Warum haben Selbstständige in Deutschland kaum eine Lobby?
Weil sich in Deutschland alles um die Festanstellung dreht. Selbstständige sind außerdem eine sehr heterogene Gruppe, die in den letzten Jahren immer kleiner geworden ist. Von 46 Mio Erwerbstätigen sind ja nicht mal mehr 4 Mio selbstständig tätig. Damit das nicht zu einer Politik führt, die Selbstständigkeit immer unattraktiver macht, muss auch die Perspektive von Selbstständigen in den Blick gerückt werden. Insbesondere Freelancer und Selbstständige ohne Mitarbeiter werden politisch überhaupt nicht verstanden – obwohl es einige Verbände und Initiativen gibt, die Interessen von Selbstständigen vertreten. Mein Motto war aber immer, wenn ich mich nicht vertreten fühle, vertrete ich mich selbst.
Sie bezeichnen Deutschland als „Angestelltenland“ – woran machen Sie das fest?
Ich benutze den Begriff dann, wenn Selbstständigkeit verkannt, ignoriert oder unsichtbar gemacht wird – oft geschieht das ja absichtslos. In der Kommunikation, in politischen Entscheidungen, in wichtigen Debatten. Das ist nicht als Angriff auf die Festanstellung zu verstehen, sondern als Zwischenruf von mir, „hey! Es gibt auch noch ein paar Selbstständige im Land!“ Und ich wundere mich auch darüber, wie selbstverständlich das geschieht.
Denn: Wenn Selbstständigkeit kaum noch Beachtung findet, hat es Auswirkungen darauf, wie wir Arbeit definieren, was wir von unserer Arbeit erwarten und auch wie wir mit Eigenverantwortung und Selbstbestimmung umgehen. Es gibt keine moderne Arbeitswelt, ohne freie Arbeit, keine Innovation ohne neues Unternehmertum. Aber in all den aktuellen Debatten rund um Wirtschaft, Fachkräfte, Produktivität, auch beim Thema Erwerbsbeteiligung von älteren Menschen oder auch von Frauen – sogar wenn wir über die Zukunft der Arbeit und KI sprechen, kommt Selbstständigkeit nicht vor. Das ist absurd.
Seit Jahren engagieren Sie sich und sind die Stimme der mehr als 4 Mio. Selbständigen in Deutschland – wie setzt sich die Zahl zusammen, und was treibt Sie an?
Danke, das möchte ich mir gar nicht anmaßen, aber aus meiner Sicht braucht Selbstständigkeit starke Stimmen. Und die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, denn das Tolle an der Selbständigkeit ist auch die große Vielfalt und in den fast 4 Millionen sind Selbstständige mit und ohne Beschäftigte enthalten, gewerbliche als auch freiberufliche Tätigkeit und natürlich alle möglichen Branchen. 1,8 Mio davon arbeiten solo, also ohne Mitarbeiter. Ich bin eine von ihnen, man könnte mein Engagement also durchaus als Selbstverteidigung verstehen. Ich lasse die Art und Weise, in der mit Klischees und Unverständnis Politik gegen die Selbstständigkeit gemacht wird und offene Angriffe auf unser Lebens- und Arbeitsmodell nicht unkommentiert. Und stelle die großen Chancen und auch die Relevanz, die Selbstständigkeit für eine Gesellschaft hat, heraus. Ich spreche aber nicht für andere und vertrete auch niemanden. Mein Antrieb ist die Verteidigung der Selbstständigkeit als Lebens- und Arbeitsmodell.
Was ist das Ziel der Initiative?
Selbstständigkeit selbstverständlich machen. Das Ziel meiner 4. Mio+ Initiative ist es, Sichtbarkeit für selbstständige Leistung zu schaffen und als Selbstständige gesellschaftliche und politische Debatten mitzuführen und auch zu treiben. Wenn Freiräume immer weiter eingeschränkt werden, wenn wir Selbstständige langsam aber stetig immer weniger werden, wenn nur noch Arbeitnehmerpolitik gemacht wird, ist es höchste Zeit daran zu erinnern, welch wirtschaftliche Bedeutung, aber auch welch hohen gesellschaftlichen Wert die freie Arbeit und Unternehmertum hat.
Wie beurteilen Sie den aktuellen Koalitionsvertrag?
Im Bezug darauf, die Selbstständigkeit attraktiver zu machen, ist da nicht viel drin. Statt zügiger Entlastung werden zB. mit der geplanten Rentenversicherungspflicht sogar neue Belastungen in Aussicht gestellt. Die Steuern bleiben hoch, die Abgaben erdrückend. Für Selbstständige, die alleine arbeiten und für ihre Auftraggeber, besteht in der Frage der so genannten Scheinselbstständigkeit ganz dringender politischer Handlungsbedarf. Die damit zusammenhängende, sehr wichtige Reform des Statusfeststellungsverfahrens wird zwar aufgegriffen, aber für Klarheit sorgen die Formulierungen nicht. Damit kann man insgesamt nicht zufrieden sein.
