StartBusinessLebenswendepunkte machen uns zu besseren Führungskräften

Lebenswendepunkte machen uns zu besseren Führungskräften

Persönliches Wachstum und Weiterentwicklung von Führungskompetenz: Mission Female Member und Leadership Consultant Silvia Wiesner hält in ihrem Gastbeitrag ein Plädoyer für Veränderungen.

Die meisten von uns stehen mindestens einmal im Leben an einem relevanten Wendepunkt. Wir entscheiden uns für eine Veränderung, beispielsweise für den Abschied von einem Arbeitgeber, einer privaten Beziehung oder einem Heimatland und damit auch ein Stück weit von unserer bisherigen Identität. 

Oftmals empfinden wir diese privaten Veränderungen – auch „Life Pivots“ genannt – als Rückschläge. Die mittel- und langfristige positive Wirkung dieser neuen Weichenstellungen bleibt womöglich unentdeckt, wenngleich sie zu transformativen Katalysatoren für persönliches Wachstum und für die Weiterentwicklung von Leadership-Fähigkeiten werden können. 

Seit Lean Start-up und agile Arbeitsmethoden Einzug gehalten haben in die Mainstream-Unternehmenswelt, faszinieren uns Pivots im wirtschaftlichen Kontext. Wir alle kennen die Geschichten von Unternehmen, die als etwas vollkommen anderes gestartet sind, sich aber zu etwas viel Erfolgreicherem entwickelt haben. Liegt der Fokus jedoch auf Wendepunkten im privaten Leben, so reagieren wir möglicherweise verhaltener. Wir möchten unseren Job oder sogar die Profession wechseln? Wir möchten umziehen und zwangsläufig Angehörige zurücklassen, unser Hobby zum Beruf machen, eine Beziehung beenden oder eine neue Seite unserer Persönlichkeit zeigen? Dann sind wir oftmals angespannt und versuchen, diese Weichenstellungen hinauszuschieben oder ganz zu vermeiden. 

Positive Nebenwirkungen von Veränderungen

Dabei bieten Wendepunkte das Potenzial für die Weiterentwicklung als Mensch und Führungskraft. Zwei Beispiele in meinem Leben haben mir geholfen, die positiven Nebenwirkungen von Veränderungen zu erkennen: 

Der bisher relevanteste Wendepunkt meines Lebens war sicherlich die Geburt meiner Tochter. Eine Veränderung, die sich auf jeden Aspekt des Lebens auswirkt, sich von einem auf den anderen Tag vollzieht und unerwartete positive Begleiterscheinungen mit sich bringt: Die Agilität und Widerstandsfähigkeit, die beim Wechsel in die neue Elternrolle gezeigt werden, können beispielsweise unser Selbstvertrauen steigern. Das Vertrauen zu sagen: Ich bin bereit, neue und herausfordernde Situationen anzunehmen und sie flexibler und anpassungsfähiger zu bewältigen als zuvor – sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. 

Als ich mich entschied, meinen ersten Arbeitgeber nach 17 Jahren zu verlassen, bezeichneten einige diese Veränderung als mutig, andere benutzten das Wort riskant. Mir hat diese Erfahrung gezeigt, dass Lebenswendepunkte zweimal wirken können: Jetzt und später. Als sofortigen Effekt spüren wir ein Gefühl der Erleichterung, wenn wir aufhören, unglücklich in einer Situation zu sein. Wir verspüren gesteigerte Lebenszufriedenheit, ein Mehr an Sinnhaftigkeit oder vielleicht sogar höhere Zuversicht für die Zukunft. Daneben gibt es aber auch einen mittel- und langfristigen Effekt: Neue Weichenstellungen können unsere Empathie und Authentizität steigern. Die Verletzlichkeit, die mit Veränderungsprozessen einhergeht, kann uns helfen, eine tiefere Verbindung zu den Menschen um uns herum zu entwickeln, und kann ihr Vertrauen in uns stärken. Uns fällt es wahrscheinlich leichter, ihre eigenen Kämpfe zu erkennen, zu verstehen und zu unterstützen. Damit erfüllen wir zugleich die Erwartung unserer Mitarbeitenden und dies unabhängig von ihrer Generationszugehörigkeit. Denn Arbeitnehmer*innen wünschen sich heute Führungspersönlichkeiten, die sich ihnen und anderen gegenüber menschlich zeigen, wie die Egon Zehnder Generationenstudie darlegt

„Dinge werden sich ändern. Wahrscheinlich häufiger, als wir möchten.“

In der Executive Search und der Executive Development Arbeit bei Egon Zehnder schätzen wir dementsprechend auch sogenannte „lived experiences“, also die gesammelten Erfahrungen, die aus erster Hand stammen und einem Menschen einzigartiges Wissen, Einblicke und Perspektiven bieten, welche andere Menschen typischerweise nicht haben. Erfahrungen, die sowohl das persönliche als auch das berufliche Leben umfassen, von der Geburt bis heute. Einschließlich der holprigen Wege und überraschenden Kursänderungen. Wir wissen, dass jene Geschichten, die sich nicht aus einem Lebenslauf ablesen lassen, vielleicht eine transformative Wirkung auf die Persönlichkeit und auf die Führungskompetenz einer Person haben. 

Die Neugierde, die für gewöhnlich mit Veränderungen verknüpft ist, ist darüber hinaus ein relevanter Indikator für das Potenzial als Führungskraft. Personen mit einem hohen Maß an Neugierde suchen proaktiv nach neuen Erfahrungen, Ideen und Wissen, weil diese sie energetisieren. Die Resilienz, die in Veränderungsprozessen trainiert wird, ist ebenso essenziell in einer sich immer schneller drehenden Arbeitswelt, gespickt von Herausforderungen.

