Anfang des Jahres geisterte eine Meldung durch die europäische Medienlandschaft, die für viele nur sehr schwer einzuordnen war. Finnlands neue Regierungschefin Sanna Marin soll sich angeblich für die Einführung einer 4-Tage-Woche ausgesprochen haben. Wie sich nach und nach herausstellte, ging es dabei aber nicht um ein konkretes Vorhaben, sondern nur im eine Idee, die Marin im August 2019, damals noch als Verkehrsministerin, während einer Podiumsdiskussion in den Raum geworfen hatte. Von einer gesetzlich verankerten 4-Tage-Woche oder einem gesetzlich festgeschriebenen 6-Stunden-Tag also keine Spur. Spuren hinterließ die Meldung trotzdem, denn rund um das Thema tat sich erneut ein Möglichkeitsraum auf, der sehr viel Platz für Diskussionen, Artikel und Studien ließ. Und plötzlich standen Fragen im Raum, die dem Ganzen nicht mehr wie eine Utopie, sondern wie eine reale und logische Anpassung an unsere heutige Lebens- und Arbeitswelt klingen ließen. »Weniger Stunden bei gleichem Gehalt? Geht das etwa doch?« Es wurde also diskutiert.

Es muss gehen

Für Sarah Kivalo, Teamlead des Performance Marketing Teams im Büro für Interaktion, ist die Sache klar: Es geht. Und vielmehr noch: Es muss gehen. Denn so wie wir momentan arbeiten, werden wir in Zukunft nicht mehr arbeiten. »Unsere heutige Gesellschaft ist ingesamt sehr leistungsorientiert. Je mehr man arbeitet, desto mehr ist man wert. Das entspricht aber eigentlich überhaupt nicht der Entwicklung unserer Gesellschaft insgesamt, weil durch die fortschreitende Digitalisierung ja schon sehr viel Zeit und Arbeitskraft eingespart werden kann. Die Produktivität pro Person und damit verbunden auch unsere Arbeitszeit sollte also eigentlich sinken. Dem steht jedoch unsere Gesellschaft und unser gesamtes ökonomisches System entgegen«, fasst Kivalo die Situation zusammen. Sie selbst arbeitet, wie ihre anderen Kolleginnen und Kollegen auch, nur 32 Stunden und kann sich diese selbst einteilen. Seit 1. Februar 2019 ist sie Teil des Teams. Die 32-Stunden Woche bei vollem Gehalt, die im Büro für Interaktion für alle Mitarbeiter*innen gilt und die es schon seit der Gründung der Agentur gibt, war für sie ein entscheidender Faktor bei der Wahl ihres zukünftigen Arbeitgebers. »Ich habe zwei kleine Kinder und war eigentlich auch noch in Karenz als ich begonnen habe zu suchen. Der Plan war, dass ich danach wieder Vollzeit arbeiten gehe. Mein Mann und ich haben dann aber sehr schnell realisiert, dass das bedeuten würde, dass unsere Kinder zehn Stunden im Kindergarten bleiben müssten und wir kaum Familienzeit hätten. Die klassische Situation – der Mann arbeitet Vollzeit und die Frau arbeitet Teilzeit – wäre dann finanziell schwierig geworden. Außerdem wird gerade bei Teilzeitstellen meist sehr viel verlangt und dafür verhältnismäßig wenig gezahlt«, so Kivalo und fügt noch hinzu, dass es außerdem meistens so ist, dass man als Teilzeitangestellte die schönen, spannenden Projekte gar nicht bekommt. »Also jene Projekte an denen man auch wachsen kann. Wenn aber alle nur 32 Stunden arbeiten, ist man vollwertiges Mitglied des Teams und hat auch die gleichen Chancen was persönliche Weiterentwicklung angeht.« Die zusätzliche Lebensqualität, die ihr die 32-Stunden-Woche gebracht hat, würde sie auf jeden Fall nur sehr ungern wieder aufgeben wollen.

