Luise Winkler ist Teamleiterin im Bereich Softwareentwicklung für Fahrzeug-Steuergeräte und arbeitet bei Bosch an der Mobilität der Zukunft. Im Interview verrät sie, wie sie Leadership definiert, welche Rolle Mentoring in ihrer Karriere gespielt hat und wie es ihrem Team gelingt, Prozesse für mehrere tausende von Entwickler:innen zu optimieren.
Sie sind Teamleiterin im Bereich Softwareentwicklung für Fahrzeuge und ermöglichen mit Ihrem Team die Infrastruktur für Entwickler:innen, um Steuergeräte zu programmieren. Nur was ist ein Steuergerät überhaupt?
Steuergeräte sind elektronische Komponenten, die die Steuerung und Regelung angebundener Sensoren und Aktuatoren übernehmen. In meinem Bereich werden Steuergeräte entwickelt, um Funktionalitäten im Fahrzeug zu steuern, also zum Beispiel Antrieb, Bremsen und Assistenzsysteme. Eine der ersten Funktionalitäten, die in diesem Bereich von Bosch entwickelt wurde, hatte die Aufgabe alle Verbraucher – wie zum Beispiel die Klimaanlage – zu berechnen, um bei gleicher Gaspedalstellung die gleiche Fahrgeschwindigkeit sicherzustellen. Mittlerweile sind in Fahrzeugen eine Vielzahl an Steuergeräten verbaut um Sicherheit, Komfort und Fahrvergnügen zu maximieren.
Wie laufen Entwicklungsprozesse bei euch ab?
Wir entwickeln weltweit. Das bedeutet, wir haben neben dem Standort in Wien auch Standorte in Deutschland, Indien, Vietnam oder Rumänien. An einer Software arbeiten unterschiedliche Teams und im Endeffekt müssen alle Zahnräder ineinandergreifen. Mein Team hat die Aufgabe, diese Entwicklungsprozesse zu automatisieren. Wir entwickeln also nicht die Software für das Steuergerät selbst, sondern Methoden und Tools die Entwickler:innen bei ihrer Arbeit unterstützen. Mein Team besteht aus sieben Mitarbeiter:innen, die dabei helfen Prozesse und Abläufe zu verbessern und unseren Entwicklungsprozess effizienter zu gestalten. Ich entwickle Konzepte, die zum Beispiel in das Feld Continuous Integration hineinspielen. Das heißt, ich beschäftige mich mit state-of-the-art Entwicklungsmethodiken und überlege mir, wie wir sie in unsere Abläufe implementieren können. Dazu ist sehr viel Abstimmungsarbeit mit unseren Entwickler:innen notwendig.
Sie sind über ein Praktikum zu Bosch gekommen. Wie verlief Ihr Start und welche Stationen hatten Sie bisher im Unternehmen?
Ich habe Maschinenbau studiert und nach einem Praktikum gesucht, das ich während meines Studiums machen kann. Über eine Werkstudententätigkeit habe ich dann in der Projektassistenz angefangen. Während dieser Zeit unterstützte ich Projektteams. Ich war anderthalb Jahre auf dieser Position und habe danach die Möglichkeit bekommen, ein Praktikum im technischen Vertrieb in London zu machen. Nach meiner Rückkehr nach Wien habe ich mein Studium fortgesetzt. Zusätzlich startete ich ein Praktikum im Bereich der Toolentwicklung, von dort aus ging es zur Softwareentwicklung, wo ich dann auch intern übernommen wurde. In dieser Position habe ich Steuergeräte-Software speziell für den Antriebsstrang entwickelt. Über diesen Bereich ging es dann für ein halbes Jahr nach Stuttgart, wo ich mich in einer Abteilung um Prozessoptimierung gekümmert habe. Seit circa viereinhalb Jahren bin ich wieder in Wien und im technischen Veränderungsmanagement für unterschiedlichste Themen. Bei mir ist es so, dass ich Freude daran habe viele neue Dinge zu lernen, deshalb war es für mich auch wichtig in mehrere Bereiche einzutauchen. In meiner aktuellen Aufgabe hilft mir dieses breite Interesse sehr, weil ich viele unterschiedliche Themen bearbeite.
