StartBalanceLifestyle & Art„Man muss extreme Leistungsbereitschaft zeigen“

„Man muss extreme Leistungsbereitschaft zeigen“

Seit 2008 werden an der Spanischen Hofreitschule Frauen als Bereiterinnen ausgebildet. "Die Ausbildung wird von vielen unterschätzt", berichtet Hannah Zeitlhofer, als wir sie und ihre jüngere Kollegin Theresa Stefan bei ihrer Arbeit im traditionsreichen und touristischen Magneten in Wien besuchen.

Nur wenige Meter vom geschäftigen Treiben des Wiener Michaelerplatzes entfernt, lässt feiner Stallgeruch Pferdeherzen höher schlagen: Mitten im ersten Bezirk steht die Stallburg, Wiens ältestes Renaissancegebäude und Heimat von 72 der berühmten weißen Hengste der Spanischen Hofreitschule. Rund 200 Mitarbeiter:innen an drei Standorten sorgen für das Wohl der Pferde und den reibungslosen Betrieb der Spanischen Hofreitschule, die mit ihren Vorführungen und dem morgendlichen Training  der Pferde in der Wiener Hofburg jährlich tausende Touristen nach Wien lockt.

Traditionsbruch

Hannah Zeitlhofer ist (Vor-)Reiterin. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Vor fünfzehn Jahren brach die Spanische Hofreitschule mit einer jahrhundertealten Tradition: Unter der damaligen Direktorin Elisabeth Gürtler wurden erstmals Frauen zur Ausbildung zur Bereiterin zugelassen. Hannah Zeitlhofer war damit die erste junge Frau, die sich für diese Ausbildung qualifizieren konnte. Im Jahr 2016 wurde sie als erste Frau zur Bereiterin ernannt und schaffte damit die Ausbildung in Mindestzeit.

Heute befinden sich zwei Elevinnen, vier Bereiteranwärterinnen und Hannah Zeitlhofer und Theresa Stefan als Bereiterinnen im Team. Seit der Öffnung für Frauen habe sich das Blatt gewendet und es bewerben sich aktuell deutlich mehr Frauen für die Ausbildung zur/zum Bereiter:in, als Männer. „Wenn sich ein junger Mann bewirbt, hoffen wir, dass er genug Talent mitbringt und aufgenommen wird, damit das Team gut durchmischt bleibt“, sagt Theresa Stefan. Denn man schätzt diese „neue“ Diversität im Team, die verschiedenen Kompetenzen, die jede:r mitbringt, die Erfahrung der Oberbereiter und den jungen Spirit der Anwärter:innen und Bereiter:innen.

Strenge Aufnahmekriterien und hohe Leistungsbereitschaft

Die Aufnahmekriterien sind streng, das Ausbildungsprogramm anspruchsvoll. Und die Abbrecherquote? „Zwei Drittel verlassen die Spanische Hofreitschule während der acht- bis zwölfjährigen Ausbildung wieder“, erklärt Hannah Zeitlhofer und ergänzt: „Den meisten ist die Arbeit und die Stallarbeit in der Elevenzeit zu anstrengend, die Arbeitszeiten umfassen meist auch das Wochenende, denn wir haben hier unsere Vorstellungen.“

Zu Beginn der Ausbildung, die die Elev:innen zwischen 15 und 19 Jahren beginnen, müssen bis zu vier Pferde versorgt und gepflegt werden, das Reiten rückt dann erst während der Ausbildungszeit immer mehr in den Vordergrund. Welche Kriterien sollen erfüllt sein, um überhaupt aufgenommen zu werden? Talent, körperliches Geschick und Leistungsbereitschaft müssen auf jeden Fall vorhanden sein. Das Talent wird bei einem Vorreiten überprüft und eine gewisses körperliches Geschick benötige man, um sich in Harmonie mit dem Pferd zeigen zu können.  Ebenfalls unerlässlich: mentale Stärke. „Wir machen unsere Leidenschaft zum Beruf und sind körperlich und mental einem hohen Leistungsdruck ausgesetzt, den man sich natürlich auch oft selber macht“, sagt Theresa Stefan.

