Interview: Gloria Stebernjak
„A bra for every woman in every life phase“ – das ist die zentrale Botschaft der neuen Markenpositionierung von Hunkemöller. Mit der Strategie werden Frauen in all ihren Lebensphasen in den Mittelpunkt gestellt. Dabei setzt die Marke auf Authentizität: weg von stereotypen Frauenbildern – hin zu natürlicher Weiblichkeit. Hunkemöller befindet sich auf einer Transformationsreise und diese wird durch den neuen Eigentümer Redwood Capital Management umgesetzt. Wir haben bei der Eröffnung des ersten deutschen Stores im neuen Look mit CEO Brian Grevy über die Neuausrichtung gesprochen.
Herr Grevy, Sie leiten seit einem Jahr eine der größten Lingerie-Marken Europas – was war die wichtigste Veränderung, die Sie in dieser Zeit angestoßen haben?
Brian Grevy: Die größte Veränderung ist unsere Transformationsreise. Diese Transformation zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Unternehmen. Sie beginnt natürlich bei der Marke. Es gibt zwei Dinge, die uns besonders am Herzen liegen: unsere Marke und unsere Produkte. Nur mit beidem können wir unseren Kundinnen den bestmöglichen Service bieten. Marke und Produkt haben wir gründlich überarbeitet.
Sie kommen aus der Welt von Adidas und GANT – zwei Marken mit sportlichem Image. Wie haben Sie sich in die intimere Welt der Dessous eingefunden? Was war Ihre größte Herausforderung beim Wechsel zu Lingerie?
Was für Marken grundsätzlich gilt – sei es GANT, Adidas, Hunkemöller oder andere – ist, dass wir Erlebnisse für unsere Kund:innen schaffen und ihnen großartige Produkte bieten, Probleme lösen oder neue Möglichkeiten erschaffen.
Wichtig zu erwähnen ist dabei: Wenn man in diesen Bereich einsteigt, gibt es viele Dinge, die man nicht weiß, genauso wie ich vieles nicht wusste. Ich stelle täglich unheimlich viele Fragen. Denn ich bin überzeugt, dass Lingerie-Marken lange Zeit vor allem durch den „male gaze view“ definiert wurden. Es ging oft darum, was Männern gefällt. Da bin ich anderer Überzeugung. Dieser Bereich soll von Frauen übernommen, gestaltet und kommuniziert werden.
„Ich versuche nicht zu wissen, was Frauen wollen oder brauchen.“
Ein Mann als CEO einer Lingerie-Marke – wie oft hören Sie die Frage: „Woher wollen Sie wissen, was Frauen brauchen?“
Ich versuche nicht zu wissen, was Frauen wollen oder brauchen. Genau dafür habe ich die fantastischen Frauen im Unternehmen. Wenn man sich den Kern der Firma anschaut, sieht man: In allen Bereichen, die mit der Marke zu tun haben, sind es überwiegend Frauen. Alles, was mit Kreativität und dem Produkt zu tun hat, wird bei uns von Frauen gemacht und das halte ich für extrem wichtig. Sie bringen die Insights ein, die für unsere Lingerie relevant sind. Es wäre doch eine interessante Diskussion, wenn ich als Mann behaupten würde: „Ich weiß, was Frauen mögen.“ Im Gegenteil. Genau durch diesen Ansatz ist auch unsere große Transformation entstanden, mit einer neuen Markenpositionierung.
Gibt es Momente, in denen Sie sich denken: „Da muss ich meine weiblichen Teammitglieder fragen – das kann ich nicht allein entscheiden“?
Ich bin neugierig und stelle viele Fragen. Und ich lese viel – mein Fokus liegt darauf, die richtigen Fragen zu stellen und passende Rahmenbedingungen zu schaffen. Der inhaltliche Input stammt von Frauen. Natürlich kenne ich mich im Sportbereich etwas besser aus, weil ich selbst viel Sport treibe. Da kann ich sagen: „Die Schuhe sitzen, das fühlt sich gut an.“ Aber bei Lingerie ist das ganz anders. Ich habe unglaublich viel von meinem Team gelernt und auch aus der Customer Research, die wir betreiben.