Dinge werden sich ändern. Wahrscheinlich häufiger, als wir möchten. Und auf eine Art und Weise, die uns nicht zwingend gefallen wird. Daher tun wir gut daran, uns auf Lebenswendepunkte vorzubereiten und diese vollumfänglich für uns zu nutzen.

Eine hilfreiche Maßnahme hierzu ist die regelmäßige Reflexion, um frühzeitig zu erkennen, dass ein Lebenswendepunkt bevorstehen könnte. Gibt es Hinweise auf eigenen Widerstand gegen die aktuelle Umgebung oder Inspiration, die uns zu etwas Neuem hinzieht? Unsere Tagebucheinträge können hierbei eine hilfreiche Quelle sein. Ebenso die Frage an enge Freund*innen, welche wiederkehrenden Themen sie in den jüngsten Gesprächen bemerkt haben. Wenn wir einen Mangel an Zufriedenheit mit der aktuellen Situation feststellen, dann entdecken wir vielleicht auch relevante Hinweise auf Werte, die uns wichtig sind, oder auf unseren Purpose, den wir stärker zum Leben erwecken möchten. 

„Je mehr wir den „Muskel der Veränderung“ trainieren, desto stärker wird dieser.“

Die damit verbundene Selbsterkenntnis ist eine essenziele Fähigkeit für erfolgreiche Manager*innen. 78 Prozent der CEOs in einer Egon Zehnder Studie räumen ein, dass sie sich auf ihre eigene Veränderung bzw. Entwicklung konzentrieren – dreimal so viele wie im Jahr 2018. Bei deutschen CEOs liegt die Zustimmung sogar bei über 80 Prozent. Weltweit sind sich CEOs einig, dass es einer „doppelten Transformation“ bedarf, um die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern: Sie sind der Ansicht, dass die persönliche Entwicklung des CEOs und das Wachstum des Unternehmens untrennbar miteinander verbunden sind. Es geht also nicht nur darum, sich an die Spitze zu entwickeln, sondern sich auch an dieser Spitze weiterzuentwickeln. 

Während der Veränderungsphase wollen wir zudem nicht vergessen, uns in Empathie uns selbst gegenüber zu üben. Ein bedeutender Lebenswendepunkt ohne Ängste, Zweifel, Kämpfe, Erschöpfung? Unwahrscheinlich. Große Veränderungen sind schwierig. Für alle. Diese gelebte und verinnerlichte Erfahrung kann uns zudem helfen, Empathie gegenüber unseren Teammitgliedern zu zeigen und uns regelmäßig die Frage zu stellen, wie wir sie unterstützen können, ihr volles Potenzial zu entfalten. 

Zuletzt geht es auch darum, die eigene Erfahrung selbst wertzuschätzen, Ownership für unser Narrativ zu übernehmen und unsere Geschichte selbstbewusst nach außen zu tragen. Nicht nur, aber auch in Interviewsituationen, denn unsere persönlichen Erlebnisse werden Teil unserer eigenen „Value Proposition“.

Veränderung gehört zu unserem privaten wie beruflichen Leben. Je besser wir uns auf Lebenswendepunkte vorbereiten, desto leichter und umfassender können wir diese für uns nutzen. Je mehr wir den „Muskel der Veränderung“ trainieren, desto stärker wird dieser. Desto einfacher wird es, Gewohnheiten zu ändern und das zu tun, was richtig erscheint, auch wenn es mit herausfordernden Konsequenzen verbunden ist. Und desto leichter fällt es uns, andere auf ihrem eigenen Weg zu unterstützen und damit den Erwartungen unserer Mitarbeitenden an uns als Führungskräfte gerecht zu werden.


Zur Person:

Silvia Wiesner berät seit 2023 Klient*innen, v.a. aus der Konsumgüter-Industrie, bei Egon Zehnder, dem weltweit führenden Unternehmen für Leadership Advisory Services. Nach ihrem Wirtschaftsstudium startete die gebürtige Österreicherin ihre Management-Karriere bei Unilever, wo sie Leadership-Rollen in Marketing, Verkauf und General Management übernahm. Diese umfangreiche Erfahrung im Konsumgüter-Bereich sowie ihre Expertise zu Courageous & Positive Leadership nutzt sie heute, wenn sie für ihre Klient*innen Lösungen zu Leadership-Herausforderungen entwickelt.

Silvia glaubt an Partnerschaften und grenzübergreifende Zusammenarbeit nach dem Motto: „Wer Themenstellungen alleine angeht, denkt noch nicht groß genug!“ Seit Jahren setzt sie sich für Diversity, Equity & Inclusion ein, insbesondere im Bereich Gender, u.a. als Mitglied des Executive Committee von European Women on Boards, und wurde dafür auch in die „Top 100 Women for Diversity“ in Deutschland gewählt. Seit 2021 ist sie zudem Young Global Leader des Weltwirtschaftsforum. Silvia berät Start-ups und ist als internationale Speakerin gefragt.

Mission Female GmbH:

Mission Female bietet erfolgreichen Frauen ein exklusives Netzwerk von Vertrauen und Austausch auf Augenhöhe und stärkt sie aktiv bei ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung. Dabei engagiert sich das 2019 von Frederike Probert gegründete Business-Netzwerk aktiv für mehr Female Power in Wirtschaft, Gesellschaft, Medien, Kultur, Sport und Politik und vereint erfolgreiche Frauen branchenübergreifend auf höchster Ebene mit einem Ziel: Gemeinsam beruflich noch weiter voranzukommen. Immer persönlich, vertraulich und verbindlich ganz nach dem Motto #strongertogether.


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Fotomaterial(c) Mission Female

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