Ihr Buch heißt: „Wir können Zukunft“. Wen meinen Sie mit „Wir“?
Ich meine vor allem meine Generation, die so genannten Boomer und die GenerationX, aber auch alle anderen Teile der Gesellschaft und unsere Gemeinschaft. „Wir können“ soll ausdrücken: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der Lage dazu sind. Und die Zukunft sehe ich mit Zuversicht.
… obwohl gerade eher eine pessimistische Stimmung in der Wirtschaft und in der Politik herrscht? Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Wir kommen aus den produktivsten und intensivsten Jahren und müssen uns nun endlich dem Wandel stellen. Aber Krisen und Krisenstimmung gab es immer schon. Warum haben wir die Zuversicht verlernt? Warum nehmen das Jammern und Bewerten gerade so viel Raum ein? Warum haben wir vergessen, dass uns nur aktives Handeln weiterbringt? Unsere Generation stellt quantitativ die größte Wählergruppe und hat am meisten Erfahrung. Diese Erfahrung sollten wir nutzen – und unseren Einfluss, den wir allein schon durch unsere Anzahl haben. Ich glaube fest daran, dass es möglich ist, weil es die Vergangenheit gezeigt hat.
Wie stellen sie sich das konkret vor?
Ich höre zum Beispiel gerade sehr viele Klagen über das Verhalten von jüngeren Menschen in Unternehmen. Kategorisierungen sind schwierig, aber viele Mitarbeitende der GenerationZ bringen eine hohe Sensibilität für die herrschenden Arbeitsbedingungen mit. Sie stellen Erfolg nicht mehr über ihre Gesundheit. Wir sollten das respektieren und öfter die Perspektive wechseln. Warum sollen wir mehr Respekt verdient haben, als die jüngere Generation
Sie haben in großen Konzernen Führungsrollen eingenommen – wie beurteilen Sie die aktuelle Diskussion um verkürzte Arbeitszeiten?
Wir sind mitten im Übergang, einige empfinden diesen Wandel als regelrechten Wirbelsturm und haben Angst vor Kontrollverlust. Die Bedeutung von Produktion nimmt ab, Wissen und Kommunikation bringen künftig die Wertschöpfung. Dafür braucht es ein völlig neues Arbeitsumfeld. Wir müssen also weiterdenken. Wichtig ist doch: Wie wird die Arbeitszeit eingesetzt, wie schaffe ich heute Produktivität? Sicher nicht mit zehn Videocalls am Tag. Noch nie gab es so viele Burnouts. Menschen werden also wahrscheinlich früher krank, wenn wir so weiterarbeiten. Das würde dann auch eine frühere Pflege nach sich ziehen. Das können und wollen wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Ich habe in meiner Laufbahn beispielsweise die Umstellung von 40 Wochenstunden auf 35 Stunden im Tarif der IG Metall miterlebt – Flexibilität haben wir gelebt und oft geübt, wir müssen uns nur wieder daran erinnern.
„Frauen sind nicht besser zum Kümmern geschaffen“
Was können Führungskräfte in diesem Zusammenhang tun?
Mehr denn je müssen Führungskräfte jetzt ihre eigene Position reflektieren. Dienende Führung und eine ganzheitliche Sicht werden jetzt gebraucht. Wenn es komplex ist, muss Führung einfach sein. Dafür müssen Unternehmen den Manager*innen aber mehr Weiterbildung bieten. Und wir brauchen das Bewusstsein, dass auch Humankapital Wartungszyklen verdient, genau wie Maschinen. In meiner Laufbahn hatte ich viel mit Gewerkschaften zu tun, mit Mitbestimmung. Das war nicht immer leicht, aber aus meiner Sicht gibt es keinen besseren Weg, als miteinander neue Verträge auszuhandeln. Da sind wir dann auch bei der Demokratie – die ist anstrengend, aber aus meiner Sicht das beste Gesellschaftsmodell.
Sie haben in den vergangenen Jahren viel Erfahrung mit Care-Arbeit gemacht, ihre Karriere im Konzern beendet und sich stattdessen Zeit für ihre Eltern und ihre Schwiegereltern genommen. Was haben Sie bislang daraus mitgenommen?
Erstens, dass es niemand allein schafft, dass das „Ich“ in unserer Gesellschaft einen zu großen Stellenwert bekommen hat durch die Neo-kapitalistische Ausrichtung. Wir brauchen ein neues Familienmodell, ein neues Familienverständnis. Zweitens: Frauen sind nicht per se besser zum Kümmern geschaffen. Der Staat nimmt unzählige Stunden unbezahlter Care-Arbeit von Frauen und Männern in Anspruch, jährlich im Wert von geschätzten 1,2 Billionen Euro. Verantwortung für die Liebsten zu übernehmen sollte nicht in dieser Form ausgenutzt, sondern anerkannt werden, etwa durch Rentenpunkte. Auch die Bürokratie muss deutlich niederschwelliger werden. Und drittens: Menschen aus der Führungsbubble sollten ihre Talente der Gesellschaft noch zur Verfügung stellen.
Was wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?
Ich möchte den Dialog zwischen den Generationen anstoßen, zu einem Perspektivwechsel und neuer Zuversicht ermutigen. Und meiner Generation ein bisschen von ihrem hohen Ross holen. Wir haben das „Wir“ verlernt, weil es uns so gut ging. Aber wir müssen uns fragen: Was hat die nächste Generation verdient, wie können wir den Wandel gestalten und unseren Einfluss nutzen?
Vera Schneevoigt zählt zu den wenigen Frauen in der IT-Branche, die Positionen auf C-Level inne hatte, u.a. bei Fujitsu. Bevor sie 2022 aus der Konzernwelt ausschied, wirkte sie als Chief Digital Officer und Entwicklungsleiterin bei Bosch Sicherheitstechnik. Vor zwei Jahren entschied sie sich, Care-Arbeit für ihre Eltern und Schwiegereltern zu übernehmen und zog dafür in die Eifel. Die Dozentin und Autorin gründete die Guiding for Future GmbH.
Interessant dazu: https://sheconomy.media/kopf-vera-schneevoigt-care-arbeit-karriere/