StartThemenSHEtechKünstliche Intelligenz mit weiblichen Kompetenzen anreichern

Künstliche Intelligenz mit weiblichen Kompetenzen anreichern

von Anna D. Dichen

Warum es wichtig ist, Künstliche Intelligenz (KI) mit mehr weiblichen Kompetenzen anzureichern, was es braucht, damit sich Frauen den digitalen Berufsweg zutrauen und wie der Status quo der Digitalisierung in Europa und Österreich aussieht: Das erörtern Mariana Kühnel, stv. Generalsekretärin der Wirtschaftskammer, und Isabell Claus, KI-Expertin und Unternehmerin.

SHEconomy: Die KI ist der wachstumsreichste Technologietrend des 21. Jahrhunderts. Wie sieht die digitale Zukunft im Sinne von Innovation, Strategie und Rahmenbedingungen für Europa und Österreich aus? 

Kühnel: Zum einen will man mit der „Digital Decade“ der Europäischen Kommission erreichen, dass bis 2030 drei von vier Unter- nehmen KI, Cloud und Big Data in ihrem unternehmerischen Alltag nutzen. Dazu benötigt es ein europäisches Rahmenwerk und Bedingungen für die tatsächliche Anwendung. Es darf nicht so sein wie in China, wo in das Privatleben des Einzelnen eingegriffen wird, sondern es muss europäisch klar werteorientiert sein. Damit die Unternehmen KI in ihren unternehmerischen Alltag integrieren und die Chancen auch tatsächlich erkennen, braucht es mehr Freiraum und weniger Korsett. Im nächsten Schritt sind digitale Grundkompetenzen nötig. Das klare Ziel der Kommission ist, 80 Prozent der Bevölkerung mit digitalem Basiswissen auszustatten – davon sind wir aber im europäischen und internationalen Vergleich weit entfernt.

Claus: Ich schließe da an: Wir hinken im internationalen Kontext weit hinterher, vom Land her und von dem, was wir zur Verfügung haben. Nun sind wir in eine große Abhängigkeit von vielen Big Tech-Unternehmen geschlittert, das bringt aber langfristig Wohlstandsprobleme und -themen auf den Tisch. Zudem benötigen wir das Know-how, um bei der nächsten Stufe der KI überhaupt mitspielen zu können. Ich sehe die Zeit als einen ganz kritischen Faktor – aus meiner Sicht ist es nicht 5 vor 12, sondern 15 nach 12.

Kühnel: Man muss das Thema KI für die Unternehmen angreifbar machen und den Nutzen vermitteln. Es erfordert Talente im Betrieb und Menschen, die über die Kompetenzen verfügen und das Potenzial erkennen. Eine digitale Lernwerkstatt in Vorarlberg hat gezeigt: Was kann ein Roboter, wie programmiere ich diesen, wie lernt dieser Roboter dann selbständig und wie können Fehler in den Prozessen verhindert werden. Es braucht insgesamt eine Strategie, die klar strukturiert ist. Wir müssen das große Ganze derart herunterbrechen, dass auch Einzelunternehmer*innen KI verstehen, Ökosysteme schaffen, die Menschen und Betriebe vernetzen können und damit einen starken Erfahrungsaustausch fördern.

Der Fachkräftemangel besonders im Digitalbereich ist enorm – was tun?

Kühnel: Uns fehlen aktuell etwa 24.000 Fachkräfte, das kostet dem Standort von der Wertschöpfung her 3,8 Milliarden Euro. Es braucht kreative Lösungen betreffend Motivation und Qualifikation. Das Ziel ist es, den Anschluss an die Zukunftstechnologien zu setzen und uns kreative Formate, etwa Crashkurse, zu überlegen. Ein großer Schwerpunkt im Rahmen der Qualifikationsoffensive ist es, mit dem AMS Formate zu entwickeln.

Claus: Gerade im Bereich KI, der sehr schnelllebig ist, haben wir in unserem Unternehmen thinkers.ai viele Seniors, damit wir international mithalten können. Interessant sind für uns aber auch Leute, die aus anderen Bereichen kommen, weil KI kein reines Digitalisierungsthema ist. Man benötigt zum Beispiel das Fachwissen von Bankern und Experten aus dem Bereich Industrie/Handel oder Hotellerie. Fördermaßnahmen und Umschulungen helfen den Unternehmen, weil sie dann nicht zu 100 Prozent auf sich alleine gestellt sind.

Die „Digital Decade“ soll weiblicher werden. Wie kann man Frauen dazu ermutigen, Digitalisierungsberufe bewusst zu wählen?

