Kaufst du mir diese Puppe?“, „Kann ich den Nagellack ausprobieren?“, „Darf ich zum Ballett?“ Fragen wie diese hören Eltern heute häufiger von ihren Söhnen als früher. Vielleicht trauen sich die Jungs mittler weile öfter, sie auszusprechen. Oder es liegt daran, dass sich Mütter und Väter bei kindlichen Ansagen, die dem Gender-Klischee widersprechen, nicht mehr die Ohren zuhalten. Oder beides. Es gibt aber auch Ansagen, die nach wie vor hohen Seltenheitswert haben. „Wenn ich groß bin, werde ich Krankenpfleger!“ gehört dazu. Bei Umfragen zum Thema „Traumberufe von Kindern und Jugendlichen“ rangiert die Pflege bei männlichen Befragten nach wie vor unter ferner liefen. Bei Mädchen hingegen ist „Krankenschwester“ als Karrierewunsch schon weit beliebter. Laut einer aktuellen OECD-Studie mit Befragten aus 41 Ländern landete dieser Beruf bei den 15-jährigen Girls sogar auf Platz 5.
Sieht die Zukunft der Pflege also genauso aus wie ihre Gegenwart? Laut statista.de waren 2023 nur 18 Prozent der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Pflegekräfte in Deutschland Männer – das sind zwar um vier Prozent mehr als zehn Jahre zuvor, aber immer noch auffällig wenige. In Österreich ist die Zahlenlage ähnlich: Hier betrug Ende des Jahres 2022 der Anteil von Frauen beim Pflegepersonal der stationären Betreuungs- und Pflegedienste in Österreich satte 85,4 Prozent.
Kein Spiegelbild der Gesellschaft
Dabei hätte mehr männliches Pflegepersonal zahlreiche Vorteile. Einerseits für die Patient:innen, weil ein gemischtes Team die Diversität der Gesellschaft widerspiegelt – ein wichtiger Punkt gerade bei körpernaher Pflege. Und andererseits für das Personal, weil bei ausgeglichenen Geschlechterverhältnissen kollegialer, harmonischer und effizienter zusammen gearbeitet wird. Ähnliches gilt übrigens für zahlreiche weitere „Frauenberufe“, in denen Männer immer noch rar sind: Kindergärtner und Volksschullehrer könnten – gerade für Söhne von Alleinerzieherinnen – sinnvolle Identifikationsfiguren sein, männliche Reinigungskräfte das Klischee aufbrechen, dass Putzen Frauensache sei, und nicht-weibliche Sprechstundenhilfen oder Zahnarztassistenten würden in Ordinationen von Ärztinnen für eine gute Gender Balance sorgen.
Bis es zu einer Ausgeglichenheit der Geschlechter in derzeit frauendominierten Bereichen kommt, könnte allerdings noch viel Zeit vergehen. Die Arbeitsmarktforscherin Ann-Christin Bächmann vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt sich auf BuzzFeed News pessimistisch. Sie kam in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte aller Frauen und Männer in einem geschlechtstypischen Beruf – sprich: mit mindestens 70 Prozent des jeweiligen Geschlechts – beschäftigt sind. Diese Verteilung habe sich in den letzten Jahren nur geringfügig geändert.
Ursachenforschung
Gründe dafür gibt es viele. Ein wichtiger ist sicher der Gender-Pay-Gap, wobei es hier nicht nur ums Geld geht. Laut der Soziologin Sophie Fritsch von der Wirtschaftsuniversität Wien schmälert der geringere Verdienst in Frauenberufen auch deren Ansehen und langfristig ihren gesellschaftlichen Wert – was wiederum Männer von Berufen wie Kindergartenpädagoge abschrecke. Aber auch eine frühe Berufswahl, wie sie beispielsweise in Österreich – bedingt durch das Schulsystem – gang und gäbe ist, würde einer Veränderung in der Geschlechterverteilung entgegenwirken. Denn in jungem Alter spielten Bildung und Vorbilder im eigenen Umfeld eine enorm große Rolle. Gleichzeitig würden viele Projekte und Gender Mainstreaming-Aktivitäten erst sehr spät ansetzen.
