Marita Haas berät Unternehmen, die mit strukturellen Ungleichheiten aufräumen möchten. Und zwar nachhaltig. Frauenförderprogramme, Mentoring und Unternehmensnetzwerke spielen dabei nur eine stark untergeordnete Rolle.
Marita Haas ist Gender-Expertin und berät Unternehmen, die sich in diesem Bereich weiterentwickeln und strukturelle Umgleichheiten aus ihrem Organismus verbannen möchten. Bevor sie sich vor etwa drei Jahren mit dem Thema Gender Consulting selbstständig gemacht hat, setzte sie sich auf Forschungsebene mit dem Themenbereich auseinander. »In diesem Zusammenhang wurde mir immer deutlicher bewusst, dass es keinen nachhaltigen Effekt hat, wenn man sich auf Frauenförderung konzentriert. Es geht also nicht um ‚fix the women‘, sondern um die Veränderung von Prozessen und Systemen. Frauennetzwerke und Frauenförderprogramme haben mit echter Gleichberechtigung wenig zu tun«, sagt Haas. Wenn sie Unternehmen berät, dann möchte sie, dass das Thema Gender Equality in allen Bereichen und auf allen Hierarchieebenen implementiert wird. »Es muss immer darum gehen, diese neuen Prozesse top-down einzuführen und das verlangt auch ein klares Bekenntnis der Geschäftsführung«, fügt sie noch hinzu.
Am Anfang sollte daher immer die Erkenntnis stehen, dass es im jeweiligen Unternehmen strukturelle Ungleichgewichte gibt, die sich auf verschiedenen Achsen auswirken können. »Dann ist es wichtig, dass sie die Unternehmen überlegen, welche Hebel sie bedienen könnten, um Gleichberechtigung zu erzeugen. Dabei kann es um das Thema Zeit gehen, aber auch um die Personalpolitik innerhalb des Unternehmens oder um die Strukturierung des Arbeitsalltags«, so die Expertin. Dass sich nun einige Organisationen mit dem Argument zu Wort melden, sie hätten als Folge der Corona-Krise nicht mehr die nötigen Ressourcen, um sich weiterhin mit dem Themenbereich Gender und Diversität zu beschäftigen, hält Marita Haas für schwierig. »Es ist immer der richtige Zeitpunkt, um sich mit dem Thema Gleichberechtigung auseinanderzusetzen. Egal, ob es gerade eine eine Krise gab oder nicht.« Als Chance möchte sie die Corona-Krise aber nicht sehen, sondern lieber als Bündel verschiedener Learnings, die man aus der Krise in die Zukunft mitnehmen kann. »Wenn von der Krise als Chance gesprochen wird, dann klingt das immer so als ob wir alles aus dieser Krise einfach nehmen und in etwas Positives umwandeln könnten. Worum es aber eigentlich gehen sollte, ist, die Learnings daraus mitzunehmen und sich anhand des Gelernten zu überlegen, worauf wir in Zukunft den Fokus richten möchten«, erklärt Marita Haas.
Wie viele dieser Learnings sich auf das Thema Gleichberechtigung beziehen werden, bleibt abzuwarten. »Weil ich jemand bin, der gerne positiv in die Zukunft schaut, versuche ich das auch bei diesem Thema«, so Marita Haas lachend. Denn obwohl die Krise in aller Deutlichkeit gezeigt hat, wie wenig weit wir beim Thema Gleichberechtigung in Wahrheit immer noch sind, ist zumindest die Aufmerksamkeit für diese Ungleichgewichte gestiegen und Frauen in systemerhaltenden Berufen und prekären Verhältnissen haben einen kleinen Teil jener Sichtbarkeit bekommen, die sie schon vor der Krise hätten erfahren sollen. »Corona hat uns gezeigt, wo wir gesamtgesellschaftlich nicht hinschauen. Jetzt hoffe ich, dass der Blick noch etwas länger dort bleibt und Taten folgen«, sagt die Gender-Expertin. Wie wichtig diese Taten wären, zeigen auch aktuelle Zahlen zur Arbeitslosigkeit in Österreich. So sind 85 Prozent jener Menschen, die durch Corona ihren Job verloren haben, Frauen. »Das hat verschiedene Hintergründe«, erklärt Marita Haas. »Frauen sind nach wie vor sehr viel stärker als Männer in Berufsfeldern vertreten, in denen sie administrative und unterstützende Funktionen haben. Diese Jobs fallen in Krisenzeiten als erstes weg. Wir beobachten also sowohl einen gewissen Brancheneffekt als auch einen klaren Einkommenseffekt.«
Wenn es um das große Ungleichgewicht in den Führungsetagen österreichischer Unternehmen geht, dann berichtet Marita Haas vor allem von einer Beobachtung: »In vielen Unternehmen erlebe ich eine ähnliche Argumentation: Frauen möchten ja gar nicht in Führungspositionen kommen, weil sie mehr Zeit der Familie widmen wollen. Diese stereotypen Vorstellungen darüber, was die Gruppe der Frauen möchte, ist tief in unseren Köpfen verankert.« Das Bestreben hier etwas zu verändern wird in vielen Unternehmen direkt in Frauenförderprogramme umgewandelt. Diese haben, wenn es nach Marita Haas geht, in den meisten Fällen aber keinen nachhaltigen Effekt auf die Organisation. Auch bei der Gründung von Frauennetzwerken ist sie skeptisch. »Wir wissen, dass es eine lange Tradition von Netzwerken gibt, in denen sich spezielle Unterstützungsmechanismen entwickelt haben. Vor allem bei der Nachwuchsförderung von Männern ist sehr viel passiert.« Dasselbe Modell einfach nachzubauen und zu kopieren, kann ihrer Meinung nach nicht das Ziel einer nach Gleichberechtigung strebenden Gesellschaft sein. Dafür ist es auch in seiner umgekehrten Ausprägung zu stereotypisierend. »Wir sollten uns also fragen, wie eine gleichberechtigte Nachwuchsförderung aussehen kann, die zwar denselben Zweck erfüllt, aber auf gleiche Teilhabechancen schaut«.