Betrifft das Thema Frauen besonders?
Ich habe nie verstanden, warum so wenige Frauen gründen oder frei arbeiten. Denn mit der Entscheidung selbstständig zu sein, hat man immer auch die Chance, eine neue Arbeitswelt entscheidend mitzuprägen. Aber klar ist auch, dass Frauen eher damit konfrontiert sind, alles unter einen Hut bekommen zu müssen – vor allem, wenn sie sich für die Mutterschaft entscheiden. Die Hälfte der Frauen arbeitet bekanntlich in Teilzeitmodellen – mit allen Konsequenzen. Eine Antwort darauf wäre mehr Selbstständigkeit. Nur die Selbstständigkeit bietet wirklich die Chance, sich sowohl selbstbestimmte Arbeitszeit, als auch ein hohes Einkommen zu ermöglichen. Wenn man nun möchte, dass mehr Frauen gründen, sollte man nicht bloß auf Startup-Gründungen schauen, sondern die Rahmenbedingungen für die Selbstständigkeit insgesamt verbessern. Und zwar indem der Weg in die Selbstständigkeit nicht mit unfairer Abgabenlast bestraft wird oder ständig der Verdacht von Scheinselbstständigkeit mitschwingt. Darauf weise ich seit Jahren hin.
In welchen Ländern läuft es für Selbstständige deutlich besser?
Um das beurteilen zu können, muss man sich immer den Standort insgesamt anschauen. Niedrigere Steuerlast und weniger Bürokratie findet man in vielen anderen Ländern, Sozialversicherungssysteme sind dafür sehr unterschiedlich. Entscheidend ist doch aber, wie leicht oder schwer es einem gemacht wird, überhaupt selbstständig tätig sein zu können. Ob Chancen oder Bürokratie und Regulierung überwiegen und ob eine Arbeitskultur besteht, in der Akzeptanz oder sogar Wertschätzung von Selbstständigkeit spürbar ist – ob man noch das Gefühl hat, dass man vorankommen kann. Denn das spüren viele Selbstständige in Deutschland derzeit nicht mehr.
Was lässt sich jetzt noch tun, wie können Selbstständige mehr auf sich und ihre Belange aufmerksam machen?
Diese Frage stelle ich mir seit Jahren. Und ich selbst muss auch immer wieder die Ressourcen finden, schließlich ist mein Tag auch durch meine freiberufliche Arbeit ausgefüllt. Ich denke aber, Selbstständige müssen ihre eigenen Interessenvertreter sein. Dazu muss man in die Debatte einsteigen, gute Argumente haben und auch Verbesserungsvorschläge einbringen.
Warum wäre das wichtig – nicht nur für die Selbstständigen selbst, sondern für das „Angestelltenland“?
Gute Voraussetzungen für Gründung und Selbstständigkeit sind natürlich wichtig dafür, dass mehr Menschen ihre Potenziale heben und ihren eigenen Weg gehen können – es hat Einfluss auf die Durchlässigkeit und Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs in der Gesellschaft. Von unternehmerischem Optimismus profitieren am Ende alle, denn der trägt zum Modernisierungsprozess bei, den wir hierzulande dringend brauchen. Freie, die helfen, in den Unternehmen Innovation zu treiben, mehr Unternehmertum, egal ob in der Nische oder in Zukunftsbranchen. Mehr Neugründungen erreichen wir hier nur, wenn der Standort dazu einlädt. Dafür braucht es eine neue unternehmerische Arbeitskultur. Und die beginnt bei der Normalisierung der Selbstständigkeit. Ein Land, das kein Interesse an einer lebhaften Kultur der Selbstständigkeit hat, riskiert, dass es nicht nur Selbstständige verliert, sondern auch den Anschluss. Um das zu vermeiden, ist nicht nur eine andere Politik gefragt. Es liegt an jedem selbst, eine neue unternehmerische Zuversicht zu verbreiten. Und selbst zu zeigen, was geht.
Catharina Bruns ist freie Kreative, Macherin des Kreativ-Studios Happy New Monday, Autorin und Publizistin. In ihrem Briefing und Newsletter 4.Mio+ schreibt sie regelmäßig über Selbstständigkeit und Politik und sie ist Co-Initiatorin der angeschlossenen 4.Mio+ Initiative. Sie hat zwei Bücher über Arbeit und Selbstständigkeit geschrieben, gilt als unabhängige Stimme für die Selbstständigkeit und tritt erfolgreich als Vordenkerin für neues Unternehmertum auf.