StartBusinessTech-Ökonomie öffnet Frauen neue Chancen

Tech-Ökonomie öffnet Frauen neue Chancen

In der Tech-Ökonomie verändern sich Unternehmen auf allen Ebenen grundlegend. Im Forschungsprojekt #100TechFrauen“ haben Wissenschaftlerinnen des ISF München und der FAU Erlangen-Nürnberg Entwicklungschancen von Frauen in diesem Wandel analysiert. Fazit: Die Tech-Ökonomie kann tradierte Strukturen und Geschlechtergrenzen aufbrechen und sie eröffnet Frauen neue Möglichkeitsräume.

„Die Tech-Ökonomie ist kein Hype, der in ein paar Jahren wieder vorbei ist“, betonen Dr. Kira Marrs, Wissenschaftlerin am Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München, und Anja Bultemeier, Wissenschaftlerin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). „Sie steht vielmehr für einen grundlegenden Umbruchprozess, der die gesamte Wirtschaft erfasst.“ Ihren Ursprung hat die Tech-Ökonomie im Internet. Im Informationsraum, der dort mit der Digitalisierung entstanden ist, interagieren Unternehmen auf der Basis von Daten mit ihren Kunden und es entstehen kundenzentrierte Geschäftsmodelle. Die Veränderungen sind vielfältig und betreffen Unternehmensstrukturen, Produktions-, Innovations- und Geschäftsprozesse sowie die Organisation von Arbeit. Da Daten nun nahezu in Echtzeit ein Abbild der realen Welt erzeugen, nehmen Dynamik und Komplexität auf allen Organisationsebenen zu.

Neukonfiguration von Unternehmen

Mit dieser „Neukonfiguration“ der Unternehmen verändern sich auch klassische Strukturen, Geschlechtermuster und das Verständnis von Technik, haben die Forscherinnen herausgefunden. In der Folge entstehen neue Berufe, Rollen und Qualifikationsanforderungen jenseits der MINT-Fächer. Nicht nur  Ingenieurinnen und Ingenieure, sondern auch  „Fachfremde“ mit anderen Ausbildungen und aus anderen Berufsgruppen können sich in diesem Umfeld wiederfinden. „Für Frauen entstehen in der Tech-Ökonomie derzeit völlig neue Rahmenbedingungen und Chancen, ihre Kompetenzen und Potenziale einzubringen, ihren beruflichen Weg zu gehen und ihre Karrierepläne zu verwirklichen“, beobachtet Marrs.

Marrs und Bultemeier haben drei Möglichkeitsräume identifiziert, die sich derzeit für Frauen in der Tech-Ökonomie öffnen:

1. Mit der Entwicklung kundenzentrierter Geschäftsmodelle rückt der Aspekt der User Experience stärker in den Fokus. Gefragt ist eine ganzheitliche Sicht auf Produkte und Innovationen, die über technische Anforderungen und Fähigkeiten hinausgeht. Neue Tätigkeitsfelder wie UX/UI-Design bereichern daher die technischen Abteilungen und können mit ihren höheren Frauenanteilen zu einer Öffnung für Frauen führen.

2. In der Tech-Ökonomie verändern sich Organisations- und Arbeitskonzepte. Sie lösen sich von bisher hierarchischen Strukturen und sind zunehmend in agilen Settings verankert. Diese leben von selbstorganisierten und empowerten Teams, Führung auf Augenhöhe und kollektiver Intelligenz und bieten  neue Entwicklungschancen für Frauen.

3. eröffnen die flexiblen Arbeitsmöglichkeiten, die moderne Tech-Unternehmen heute bieten, neue Möglichkeiten der Vereinbarkeit und Karrieregestaltung.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse im Rahmen einer großen Konferenz in München unterstrich diesen Zusammenhang auch Christine Regitz, Präsidentin der Gesellschaft für Informatik und Mitglied im Aufsichtsrat der SAP SE. „Für Frauen entstehen in der Tech-Ökonomie völlig neue Chancen und Rahmen­bedingungen“, so die Expertin, die Frauen bestärken und für technische Berufe gewinnen möchte. Regitz wirbt deshalb für eine „informatische Grundbildung“ und mehr „Technologiechancenabschätzung“.