Vertrauen und Respekt

Und diesen hohen Anspruch spüren die Vierbeiner, wie uns die beiden Bereiterinnen versichern. „Man muss im Laufe der Jahre eine gewisse Gelassenheit entwickeln, denn wenn man selbst Druck verspürt, verunsichert man automatisch das Pferd und das funktioniert nicht“, erklärt Hannah Zeitlhofer. Einfühlungsvermögen, Respekt und Vertrauen sind daher die Zutaten für das Erfolgsrezept der Harmonie zwischen Pferd und Reiter. „Pferde sind Flucht- und Herdentiere, sie brauchen jemanden, der sie führt und dem sie vertrauen können.“

Gibt es einen Unterschied im Umgang mit Pferden zwischen Männern und Frauen? „Ich glaube, dass wir mehr Einfühlungsvermögen im Umgang mit Pferden haben und dass wir aber wiederum von den Männern lernen können, uns durch unser Auftreten mehr Respekt zu verschaffen“, sagt die erfahrene Bereiterin Zeitlhofer. Das klinge zwar sehr klischeehaft, aber man profitiere hier sehr voneinander. Wie Tradition und Innovation in den alten Gemäuern aufeinander treffen? „Die Spanische Hofreitschule ist ein über 450 Jahre altes Traditionsunternehmen auf höchstem Niveau. Respekt und Alter spielen eine Rolle und sind nach wie vor wichtig, um den Wert und die Leistung unserer Arbeit und dieser wertvollen Tradition zu erkennen“, so Zeitlhofer. Aber man entwickelt sich ständig weiter, arbeitet am Teamgeist und an der Kommunikation. „Das Prinzip „Dienst nach Vorschrift“ gilt schon lange nicht mehr und ist auch nicht mehr zeitgemäß. Wir tauschen unsere Ideen aus und durch Seminare und Workshops entwickeln wir uns im Team weiter. Wir leben für die Spanische Hofreitschule und wollen, dass es im Team gut funktioniert, denn nur so können wir in unseren Vorstellungen weiter glänzen“, ergänzt die Bereiterin.

Hohe wirtschaftliche Bedeutung

Als schönsten und zugleich stolzesten Moment ihrer Karriere bezeichnet Theresa Stefan ihren ersten Auftritt im Frack. „Das war ein Gänsehautmoment, als ich zum ersten Mal mit meinem Pferd die Straße überquert habe, um zur Vorstellung in die Winterreitschule zu gehen“, sagt die Bereiterin. Zwei Mal pro Woche finden Vorführungen statt, die Besucher:innen aus der ganzen Welt anziehen.

„Die hohe Schule der Spanischen Hofreitschule gilt als immaterielles Kulturerbe der Menschheit. Ich weiß nicht, ob es in Wien eine andere Sehenswürdigkeit gibt, die so viele Emotionen auslöst. Es gibt viele Besucher:innen, die von Australien oder den USA her reisen und sich hier einen Lebenstraum erfüllen. Es gibt auch viele, die nach der Vorführung auf uns warten und uns mit ihrem Lob so viel Kraft geben“, sagt Theresa Stefan. Neben den Vorführungen ist unter der Woche die tägliche Trainingsmorgenarbeit für Besucher:innen offen. Als Werbeträger für das Tourismusland Österreich gelten die Lipizzaner als wichtiger Wirtschaftsfaktor: Etwa 50.000 Besucher:innen jährlich zählt das Lipizzaner-Gestüt in Piber/Steiermark, fast 400.000 Besucher:innen reisen jedes Jahr nach Wien, um die Reitkunst der weißen Schönheiten zu bewundern.


Zahlen rund um den Wirtschaftsfaktor Pferd

Der Tourismus- und Freizeitfaktor „Pferd“ generiert in Österreichs Volkswirtschaft insgesamt eine Produktion im Wert von bis zu EUR 2,1 Mrd. Darin stecken rund EUR 0,83 Mrd. an Tourismuseffekten und EUR 1,27 Mrd. an Freizeiteffekten. Gesamtwirtschaftlich lassen sich rund EUR 1,1 Mrd. an Wertschöpfung auf den Tou- rismus- und Freizeitfaktor Pferd zurückführen, es werden bis zu 23.060 Arbeitsplätze bzw. 19.663 Vollzeitäquivalente geschaffen. Rund 5 Pferde schaffen somit einen Arbeitsplatz, etwa 6 Pferde ein Vollzeitäquivalent in Österreichs Volkswirtschaft,(Quelle: WKÖ, 2010).

STAY CONNECTED