an der Freien Universität Berlin und gibt Workshops zu den Themen „Umgang mit Hass und Verschwörungserzählungen“ und „Grenzen setzen“. 2022 erschien ihr erstes Buch „Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können“ und wurde ins Programm der Landeszentralen für politische Bildung in Berlin, Brandenburg und Sachsen aufgenommen.