„In der heutigen Zeit ist eigentlich jedes Unternehmen ein Tech-Unternehmen“, so Regitz. Längst prägen aus ihrer Sicht nicht nur Großunternehmen wie die SAP, Telekom oder Software AG die Tech-Ökononomie, sondern alle Unternehmen wandeln sich, egal in welcher Branche. „Diese Transformation geht durch die komplette Ökonomie.“

Allerdings werde das Thema schon in den Schulen stiefmütterlich behandelt. „Es geht ja um mehr als Informatik und Programmieren. Es geht um die Fähigkeit, sich mit neuen Technologien in allen Facetten auseinanderzusetzen. Diese Fähigkeit haben wir bislang nicht, das heißt heute diskutieren viele Menschen mit einem sehr geringen Wissensstand über das Thema. Damit wachsen nicht nur Angst und Verunsicherung. Wir werden auch irgendwann abgehängt sein im Vergleich zu anderen Nationen, die den richtigen Fokus setzen“, warnt Regitz. sie tritt für eine „informatische Grundbildung“ ein – als Kulturtechnik wie Rechnen, Lesen und Schreiben.

Auch Künstliche Intelligenz gehört in den Kanon der Skills, die gebraucht werden. Umso wichtiger, unterstreicht Eva Zauke, Global Head SAP Enterprise Adoption. „Mit generativer KI hat uns also eine riesige neue Welle der Disruption erreicht und sie wird immer größer. Um dennoch erfolgreich zu sein, brauchen wir die besten Talente. Ich bin auch überzeugt, dass wir mit Blick auf ChatGPT & Co. in der KI-Welt mehr Frauen und ihre Kompetenzen brauchen. Weil sie technische und ethische Fragen gut miteinander verbinden können. Weil sie in besonderer Weise dazu in der Lage sind, die richtigen Fragen an die KI aus unterschiedlichen Perspektiven zu stellen, und weil sie zu einem kritischen Diskurs bereit sind. Weil sie ganzheitlich auf Innovationen schauen und vielleicht auch mehr von einer kritischen Neugierde motiviert werden“, so Zauke in München. „Wenn wir mehr Frauen für die KI-Welt gewinnen wollen, müssen wir sie mit wirkungsvollen Maßnahmen nachhaltig und strukturell fördern. Es reicht nicht, Erwartungen zu formulieren. Wir müssen die Begeisterung von Frauen für Technologie und ihre Wirksamkeit fördern. Hierfür gibt es viele Stellschrauben, es kommt auf die Entschiedenheit und konsequente Umsetzung an. Flexibles und hybrides Arbeiten gehört dazu, ebenso eine unparteiische Förderung von Frauen, zu der wir auch die männlichen Führungskräfte verpflichten müssen.

Weniger Ingenieursdenke, andere Unternehmenskultur

Die bislang vor allem männlich und technisch geprägte Ingenieurskultur öffnet sich in den Unternehmen für neue Expertisen und Professionen, sagen Marrs und Bultemeier. Hierarchien weichen agilen Organisationsformen und die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort ebnet den Weg für eine neue Unternehmenskultur. „Es entsteht ein Umfeld, mit dem Frauen sich besser identifizieren, in dem sie ihre Fähigkeiten besser einbringen und in dem sie mit ihren Leistungen sichtbarer werden als bisher“, sagt Bultemeier. Um die Potenziale dieses Wandels nutzen und die Tech-Ökonomie gendersensibel gestalten zu können, brauche es unter anderem Mut, traditionelle Berufs- und Karrierewege zu verlassen, eine Führungskultur, die auch Teilzeitarbeit wertschätze und die Kreativität aller Mitarbeitenden fördere, sowie starke Verbündete, die sich zum Beispiel in Frauennetzwerken engagierten, sagen die beiden Wissenschaftlerinnen. „Möglichkeitsräume sind fragil und können sich wieder schließen. Sie offenzuhalten und zu gestalten, hilft nicht nur Frauen, sondern dient auch der Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt“, so Bultemeier und Marrs.

Zum Projekt

Das Forschungsvorhaben „Zukunft sichtbar machen: 100 innovative Frauen in der Tech-Ökonomie“ (Laufzeit: 01.10.2022 bis 31.10.2024) ist ein Verbundprojekt des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München und der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. #100TechFrauen wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Förderlinie Innovative Frauen im Fokus (IFIF) gefördert und von einem Netzwerk aus Unternehmenspartnern der Dienstleistungsbranche, Industrie und der Start-up-Szene unterstützt. Hierzu gehören die AUDI AG, die Atruvia AG, die Bosch Siemens Hausgeräte GmbH (BSH), die SAP SE und die Siemens AG.

Fotomaterial @ISF

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