Claus: Frauen kommen oft erst im zweiten Karriereschritt zu uns; ihnen sind ihre Talente oft erst später bewusst. Es wird also auch die Aufgabe der Universitäten sein, dafür zu sorgen, dass sich Frauen trauen, schon früher in Richtung KI zu studieren. Auch weibliche Role Models und Mentoren sind sehr wichtig, um zu zeigen: Hey, da gibt es eine Art, ein Leben zu führen, das sehr aufregend und spannend ist. Aus meiner Sicht ziehen sich Frauen oft zu schnell zurück, etwa bei schwierigen Meetings oder wenn sie kein positives Feedback bekommen. Überwindet man aber diese Hürden, erfährt man in seinem Tun hohe Befriedigung und Zufriedenheit. Jede Frau sollte sich dem bereichernden Thema KI mehr widmen: als Nutzerin und als Mitgestalterin, um die eigene Zukunft privat und persönlich mitzugestalten.

Kühnel: Wir sollten mit der Sensibilisierung bereits im Kindergarten beginnen, denn allein die Ausbildung für spätere Berufe wie Science oder Machine Learning dauert fünf Jahre. Role Models wirken auch unterstützend. Für mich ist Frau Claus so ein weibliches Role Model: Sie ist Mutter, hat sich für KI als Thema entschieden und ist höchst erfolgreich. Aber wir müssen diesen Gusto auf Neues machen. Im Rahmen unserer Bildungsoffensive „Spürnasen- ecken“ sind zum Beispiel im Kindergarten kleine Labors zum Experimentieren für die Kinder aufgebaut. Auch da spielen weibliche Role Models eine Rolle. Dort und in den Volksschulen werden die digitalen Grundkompetenzen gefördert und Mädchen ermutigt. Das ist deshalb so wichtig, weil der Frauenanteil, sei es bei den Forschern, Gründern oder bei den im MINT-Bereich Studierenden, nur bei 15 Prozent liegt. Bei Facebook sind nur 15 Prozent Frauen am Werk, bei Google sind es zehn Prozent. Mit einem Mindset, das rein männlich ist, weil nur Männer die KI programmieren, wird jedoch eine Diversity Crisis ausgelöst. Dabei sind KI und Digitalisierung gerade für Frauen unglaubliche Möglichkeiten für mehr Chancengerechtigkeit und Jobgarantie. Sie sorgen für Flexibilität, man kann den Computer überall und jederzeit aufschlagen, Job und Familie sind gut vereinbar. Frauenförderung und Wirtschaftsförderung sind deshalb sehr sinnvoll. Damit mehr Frauen gründen, brauchen sie  Unterstützung, einen besseren Zugang zu Kapital und vor allem mehr Sichtbarkeit durch Kampagnen. Digitalisierung verfügt auch über ein enormes unternehmerisches Potenzial – die aktuellen Gründerzahlen zeigen es.


Zu den Personen

Isabell Claus

Kommt aus dem Cybersecurity-Bereich und ist Gründerin des Start-ups thinkers.ai mit der Spezialisierung auf Text Mining (= Algorithmus-basiertes Analyseverfahren zur Entdeckung von Bedeutungsstrukturen aus un- oder schwachstrukturierten Text- daten): Mit hochentwickelter Technik auf Basis von KI wird eine Suchmaschine zur Verfügung gestellt, um komplexe Themen vollautomatisiert zu bearbeiten. 2020 wurde sie mit thinkers.ai zur „Unternehmerin des Jahres in der Kategorie Gründung & Start-up“ gekürt. Fünfzig Prozent ihrer zwanzig Mitarbeiter sind weiblich – ein Weg, den sie bewusst gewählt und der auch zum Prosperieren ihres Unternehmens geführt hat. Wichtige Menschen auf dem Weg zu ihrem Erfolg waren ihre Mutter als Unternehmerin, ihre Zusammenarbeit mit den „Tekkies“ aus ihrer Cybersecurity-Zeit und ihr Ehemann.

Mariana Kühnel

Ist stv. Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich mit Schwerpunkt EU-Koordination & EU-Politik, Bildungspolitik und Zukunftsprojekte. Der Sport, im Speziellen Basketball, damit einhergehende österreichische Siege und viele Auslandsaufenthalte haben Kühnels Teamgeist und Leistungsgedanken gefördert. Besonders geprägt haben sie der EU-Abgeordnete und derzeitige Vize-Präsident des EU-Parlaments Othmar Karas und die ehemalige ÖVP-Frauenministerin und Unternehmerin Maria Rauch-Kallat. Beruflich gefördert wurde sie von Andreas Treichl im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Erste-Bank. Kühnels klares Ziel ist es, die KI weiblicher zu machen: „Frauenförderung ist die beste Wirtschaftsförderung.“

 

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