Bettina Stadler, FORBA ©Walter Skokanitsch

Wünsche werden nicht mehr aufgespart

Wie Sarah Kivalo ist auch Bettina Stadler davon überzeugt, dass sich die Ansprüche an die Arbeitswelt und an die Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit geändert haben. Das hängt unter anderem auch mit dem stetig steigenden Pensionsantrittsalter zusammen. »Bei der älteren Generation, die vielleicht bald in Pension geht oder schon in Pension ist, ist die Vorstellung sehr weit verbreitet, dass man jetzt viel arbeitet und sich Wünsche, Reisen und Selbstverwirklichung aufhebt, um dann in der Pension, die man im besten Fall möglichst jung antritt, all jene Dinge zu erleben, für die man vorher keine Zeit gehabt hat. Bei der Generation, die jetzt auf den Arbeitsmarkt drängt, ist das Pensionsantrittsalter schon deutlich höher und wird vermutlich noch weiter steigen. Ich kann mir also keine Wünsche mehr aufsparen. Diese Dinge müssen deshalb jetzt untergebracht werden. Das hat schon einen sehr großen Mentalitätswandel in der Gesellschaft ausgelöst«, erklärt Stadler, die Soziologie, Politikwissenschaft und Gender Studies studiert hat und seit 2015 Teil des Team der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) ist. Aufgrund des anhaltenden Fachkräftemangels ist es, wie Stadler hinzufügt, außerdem so, dass Unternehmen aus Branchen, die händeringend nach Fachkräften suchen, gerade jüngeren Arbeitnehmer*innen mit flexibleren Arbeitszeiten entgegenkommen müssen. Das bestätigt auch Klaus Hochreiter, Geschäftsführer der in Oberösterreich ansässigen Agentur E-Magnetix, die als erstes Unternehmen in Österreich auf eine 30-Stunden-Woche bei vollem Gehalt umgestellt hat. »Der Auslöser war im Jahr 2015. Wir haben damals in Wahrheit einfach keine neuen Mitarbeiter mehr gefunden, besonders für Jobs mit Berufserfahrung. Das war wirklich eine sehr bedenkliche Situation. Die Mitarbeiter, die da waren, die mussten die ganze Arbeit machen – eben auch mit Überstunden. Da hab ich gewusst, dass wir was unternehmen müssen und zwar bald, weil der Fachkräftemangel nur noch schlimmer werden wird«, so Hochreiter in einem Gespräch mit dem Magazin Kontrast.

»30 sind genug« © E-Magnetix

Zeit für Streit? Ja, sicher.

Die Produktivität und Motivation seiner Mitarbeiter*innen ist, so Hochreiter, auf jeden Fall gestiegen. Schon öfter hat er gehört, dass sich neue Mitarbeiter*innen, die früher in All-in-Verträgen gearbeitet haben, darüber gewundert haben, dass sie plötzlich am Nachmittag mit den Aufgaben fertig waren, die sie früher bis in die Abendstunden bearbeitet haben. Die in unserer Gesellschaft stark verankerte Präsenzkultur hatte ihre Produktivität gedämpft. Kritiker*innen an neuen, kürzeren Arbeitszeitmodellen merken vor allem an, dass aufgrund des höheren Produktivitätslevels, die soziale Komponente am Arbeitsplatz zu kurz käme. Sarah Kivalo kann diese Kritik nicht bestätigen: »Klar, unser Tag muss gut durchstrukturiert sein und wir müssen effizienter arbeiten. Es gibt aber auch bei uns genug soziale Aktivitäten. Gemeinsame Mittagessen, Drinks am Feierabend und Streits kommen auch bei uns vor. Mit einem großen Unterschied: Ich hab keinen Leerlauf. Oder muss noch schnell einkaufen gehen, weil ich am Abend keine Zeit mehr dafür habe. Auch bei Arztterminen schaue ich jetzt darauf, dass sie nicht in meine Arbeitszeit fallen. Viele Dinge, die ich früher während der Arbeitszeit erledigt habe, kann ich jetzt während meiner freien Zeit machen. Und das nimmt schon sehr viel Stress weg.« Und fügt noch lachend hinzu: »Wir müssen also irgendwie mehr arbeiten, aber irgendwie auch nicht. Die Zeit in der ich hier bin, arbeite ich und verbringe nicht mein Leben hier.« Bettina Stadler sieht das Thema etwas anders und betont in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Intensivierung von Arbeit. »Leerläufe, wie sie früher normal waren, werden nicht mehr toleriert und die verfügbare Arbeitskraft wird anders geplant. Die Befürchtung ist sicher zutreffend, dass bei einer Verkürzung der Arbeitszeit, diese Zeit noch stärker intensiviert wird. Das ist vielleicht der Preis, den man für kürzere Arbeitszeit bezahlen muss«, betont sie, fügt aber auch hinzu, dass jene Stunden, die dann wegfallen, ohnehin meistens nicht die produktivsten Arbeitsstunden sind. Die positiven Nebeneffekte, sie sich aus verkürzten Arbeitszeiten ergeben, sind jedenfalls weitreichend. So begrüßt es Sarah Kivalo zum Beispiel sehr, dass sie ihre freie Zeit unter anderem dafür nutzen kann, um sich mit ihren Finanzen zu beschäftigen. Ein Vorhaben, das sie schon viel zu lange aufgeschoben hat. Stark verkürzt zusammengefasst könnte man also sagen, dass die 32-Stunden-Woche dem Gender Pension Gap entgegenwirkt.

Grafiken © E-Magnetix