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Nicht von dieser Welt: Weltraumarchitektur aus Wien

In Wien arbeitet ein Architekt:innenteam am Entwurf von Wohnstätten im Weltraum. Dass sich ein Land wie Österreich damit in die explorative Raumfahrt einbringt, ist auf den ersten Blick ungewöhnlich. Dass dabei zwei Frauen federführend sind, umso mehr.

An Wien denken wohl die wenigsten, wenn es um die Frage geht, wer eigentlich Wohnstätten im Weltall designed. Und doch haben hier zwei Frauen vor beinahe 20 Jahren eine Firma gegründet, die sich interdisziplinär mit explorativer Weltraumforschung beschäftigt: LIQUIFER heißt das Büro für Weltraumarchitektur, das Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder 2005 gegründet haben. Aber wie wird frau eigentlich Weltraumarchitektin? Und was gilt es zu beachten, um für Astronaut:innen in der Schwerelosigkeit zu designen?

Schwerelose Herausforderung

Im Unternehmen LIQUIFER in Wien entstehen Designs und Entwürfe, die später einmal maßgeblich mitbestimmen, wie Astronaut:innen ihren Alltag in der Schwerelosigkeit erleben. Stühle braucht es im All keine, man schwebt ja sowieso. Dafür sind Fußrasten allgegenwärtig, denn schon der kleinste Druck auf eine Taste würde Astonaut:innen davonfliegen lassen. Um die Hände beim Arbeiten freizuhaben, müssen sich Weltraumreisende also stets mit den Füßen fixieren können. Eine besondere Herausforderung stellen Platz und Gewicht dar. Alles, das in einer Raumstation und einer Wohnstätte benötigt wird, muss erst einmal in einer Rakete ins All geschossen werden. Und das kostet. Deshalb arbeitet man bei LIQUIFER mit besonders leichten Materialien und macht sich faltbare oder aufblasbare Module zunutze. Ist eine Schlafkoje nicht in Verwendung, kann man sie etwa wegfalten.

Faltbare Astronaut:innenkajüte für die Internationale RaumstationFoto: Bruno Stubenrauch
Faltbare Astronaut:innenkajüte für die Internationale Raumstation. Foto: Bruno Stubenrauch

Essen, schlafen, mal aufs Klo?

Schwierig wird es auch bei Hygienetätigkeiten oder beim Essen. Auch Flüssigkeiten schweben in der Schwerelosigkeit einfach im Raum. Und beim Schlafen ist noch lange nicht Schluss mit der Herausforderung: Durch die fehlende Schwerkraft schweben Astronaut:innen nicht nur in einer Haltung, die jener unter Wasser ähnlich ist. Manche bekommen auch Probleme mit dem Rücken, da die Erdanziehungskraft normalerweise dafür sorgt, dass die Wirbelsäule über den Tag hinweg etwas zusammengestaucht wird. Im All dehnt sie sich jedoch aus, was zu Schmerzen führen kann. Um dieses Unwohlsein nicht zu verstärken, hat das Team einen Schlafsack entworfen die eine leicht gekrümmte Haltung erlaubt und die Muskulatur um die Wirbelsäule entspannt werden kann. Um nicht sprichwörtlich ins Träumeland davonzuschweben, sind auch die Schlafsäcke in den Kojen befestigt. All das müssen Weltraumarchitekt:innen beachten, wenn sie die Wohnräume fürs All designen: „Menschen haben im Weltraum dieselben Bedürfnisse wie auf der Erde. Nur sind sie nicht immer genauso leicht zu erfüllen“, sagt Weltraumarchitektin Barbara Imhof. Aber wie wird man eigentlich Weltraumarchitektin?

Der Start: Klein und wendig

Barbara Imhof und Waltraut Hoheneder lernten einander beim Architekturstudium in Wien kennen. Nach Imhofs weiterführendem Studium an der International Space University (ISU) in Straßbourg starteten die beiden Frauen gemeinsam mit Susmita Mohanty, einer Ingenieurin aus Indien, die auch einen Background in Design mitbrachte, mit einem sogenannten „Tiger Team“ in die Weltraumarchitektur: Einem kleinen, agilen Team, das die Bereiche Weltraumexploration, Wissenschaft, Architektur und Design verband. Die Gründungsidee von LIQUIFER war es, interdisziplinäre Aufgaben im Bereich der explorativen Raumforschung zu übernehmen.

Das Timing meinte es gut mit den Innovatorinnen: Als die Europäische Raumfahrtagentur ESA in den frühen 2000er-Jahren das Programm AURORA zur Weltraumexploration ins Leben rief, beteiligte sich auch Österreich finanziell daran und nahm in weiterer Folge an Wettbewerben teil. Die Angst von Gründer:innen, in einem multidisziplinären Umfeld wie der Raumfahrt sofort alle Expert:innen im eigenen Unternehmen anstellen zu müssen, entkräftet Hoheneder: „Wir haben ganz klein begonnen. Man muss nicht immer mit einem riesigen Team starten und eine große Firma finanzieren. Expert:innen kann man auch in Form von Consultants hinzuziehen.“

Durchsetzen mussten sich Hoheneder und Imhof trotzdem. Das Umfeld der ESA Anfang der 2000er-Jahre beschreibt Barbara Imhof als wenig divers: „Wenn man zum European Space Research and Technology Centre (ESTEC) in Holland gefahren ist, war das stark dominiert von männlichen Ingenieuren mittleren Alters. Das ist erst langsam aufgebrochen.“ Jüngere und Frauen hätten zwar Einzug gehalten, aber es sei weiterhin schwierig für Frauen, an die Spitze zu kommen, sagt Imhof: „Die ist immer noch sehr männlich, weiß und westlich:“ Es werde immer noch als Novum betrachtet, wenn Frauen in führende Positionen kämen, und damit passiere es auch immer noch nicht mit einer Selbstverständlichkeit.