Dazu kommt, dass zumindest junge männliche Bewerber mit wenig Berufserfahrung bei Einstellungsverfahren für typische Frauenberufe mit Nach teilen rechnen müssen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der WZB-Forscher:innen Jonas Rad und Rita Yemane, die sie gemeinsam mit Kolleg:innen der Universität Oslo, der Universität Carlos III in Madrid und der Universität Amsterdam durchgeführt haben. Dabei wurden fünf europäische Länder und die Vereinigten Staaten untersucht. „In Deutschland mussten bei Stellenangeboten als Verkäufer männliche Bewerber fast doppelt so viele Bewerbungen schreiben, um zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder um weitere Informationen gebeten zu werden“, erklärt WZB-Forscher Jonas Radl. Auch in den Niederlanden, Spanien und dem Vereinigten Königreich führten ihre Bewerbungen seltener zu einem persönlichen Termin. Umgekehrt war das bei Frauen, die sich auf typische Männerjobs bewarben, nicht der Fall.
Vorbilder verzweifelt gesucht!
Ein Abbau von Vorurteilen wäre sicher hilfreich, ebenso wie der ohnehin längst fällige Ausgleich des Gender-Pay-Gaps. Letzteres könnte auch durchaus dazu führen, dass männlichen Bewerbern gegen über weniger Misstrauen entsteht – und der Gedanke „Warum bewirbt sich der für einen schlecht bezahlten Frauenjob? Da stimmt doch was nicht …“ bei Arbeitgeber:innen gar nicht erst auftaucht. Gleichzeitig macht es Sinn, sichtbare Vorbilder zu schaffen. Zu diesem Schluss kommt auch das Netzwerk Gesundheitswirtschaft Nordwest e.V., das sich gemeinsam mit der Arbeitnehmerkammer Bremen, zwei Hochschulen und fünf Pilotbetrieben aus dem Pflegebereich mit der Frage beschäftigt hat, wie mehr Männer für den Pflegeberuf gewonnen werden können. „Ein wichtiger Erfolgsfaktor für Einrichtungen im Pflegebereich ist es, bei ihrer kompletten Kommunikation Männer konsequent sichtbar zu machen und aufzuzeigen, wie vielseitig das Berufsbild ist“, erklärt Projektleiter Merlin Wenzel auf pflegenetzwerk-deutschland.de. Das betreffe die Internetseiten ebenso wie Stellenausschreibungen oder Social-Media-Auftritte.
Und natürlich spielt auch die frühkindliche Prägung eine Rolle. „Während der formalisierte Berufswahlprozess im Alter von circa 13 bis 18 Jahren stattfindet, entwickeln Kinder schon sehr früh individuelle, subjektive Berufsbilder und Berufsfantasien“, schreibt Vaclav Demling vom deutschen Bundesinstitut für Berufsbildung auf klischee-frei.de. Für die Entstehung dieser Bilder seien das Elternhaus, das gesellschaftliche Milieu, die Kindertagesstätte, die Gruppe der gleichaltrigen Kinder und später die Grundschule sowie Medien verantwortlich. „All diese Einflussfaktoren sind in der Regel hochgradig mit Geschlechterklischees verknüpft und legen Mädchen und Jungen häufig verschiedene berufliche Optionen nah.“
Rechtzeitig Weichen stellen
Ein genderneutraler Berufswahlprozess ist auf eine klischeefreie, frühe Bildung angewiesen. Sie fördert die Entwicklung individueller Interessen und Stärken unabhängig vom Geschlecht. Und sie sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche Berufe nicht in Schubladen einteilen, sondern offen bleiben für Tätigkeiten, die ihnen liegen und in denen sie sich selbst wieder finden. Eltern, die ihren Söhnen ermöglichen, mit Puppen zu spielen, mit Nagellack zu experimentieren und Ballettstunden zu besuchen, machen also nichts falsch. Ebenso wie Mütter und Väter, die Klischees und eigene Vorurteile generell kritisch reflektieren. „Wir alle reproduzieren bewusst und unbewusst Geschlechterklischees und tragen sie an Kinder heran, die diese Stereotype verinnerlichen und sich an ihnen orientieren“, erklärt Demling. Es schadet Erziehungspersonen also nicht, sich selbst ein bisschen genauer zu beobachten – und vielleicht schon frühzeitig zu überlegen, wie man reagieren möchte, wenn der eigene Sohn nicht nur gern die Babypuppe wickelt, in der Spielzeugküche die Hühnersuppe rührt und seinen Stofftieren Fieber misst, sondern vielleicht irgendwann einmal auch sagt: „Wenn ich groß bin, werde ich Krankenpfleger!“
Deutlicher Unterschied: 2023 waren nur 18 Prozent der sozialversichungspflichtig beschäftigten Pflegekräfte in Deutschland Männer.