In ihrem Buch »Invisible Women« nimmt sich Autorin und Aktivistin Caroline Criado Perez dem Gender Data Gap an. Und kommt dabei zu ebenso überraschenden wie nahelugenden Ergebnissen und Erkenntnissen. Wir haben uns das Buch etwas genauer angesehen.
»Starting with the theory of Man the Hunter, the chronicles of the past have left little space for women’s role in the evolution of humanity, whether cultural or biological. Instead, the lives of men have been taken to represent those of humans overall«, so steigt die britische Aktivistin und Autorin Caroline Criado Perez in ihr aktuelles Buch »Invisible Women« ein – ein Text, der sich in mehreren, logisch aufgebauten Abschnitten und Kapiteln mit dem Gender Data Gap auseinandersetzt. Auf seine Grundpfeiler reduziert, bedeutet das, dass in unserer Gesellschaft der Mann nicht nur als die Norm gilt, sondern (und so klar sollte das auch formuliert werden) die Norm ist. Das kann weniger verheerende Folgen haben, zum Beispiel dann, wenn man als Frau im Büro friert, weil der Temperaturstandard auf die männlichen Kollegen zugeschnitten ist. Die Folgen können jedoch auch sehr viel drastischer und weitreichender sein – so werden die Sicherheitsbestimmungen bei Autos meistens an männlichen Crashtest Dummies getestet und Herzinfarkte bei Frauen oft falsch diagnostiziert, weil ihre Symptome nicht der meistens auch in Filmen und Serien gezeigten Norm entsprechen. In letzteren beiden Fällen bedeutet der Gender Data Gap also sogar Lebensgefahr.
In dieser Artikelserie möchten wir uns jeder einzelnen von Criado Perez in ihrem Buch vorgestellten Datenlücke widmen. Und beginnen heute mit dem Kapitel: Can snow-clearing be sexist?
_01. Can snow-clearing be sexist?
Obwohl Criado Perez das erste Kapitel ihres Buches mit dem Satz »It all started with a joke« beginnt und die Frage, ob das Wegräumen von Schnee tatsächlich als sexistische Handlung klassifiziert werden kann, die Gender Inequality befeuert, tatsächlich ein wenig als schlechter Scherz anmutet, steckt dahinter eine erste Angelegenheit mit weitreichenden Konsequenzen. Zunächst wollen wir uns aber den Rahmen etwas genauer ansehen: Im Jahr 2011 startete in der schwedischen Stadt Karlskoga eine umfassende Initiative zur Reevaluierung aller Maßnahmen zum Thema Gender Equality.
»As one after another of their policies were subjected to this harsh glare, one unfortunate official laughed that at least snow-clearing was something the ‚gender people‘ would keep their noses out of. Unfortunately for him, his comment got the gender people thinking: is snow-clearing sexist?«
Die Antwort lautete: ja. Und zwar ganz und gar nicht nur deshalb, weil man dem leicht verächtlichen Kommentar des Kollegen ganz einfach ein deutliches »Ja« entgegen schleudern wollte. Auch wenn die Frage anfänglich vielleicht das Gegenteil vermuten lässt, haben sich die für die Initiative verantwortlichen Personen mit dieser klaren Bejahung so ganz und gar nicht aufs argumentative Glatteis begeben. Und obwohl die Gründe dafür sehr viel mit dem Verlust von Halt und Standfestigkeit zu tun haben, sind sie alles andere als haltlos. Warum das so ist, liegt eigentlich auf der Hand: Wie in den meisten anderen Großstädten auch, wurden auch in Karlskoga zuerst die für den Autoverkehr wichtigsten Straßen freigeräumt und dann erst die Geh- und Radwege von Schnee und Eis befreit. Betrachtet man Daten aus verschiedenen Städten, wird allerdings sehr schnell klar, dass deutlich mehr Frauen als Männer Gehwege und den öffentlichen Verkehr benutzen. So sind in Frankreich zwei Drittel aller Öffi-NutzerInnen Frauen. Und auch dafür gibt es eine ebenso einfache wie folgenschwere Erklärung:
»Women do 75 % of the world’s unpaid care work and this affects their travel needs. A typical female travel pattern involves, for example, dropping children off at school before going to work; taking an elderly relative to the doctor and doing the grocery shopping on the way home.«
In Karlskoga führten diese Befunde schlussendlich dazu, dass der ganz und gar nicht gender-neutrale Prozess des Schneeräumens umgedreht wurde. Fortan wurden FußgängerInnen und NutzerInnen des öffentlichen Verkehrs bevorzugt. Hinter dem alten Plan steckte mit Sicherheit nicht die Absicht, Frauen aktiv zu benachteiligen – es wurde einfach nie darüber nachgedacht und der Plan nie hinterfragt. Und genau aus dieser Stille heraus, entstehen dann auch jene Lücken, die die Autorin in diesem Buch versammelt und mit vielen Daten unterfüttert hat. Wobei Criado Perez zu einem späteren Zeitpunkt des Kapitels auch noch betont, dass es einen zweiten Grund dafür gibt, dass Frauen gerade bei den Themen Verkehr und Infrastruktur weniger gern als Standard herangezogen werden: Ihre Bedürfnisse sind komplexer und weniger leicht zu messen. Criado Perez klassifiziert diese Begründung in ihrem Buch aber ganz klar als »less excusable«.