International Habitat Module der Mondorbitalstation Gateway: In der Schwerelosigkeit spielen "Oben" und "Unten" andere Rollen als auf der Erde. Credi: LIQUIFER
International Habitat Module der Mondorbitalstation Gateway: In der Schwerelosigkeit spielen „Oben“ und „Unten“ andere Rollen als auf der Erde. Credi: LIQUIFER

Wanted – starke Netzwerke

Eine Besonderheit in der Weltraumforschung ist die Vergabe vieler Projekte über Wettbewerbe, die wiederum nur im Konsortium mit interdisziplinären Teams gewonnen werden können, erklärt Waltraut Hoheneder: „In dieser Branche bist du nie Einzelkämpferin. Dafür braucht es die Verankerung in einem Netzwerk, und es braucht Zeit, um da hineinzuwachsen.“ Dementsprechend waren Imhof und Hoheneder auch noch in anderen Bereichen engagiert, bis sich das Büro für Weltraumarchitektur selbst tragen konnte. So hatte Imhof an der Technischen Universität Wien eine Assistenzstelle inne, in der sie Themen rund um Weltraumexploration einbringen und den Studierenden zugänglich machen konnte.

Mikrobiologie, Ingenieurskunst, Kreislaufwirtschaft

Wie interdisziplinär das Wirkungsfeld von Weltraumarchitekt:innen ist, zeigen Entwicklungen, an denen für zukünftige explorative Missionen gearbeitet werden. Hochentwickelte Robotik in Raumstationen, der Einsatz von Mikroben und Technik für die Aufbereitung von Trinkwasser und die Herstellung von Biosphären, in denen so etwas wie das Betreiben von Gewächshäusern im Weltall möglich werden soll – all das sind Bereiche, mit denen Space Architects früher oder später in Berührung kommen. Vieles davon ist auch auf der Erde gut einsetzbar oder wird gar bitter benötigt. Ressourcen- und Wasserknappheit und die nachhaltige, energieschonende Herstellung von Nahrungsmitteln in widrigen Umständen und auf kleinstem Raum sind nur einige Anwendungsbereiche, für die die Weltraumforschung wichtige Grundlagen liefert.

Wer für den Weltraum trainiert, macht das in Analogmissionen wie im SHEE Habitat der Mars Analogmission in Rio Tinto, Spanien, 2016Foto: Bruno Stubenrauch
Wer für den Weltraum trainiert, macht das in Analogmissionen wie im SHEE Habitat der Mars Analogmission in Rio Tinto, Spanien, 2016
Foto: Bruno Stubenrauch

Mehr Frauen in der Raumfahrt

Die beiden Unternehmerinnen wissen, wie es ist, als Frau in einer männerdominierten Branche Fuß zu fassen. Barbara Imhof war selbst in der Vereinigung Women in Aerospace Europe aktiv, die sich für höhere Frauenquoten und mehr Diversität in der Weltraumforschung einsetzt. Beginnen müsse man aber schon viel früher, sagt Imhof: „Das klingt oft banal, aber es beginnt im Kleinen. Wenn wir wollen, dass wir mehr Frauen in der Führung haben, müssen wir ganz vorne anfangen.“

Soll heißen: Bereits Studentinnen müssen unterstützt werden, in Netzwerke aufgenommen werden. Sie benötigen Mentoring, damit sie sich trauen, eine Bewerbung für eine Stelle in der Weltraumforschung abzuschicken. Nur wer den ersten Schritt setzt, kann später auch für Managementposten ins Gespräch kommen und selbst mehr Frauen rekrutieren. Die Haltung an österreichischen Universitäten macht auch Waltraut Hoheneder nicht immer glücklich. Dass jungen Studierenden die Neugier oft regelrecht abtrainiert wird, stört sie. „Der Aufgabe von Universitäten sollte doch eher sein, Studierenden zu zeigen, was alles möglich ist. Nicht vorzubeten, was wieder einmal nicht geht. Man muss als Lehrende schauen, dass Studierende Feuer fangen.“

Tipp fürs Gründen: Lockeres Selbstbewusstein

Etwas, das Barbara Imhof stark geprägt hat, war das Mindset, das sie in den Vereinigten Staaten erlebt hatte: „In den USA gehen Menschen mit viel mehr Selbstbewusstsein an Entrepreneurship heran. Sie präsentieren sich ganz anders, stellen ihre Projekte vor, als seien sie das größte Wunder der Welt.“ Dass nicht jede Idee sofort in die Tonne getreten wird, nur weil sie momentan noch nicht umsetzbar ist, hilft, eine offene Herangehensweise zu entwickeln. Kulturelle Unterschiede machen es nicht immer möglich, genau dasselbe Mindset auch nach Österreich zu transportieren, sagt Imhof. Aber: „Diese Art zu denken macht es einfach möglich, auch einmal lockerer an das Thema Gründung heranzugehen. Man probiert auf diese Weise einfach mehr aus.“

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