Unsere Forschung zeigt: Die richtige Lingerie ist „the first layer of confidence“. Und das ist ein unglaublich wertvoller Insight, auf dem wir aufbauen können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass rund 80 Prozent aller Frauen heute die falsche BH-Größe tragen. Das ist eine Herausforderung – und gleichzeitig eine Möglichkeit, echten Mehrwert zu schaffen. Wenn man das im Team bespricht, merkt man schnell: Es gibt viele Tabus rund um dieses Thema.
Hunkemöller ist eine der ältesten Lingerie-Marken der Welt. Wie machen Sie diese Traditionsmarke fit für die Zukunft?
Ich glaube, es sind zwei Dinge, bei einer Marke mit so viel Geschichte: Zum einen verleiht uns unsere Historie Authentizität. Sie gibt uns die Möglichkeit, unsere Reise zu erzählen. Zum anderen ist es entscheidend, dass sich eine Marke im Laufe der Zeit weiterentwickelt. Eine Marke muss sich gemeinsam mit ihren Kund:innen bewegen. Wenn das nicht passiert, verliert sie ihre Relevanz.
Deshalb ist die nächste Stufe für uns, unsere neue Markenpositionierung über das gesamte Unternehmen hinweg zu verankern. Es geht nicht mehr nur darum, ein Produkt zu verkaufen, wir wollen eine echte Experience schaffen. Dann konzentrieren wir uns auf unsere Vertriebskanäle. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist die Digitalisierung, insbesondere mit Blick auf Künstliche Intelligenz.

Ein Lingerie-Store ist kein gewöhnliches Geschäft – er ist ein intimer Raum. Wie haben Sie das neue Store-Konzept gestaltet, damit Frauen sich hier wohlfühlen? Viele Frauen fühlen sich in Umkleidekabinen ja gern unwohl … schlechtes Licht, enge Räume…
Auf diesen Bereich haben wir einen ganz besonderen Fokus gelegt, denn das war eines der wichtigsten Insights aus dem Team: Die Umkleidekabinen müssen großzügiger, luxuriöser sein – ein Raum, in dem man sich wirklich wohlfühlt. Deshalb haben wir bei der Gestaltung auf Größe, hochwertige Materialien und eine ruhige Atmosphäre geachtet. Es kann auf Wunsch geklingelt werden, um persönlichen Service zu erhalten. Das haben wir gezielt in das Design integriert. Unser Anspruch ist es, sich stetig weiterzuentwickeln. Seit unserem ersten umgebauten Store im November haben wir viele Anpassungen vorgenommen.
Wir setzen auch ganz bewusst auf bestens geschultes Personal in unseren Stores. Das spielt besonders bei sensiblen Themen wie der richtigen BH-Größe eine Rolle. Deshalb haben wir gerade eine große Investition in Schulungen freigegeben. Diese Trainings werden nicht nur einmalig stattfinden, sondern regelmäßig. Und es geht um mehr als Verkauf: Unser Store-Personal liefert uns wertvolle Insights aus den täglichen Kundengesprächen.
Der Einzelhandel kämpft ja mit rückläufigen Besucherzahlen. Warum glauben sie trotzdem an das Konzept stationärer Läden?
Ich bin 100 Prozent überzeugt: Wenn du ein wirklich gutes Konzept hast und deinen Kund: innen einen Grund gibst, ein stationäres Geschäft zu besuchen, dann hat Brick-and-Mortar Retail weiterhin eine starke Zukunft. Gerade im Lingerie-Bereich ist der persönliche Service entscheidend, weil es ein sehr intimes Thema ist. Und genau deshalb, finde ich, haben Lingerie-Stores absolut ihren Platz. Natürlich gilt auch hier: Ohne starke Marke, klares Sortiment und emotionale Bindung verliert ein Store seine Relevanz.
