StartInnovationInterview mit einer Quantenphysikerin: Wenn die Münze fällt

Interview mit einer Quantenphysikerin: Wenn die Münze fällt

Bei Stuttgart hat der IT-Gigant IBM den ersten Quantencomputer in Europa aufgebaut. Federführende Forscherin ist Sieglinde Pfändler. Die Quantenphysikerin erklärt, was ein Münzwurf mit einem Qubit zu tun hat, wo Quantencomputer Probleme lösen können – und unterstreicht die Wichtigkeit von Rolemodels für techbegeisterte Mädchen.

Ein Quantencomputer erbringt unglaublich viel Leistung in Sekundenbruchteilen. Das ohnehin rasante Tempo auf der Welt überfordert schon viele Menschen. Wozu Quantentechnologie?

Wir als Gesellschaft profitieren wirklich von dieser Technologie, und sie wird uns ermöglichen, Probleme zu lösen, die davor nicht lösbar waren. Ein Beispiel, das Menschen auf der ganzen Welt betrifft, ist die Produktion und der Einsatz von Düngemitteln. Das verursacht ein bis zwei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, also eine Menge. Wenn wir diese Mittel durch den Einsatz von Quantencomputern effizienter produzieren, macht das einen Unterschied für die ganze Erde. Das ist eine große Motivation, die Forschung voranzubringen.

Wie macht ein Quantencomputer das Leben der Menschen heute, in fünf oder zehn Jahren besser?

Die Entwicklung heute ist wie damals vor etwa 20 Jahren, als die Nanotechnologie kam. Draußen hat man die vielen Fortschritte kaum wahrgenommen. Doch nach und nach ist vieles schneller oder zuletzt erst überhaupt möglich geworden. Das wird auch 2025 und die Jahre darauf so sein, wenn genug Qubits – so nennt man die kleinste Rechen und Informationseinheit eines Quantencomputers – komplexe Probleme darstellen können. Dann erhoffen wir uns zum Beispiel eine Beschleunigung bei der Entwicklung und Erzeugung von Medikamenten.

Ist ein Quantencomputer für den Alltag aller Leute nützlich – oder nur für großen Systeme wie die Finanzwirtschaft oder die Pharmazie?

Unsere Quantencomputer sind über eine Cloud zugänglich. Man kann sie ausprobieren. Wir haben mehr als 180 führende Unternehmen, Start-ups und Universitäten, die Zeit auf unseren Maschinen kaufen und eine große Bandbreite an Anwendungen ausprobieren. Wo? Im Versicherungs- und Bankwesen, in der Materialentwicklung und Fertigung, im Automotive-Bereich, in der Logistik, Luft und Raumfahrt. Es geht nicht unbedingt um große Datenmengen, sondern darum. Neue Probleme zu lösen. Darin liegt die Stärke der Quantentechnologie.

Was kostet es, diese potenten IBM-Flaggschiffe über die Cloud zu nutzen?

Die ganz kleinen Maschinen mit fünf oder sieben Qubits stellt IBM kostenlos zur Verfügung. Dann haben wir das IBM-Quantum Network für Unternehmen und Institutionen, die professionell damit arbeiten. Sie bezahlen einen jährlichen Beitrag. Man kann auch die Nutzung nach dem tatsächlichen Verbrauch kaufen, also „pay as you go“. Der Richtwert ist ein Dollar und sechzig Cent pro Runtime-Sekunde.

Füllt ein Quantencomputer einen Schreibtisch, ein Zimmer oder gleich ein ganzes Haus?

Das Gehäuse ist circa so groß wie ein Mensch. Der Quantenprozessor, in dem die Rechnungen stattfinden, ist beinahe so klein wie ein herkömmlicher Prozessor in konventionellen Computern. Doch der Quantencomputer kann nicht überall stehen. Wir benutzen die supraleitende Technologie. Das bedeutet, dass Teile auf bis zu fast null Grad Kelvin, dem absoluten Nullpunkt der Temperaturskala, gekühlt werden müssen. Das ist kälter als im Weltall! Die Kühltechnologie gibt es seit den 1960er Jahren, sie ist gut kontrollierbar, und IBM hat in der Halbleiter- und Nanotechnologie viel Wissen aufgebaut, das wir anwenden können.

Ihr Job bei IBM?