Welche Strategie verfolgen Sie bei der Leitung eines Teams?
Ich finde vor allem inhaltliche, projektorientierte Führung sehr spannend. Mir ist neben der Entwicklung meines Teams auch die Orientierung an einem Ziel sehr wichtig. Im menschlichen Bereich sehe ich das Role Model Thema auch als sehr wichtig an, ich habe in meinem Team viele junge Mitarbeiter:innen, die direkt aus der Uni kommen. Ich sehe es, als Teil meiner Aufgabe diese Talente zu entwickeln, ihnen aber auch zu zeigen welche Möglichkeiten ihnen unser Unternehmen bietet. Das kann zum Beispiel auch bedeuten, dass sie sich in eine Richtung entwickeln, die vielleicht nicht bei mir ist, aber dennoch gut für ihre Karriere und das Unternehmen ist.
Der Anteil an weiblichen Führungskräften in der Branche ist noch eher gering. Jetzt haben Sie es aber trotzdem geschafft, eine weibliche Führungskraft zu werden. Wie ist Ihnen das gelungen?
In meinem Elternhaus hatten Handwerk, Technik und Naturwissenschaften einen sehr hohen Stellenwert. Meine Eltern haben mir auch nie das Gefühl gegeben, dass Technik nicht das richtige für mich sein könnte. Ich bin also mit dem Glauben aufgewachsen, dass es überhaupt kein Thema ist als Frau in die Tech-Branche zu gehen. In der echten Welt ist das leider noch nicht so, trotzdem hatte ich aufgrund meiner Kindheit das notwendige Selbstbewusstsein mich dieser Herausforderung zu stellen. Meiner Meinung nach ist das auch der Schlüssel, um Gleichberechtigung im technischen oder naturwissenschaftlichen Umfeld langfristig umzusetzen. Man muss Frauen und jungen Mädchen möglichst früh zeigen, dass sie alle notwendigen Anforderungen für technische Ausbildungen und Karrierewege mitbringen.
Warum glauben Sie, ist es so, dass Mädchen und Jungs zwar gemeinsam aufwachen, aber ihnen oft gesagt wird, dass Technik nur etwas für Jungs ist?
Ich glaube, es gibt eine Schieflage im Gesamtsystem. Das Problem sind nicht einzelne Personen die Vorbehalte gegenüber Frauen in der Technik haben, sondern die gesamte Gesellschaft baut auf einer Rollenverteilung auf, die geschichtlich gesehen vor langer Zeit eine gesellschaftliche Berechtigung hatte und mittlerweile veraltet ist. Die Vorstellung, dass es einen Mann geben muss, der sich um alles kümmert und Sicherheit liefert ist mittlerweile obsolet. Aber das System braucht noch ein bisschen Zeit, um sich daran zu gewöhnen. Es gibt unterschiedliche Meinungen zu den Themen Frauenquote, Frauenförderung oder Förderung von Vielfalt. Ich persönlich glaube, solange ein System von selbst nicht so weit ist, muss gezielt etwas getan werden. Wenn beispielsweise ein Betrieb, rein aus männlichen Mitarbeitern besteht und schließlich begonnen wird Frauen einzustellen, wird es ohne Quote sehr lange dauern, bis ein Gleichgewicht hergestellt ist. Denn Menschen tendieren dazu, andere Menschen einzustellen und weiterzuentwickeln, die ihnen selbst ähnlich sind.
Was wird bei Bosch getan, um Frauen zu fördern?
Ich bin jetzt zehn Jahre bei Bosch und habe viele gute Dinge miterleben dürfen. In einer Kooperation mit der Technischen Universität haben wir uns gemeinsam bei den ganz Jungen in der Volksschule vorgestellt und mit ihnen Versuche im Bereich der Technik gemacht. Es gibt Töchtertage bei uns, wo wir auch schon viele mögliche Nachwuchskräfte kennenlernen, lang bevor der Gedanke an eine Bewerbung überhaupt da ist. Ich sehe auch, dass sehr darauf geachtet wird, unsere Vielfalt zu repräsentieren. Das heißt, wenn ich auf einem Messestand stehe und mit Frauen rede, fällt es ihnen vielleicht leichter zu uns zu kommen. Auch wenn es manchmal wie eine große Herausforderung erscheint, die Vorbildwirkung ist sehr wichtig und auch, dass Leute mitbekommen, dass bei Bosch Frauen am Werk sind.