„Unser Ansatz ist „ageless“ – wir zeigen nicht nur junge Frauen, sondern ein breites Spektrum.“
Sie sagen, Hunkemöller ist für Frauen in jeder Lebensphase da. Wie setzen sie diesen Anspruch konkret um?
Wir arbeiten gezielt mit Anlässen und Kollektionen, die verschiedene Lebensphasen und Bedürfnisse unserer Kundinnen abdecken. Das beginnt beim ersten BH und reicht über alle Stationen des Lebens – etwa die Menopause oder körperliche Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit auf Größe und Passform auswirken. Für all diese Phasen entwickeln wir ganz bewusst spezifische Produkte.
Und genau das greifen wir auch kommunikativ auf: Wir sagen unseren Kundinnen ganz klar: Wir sind für dich da, in jeder Phase deines Lebens. Wenn man heute auf unser Portfolio schaut, sieht man eine viel größere Vielfalt an Frauen, die unsere Marke repräsentieren. Unser Ansatz ist „ageless“ – wir zeigen nicht nur junge Frauen, sondern ein breites Spektrum. Dabei achten wir auch sehr bewusst auf die Größenverfügbarkeit. Es wird nicht möglich und wirtschaftlich sinnvoll sein, jede Kollektion in jeder Größe anzubieten. Das haben frühere Versuche gezeigt. Aber wir analysieren genau, wo wir welche Größenspanne wirklich anbieten müssen, um unsere Kundinnen bestmöglich zu bedienen.
Wie definieren sie Erfolg für Hunkemöller? Geht es primär Wachstum oder gibt es andere zentrale Ziele?
Ich glaube nicht an das Modell, bei dem man einfach eine Zahl vorgibt und dann alles darauf ausrichtet. Wachstum entsteht durch Aktivitäten und diese Aktivitäten müssen konsequent um Kund:innen herum aufgebaut sein. Dabei geht es sowohl um emotionale als auch um rationale Verbindungen zur Marke.
Wachstum ist das Ergebnis von „Consumer Engagement“. Für mich bedeutet Wachstum in erster Linie: Wie schaffen wir es, unser Kund:innen Basis zu vergrößern? Wie können wir mehr Menschen für Hunkemöller begeistern? Das erreichen wir durch die Geschichten, durch unsere Produkte, durch das Einkaufserlebnis auch etwa mit dem neuen Konzept in unseren Stores. Wenn wir unsere Kundinnen wirklich gut bedienen, mit zuverlässiger Lieferkette, einer klaren E-Commerce-Plattform, exzellentem Kundenservice – dann wird Wachstum ganz natürlich folgen.
Nicht viele Männer setzen sich beruflich so intensiv mit Frauen und Lingerie auseinander wie sie. Wie hat Ihre Frau reagiert, als sie von dieser neuen Aufgabe erzählt haben?
Das ist wirklich eine schöne Frage. Ich erzähle gern ein Beispiel: Meine Frau ist in einige Hunkemöller-Stores gegangen, unter anderem in Innsbruck und Garmisch. Und natürlich war die Entscheidung, bei Hunkemöller einzusteigen, eine gemeinsame, familiäre Entscheidung. So etwas bedeutet ja auch, umzuziehen und das Leben umzustellen. Für mich war dabei immer klar: Ich kann nur dann wirklich mit voller Überzeugung arbeiten, wenn mein Herz dabei ist – anders geht es nicht. Meine Frau kam damals aus einem dieser Stores und sagte: „Du hast hier noch ein bisschen Arbeit vor dir.“ Ihr Eindruck war: Es wirkte billig. Und das war für mich ein wertvoller Insight. Gleichzeitig hat sie gesagt: „Aber das ist auch eure größte Chance“.
Wenn du wirklich etwas verstehen willst, musst du hineingehen, beobachten, hinterfragen. Ich bin sehr neugierig, und ich frage viel – meine Frau ist dabei meine größte Kritikerin. Sie hat Produkttests gemacht und gesagt: „Das wird wirklich besser“.