In meiner aktuellen Rolle betreue ich Akademiker*innen, damit ihre Forschung an der Quantentechnologie beschleunigt wird. Ich besuche Universitäten, halte Vorträge und baue Kooperationen mit Forschungsabteilungen verschiedener Unternehmen auf.

Und die Forschung?

Derzeit arbeite ich mit einer Professorin zusammen, sie erforscht die Grundlagen von Materie, zum Beispiel, wie subatomare Partikel entstehen. Das ist ein Quantenprozess, der sich mit unserer neuen Technologie wunderbar darstellen lässt. Konventionelle Computer haben auf diesem Gebiet längst ihre Grenzen erreicht.

Wie erklären Sie Ihrer Freundin oder Ihrer Oma, was Sie in Ihrer Arbeit erforschen?

Mit meiner Oma spreche ich gerne über den menschlichen Aspekt meiner Arbeit, das hört sie lieber. Ansonsten verwende ich zur Erklärung gerne ein Gedankenspiel, nämlich einen Münzwurf. Auf einer Münze gibt es die Kopf- und die Zahlseite. Wir malen stattdessen links eine 0 und rechts eine 1 drauf. Liegt die Münze in meiner Hand, dann sehe ich entweder die 0 oder die 1. Wenn ich die Münze in die Luft werfe, sehe ich beide gleichzeitig – und wenn ich sie auffange und anschaue, hat sie genau einen Wert, 0 oder 1. Das ist ähnlich wie die Superposition in einem Qubit. Sie hat beide Werte gleichzeitig. Wenn wir die Möglichkeit bekommen, die Münze zu kontrollieren, während sie durch die Luft fliegt, damit sie öfter auf der Seite mit der 1 oder der 0 landet, dann bekommen wir eine Statistik, mit der wir arbeiten können.

In IT und Technik sind weibliche Rolemodels rar. Sie sind Quantenphysikerin und damit eine Frau mit Vorbildwirkung. Ihre Botschaft an Mädchen und junge Frauen?

Ich versuche, zu sehen, was sie begeistert und zu vermitteln, wie Mathematik und andere Naturwissenschaften so vieles für die Welt und die Gesellschaft verbessern können. Freilich, MINT-Fächer muss man üben, dass man sie beherrscht kommt nicht von heute auf morgen. Manchmal brauchen Frauen – und auch Männer – Bestärkung, um nicht den Mut zu verlieren, sondern weiter zulernen.

„Auch Klavierspieler*innen müssen stundenlang üben. So ist
es mir mit Mathematik gegangen. Ich musste viel ausprobieren, um Fehler zu korrigieren und Wege wirklich zu verstehen.“

Sind Sie ein Naturtalent oder müssen Sie auch viel üben?

Die meisten auf diesen Gebieten müssen hart arbeiten. Nur wenige Menschen, die man im Fernsehen sieht, haben spezielle Talente. Auch Klavierspieler*innen müssen stundenlang üben. So ist es mir mit Mathematik gegangen. Ich musste viel ausprobieren, um Fehler zu korrigieren und Wege wirklich zu verstehen. Wenn man einen interessanten Weg zu lernen findet, dann sucht und liest man gerne, bis der Groschen fällt. Das habe ich an der Uni gelernt.

Was gewinnen IT und Technik, wenn mehr Frauen solche Studien und Jobs wählen und dabei auch Spitzenpositionen übernehmen?

Forschungen zeigen, dass Unternehmen mit guter Inklusion mehr Gewinn erzielen. Sind Frauen nicht zum gleichen Teil vertreten, verzichtet man auf fünfzig Prozent der Talente. Wir bei IBM möchten auf ihre Ideen nicht verzichten.


Foto: ©Graham Carlow / IBM

Zur Person

Dr. Sieglinde Pfändler ist Quantenphysikerin und „Geburtshelferin“ des ersten Quantencomputers auf europäischem Boden bei IBM in Ehningen bei Stuttgart. Die Auslandsschweizerin hat einen Großteil ihres Lebens in England, in den USA, in Indien und der Schweiz verbracht. Seit rund fünf Jahren lebt und forscht sie in Deutschland. Die Leidenschaft für Naturwissenschaften und Technik hat sie als Kind entwickelt; Großvater und Vater haben ihren Forschungsdrang stets unterstützt. Wo der Grundstein für einen Weg in die Forschung gelegt wird? „Zuhause – und dann in der Schule“, sagt Pfändler.

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