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Lilli Hollein: „Man erreicht ein Publikum dort, wo man bei der Lebensrealität ansetzt“

Seit zwei Jahren widmet sich das Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien den zwei Nachhaltigkeitszielen 12 und 17 der UNO. sheconomy sprach mit der Direktorin Lilli Hollein über bewussten Konsum, welche Rolle Kunst dabei spielt, und was die junge Generation damit zu tun hat.

Das MAK ist Teil der „10 x 17“-Initiative: Zehn Wiener Museen nehmen sich die 17 Ziele der UNO für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung der Welt zum Thema. Das MAK hat sich für die Schwerpunkte „Bewusster Konsum und Partnerschaften zur Erreichung dieser Ziele“ entschieden. Warum?

Lilli Hollein: Eine minimale Korrektur: Wir haben uns nicht entschieden, sondern wir haben die Ziele gezogen. Wir haben unerschrocken in den Lostopf gegriffen, weil Nachhaltigkeitsthemen in unserem Haus sehr umfassend bearbeitet und repräsentiert sind. Es ist unsere primäre Aufgabe, Nachhaltigkeitsthemen für das Publikum aufzubereiten und zu vermitteln, aber sie quer durch das Haus auch zu leben, spürbar zu machen und selbst einen Beitrag zu leisten.

Das funktioniert mit „Critical Consumption“ sehr gut. Wie wird Nachhaltigkeit im MAK gelebt?

L. H. Das hat damit begonnen, dass wir sehr früh damit angefangen haben Second-Hand-Mode in unserem Shop anzubieten. Nachhaltigkeit und Überkonsum sind ein großes Designthema. Für uns war die Frage, wie gehen wir damit um, einen Shop zu haben und dort Begehrlichkeiten zu erzeugen. Auf der anderen Seite machen wir eine Ausstellung, in der wir zeigen, wie man sich einschränken soll. Das Kreislaufthema in der Mode hat uns aber schon vor den SDGs beschäftigt, und so haben wir zum Beispiel eine Kleidertauschbörse in der Säulenhalle veranstaltet. Das Thema, das wir bei „Critical Consumption“ behandeln, ist nicht brandneu, es ist vielen bewusst, aber man kann es noch einmal sehr gut fassen.

Am Anfang der Ausstellung wird eine Videoarbeit des Künstlers Wang Bing gezeigt, der einen 15-Stunden-Tag in einer chinesischen Textilfabrik gefilmt hat. Kann dies bei Besucher*innen einen Bezug zur Realität herstellen?

L. H. Ich glaube, man erreicht ein Publikum immer dort, wo man bei der Lebensrealität ansetzt, wo Leute eine Verbindung zu ihrem eigenen Leben herstellen können. Dazu gibt es in der Ausstellung ganz klare, interaktive Ansätze. Man kann zum Beispiel einen Zettel für die Kleiderschrankanalyse mit nach Hause nehmen. Eine künstlerische Arbeit, wie die Videoinstallation von Stefanie Moshammer aus der Serie „We Love Our Customers“, kann auch bei einem Publikum andocken. Alleine die Dauer dieses Videos sagt etwas über die Arbeitsbedingungen aus. Kunst hat die Möglichkeit und die Wirkung, komplexe gesellschaftliche Inhalte und Fragestellungen auf eine emotionale Ebene zu heben. Sie wird bewusst rezipiert, es springt ein Funke über. Somit wird ein Gedanke übertragen, eine Emotion transportiert.

Wie in der Ausstellung zu sehen ist, ist die Generation Z wie keine andere Generation mit Konsum konfrontiert – sei es online oder durch Videos von Influencer*innen, die ihre Shopping-Beute zeigen und bewerben. Ist diese Generation daher besonders gefährdet, in die Konsumfallen zu tappen, weil sie die Mechanismen noch gar nicht kennt?

L. H. Wir alle haben Spaß daran, uns durch Mode auszudrücken. Es ging uns bei der Ausstellung nicht darum, mit einem Moral-Bulldozer über alles drüberzufahren, sondern die Ambivalenz, die viele von uns haben, zu zeigen. Mode ist wie Kunst, und wir sind ein Haus für Gestaltung. Die Arbeit von Sylvie Fleury mit tatsächlich gefüllten Einkaufstaschen von Luxuslabels spricht genau dieses Begehren an. Gäbe es dieses Begehren nicht, gäbe es diese Kunst nicht. Labels beeindrucken vielleicht doch mehr, als man zugeben will.

Zieht die Ausstellung viele junge Besucher*innen an?

L. H. Ja, aber was mich wahnsinnig freut – auch ältere Paare sind oft in lebendigstem Dialog in der Ausstellung. Das finde ich sehr schön. Man sieht überhaupt viele Leute miteinander diskutieren, wenn sie durch die Ausstellung gehen. Und gerade die junge Generation hat eine große Awareness für Nachhaltigkeitsthemen. Auf der anderen Seite leben wir in einer Welt, in der alles „Konsum!“ schreit. Man muss der jungen Generation so viel Freiheit geben, dass man ihnen nicht alles verwehrt, was wir hatten. Wir hinterlassen schon genug Schaden. Auf der anderen Seite glaube ich, dass da ganz schnell aus dieser Generation heraus die Wende kommt – darauf vertraue ich voll!

„Critical Consumption“ ist bis September 2024 zu sehen. Wird es danach einen ähnlichen Themenschwerpunkt geben?

L. H. Das MAK setzt weiterhin auf Nachhaltigkeit. Die nachfolgende Ausstellung in der MAK Galerie wird sich mit Demokratie und digitalen Tools beschäftigen, in MAK Contemporary geht es ab 1. Mai 2024 mit einer immersiven Rauminstallation des Künstler*innenkollektivs Troika um eine mögliche Fehlanpassung der Lebewesen an den Klimawandel. Das Projekt ist der Beitrag des MAK im Rahmen der Klima Biennale Wien. Was mich besonders freut, ist, dass „Critical Consumption“ ins Frauenmuseum nach Hittisau, Vorarlberg, weiterwandert, ins Zentrum der Textilindustrie.

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