Gab es in ihrer Karriere Personen oder Mentor:innen, die sie auf Ihrem Weg unterstützt haben?
Ich hatte einerseits direkte Führungskräfte, die mir bei der Entwicklung geholfen haben und mein Potential sahen. Andererseits gibt es bei Bosch auch Mitarbeiter:innen Entwicklungsprogramme, wo Trainings abgehalten werden, aber auch Mentoring dazugehört. Es erfolgt eine Zuteilung, bei der Mitarbeiter:innen auch Mitspracherecht besitzen. Meistens agieren Personen, die höher in der Hierarchie sind als Mentor:innen, dadurch kann über viele Themen gesprochen werden, die für die eigene Entwicklung wichtig sind. Zusätzlich sind wir sehr international aufgestellt, dadurch ergeben sich viele Schnittstellen mit anderen Bereichen. Auf diesem Weg hatte ich auch viele inoffizielle Mentor:innen und Menschen, mit denen ich mich austauschen konnte. Für mich war es auch wichtig zu sehen, dass in allen Organisationsstrukturen über mir Frauen schon Positionen innehatten. Ich hatte also auch Role Models, an denen ich mich orientieren konnte.
Oft haben Männer Bedenken, wenn es um weibliche Führungskräfte geht, wie kann ihnen die Angst genommen werden?
Grundsätzlich bringt jede Veränderung Herausforderungen mit sich und einige Menschen haben sicher Vorbehalte. Persönlich ist für mich die Angst vor weiblichen Führungskräften aber nicht nachvollziehbar. Bei Förderung von Vielfalt in der Arbeitswelt geht es darum die unterschiedlichen Stärken jeder Einzelperson sichtbar zu machen, zu fördern und an der richtigen Stelle einzusetzen. Es sollte immer vorrangig auf Kompetenz und die individuellen Fähigkeiten geachtet werden. Es macht keinen Sinn, diesen Faktor außen vorzulassen und nur noch nach Geschlecht einzustellen. Es muss Frauen aber genauso die Möglichkeit gegeben werden, sich und ihre Fähigkeiten zu zeigen. In meinen 20 Jahren technischer Ausbildung und Karriere hat sich viel verändert. Das sehe ich speziell auch in meinem Team aus Softwareentwickler:innen, das zur Hälfte aus Frauen und zur Hälfte aus Männern besteht. Das funktioniert, weil bei uns im Unternehmen die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Was halten Sie davon, wenn versucht wird, Frauen und Männer aufgrund von Stereotypen zu kategorisieren?
Ich finde diese Art von Unterscheidung sehr bedenklich, weil es immer eine Kehrseite dazu gibt. Wenn beispielsweise gesagt wird, Frauen sind empathischer, wird wiederum den Männern die Chance genommen Empathie zu zeigen. Weil sie dadurch vielleicht das Gefühl haben, keine richtigen Männer zu sein, wenn sie zu viel Einfühlungsvermögen haben. Wenn ich mir als Frau wiederum denken muss, ich bin technisch sehr gut, kann schnell Zusammenhänge analysieren und bin in Situationen sehr zielorientiert, aber deswegen auch weniger weiblich, dann haben wir wieder ein neues Problem geschaffen. Dem muss im eigenen Kopf und im Recruiting von Unternehmen aktiv entgegengewirkt werden. Wir suchen Menschen mit speziellen Eigenschaften und Fähigkeiten, nicht Menschen in bestimmten Kategorien. Ich finde Vielfalt bedeutet, dass ich nicht nach Geschlechtereigenschaften suche, sondern nach Personen, die in einem Team unterschiedliche Rollen erfüllen und dieses mit ihren individuellen Kompetenzen und Erfahrungen bereichern können.