Welche Auswirkungen sehen Sie im Bereich Personal Branding, speziell auf LinkedIn bezogen, durch generative KI-Tools wie ChatGPT?
Ich erwarte, dass mehr Menschen Content veröffentlichen werden, weil sie jetzt mit Hilfe von ChatGPT und anderen KI-Tools einfacher Content erstellen können – beziehungsweise die KI Content für sich erstellen lassen. Ich glaube allerdings auch, dass wir sehr viele ähnliche Inhalte sehen werden. Denn Menschen, die bisher keinen Content veröffentlichen, haben das aus unterschiedlichen Beweggründen nicht gemacht: Weil sie keine Ideen haben, weil sie nicht gut schreiben können oder weil sie keine Zeit haben. ChatGPT und andere KI-Tools bieten eine Lösung für genau diese Herausforderungen. Aber das Problem ist, wenn zum Beispiel zehn Menschen ChatGPT zum Thema New Work befragen, werden diese zehn Menschen nicht grundlegend andere Inhalte als Ergebnis bekommen. Menschen, die kein Feingefühl für Content haben, werden sich mit diesen Inhalten auch nicht aus der Masse hervorheben und differenzieren können. Wir werden also insgesamt mehr Content, aber auch mehr vergleichbaren Content sehen.
„Sichtbarkeit ist nicht gleich Sichtbarkeit“
Content-Erstellung wird jetzt einfacher. Ist das nicht eine gute Nachricht für alle, die nicht wissen, was sie posten sollen oder wie sie am besten schreiben können?
Ja, natürlich, aber wenn ich grundsätzlich kein Gefühl dafür habe, wie ich Content produziere oder schreibe, oder aber ich keine tiefgreifende Ahnung vom Thema habe, dann führt das dazu, dass ich der KI wahrscheinlich relativ einfache, generische Fragen stelle. Diese wird mir dann Inhalte ausspucken, die ich nicht weiter finetune oder finetunen kann, weil ich nicht weiß, wie ich Content so kreieren kann, dass ich aus der Masse hervorsteche. Oder aber weil ich im Thema eben nicht so tief drin stecke, als dass ich die von der KI vorgeschlagenen Inhalte mit meiner Expertise und in meinem Stil personalisieren kann.
Ich glaube ehrlicherweise, dass viele Menschen einfach nur copy-pasten werden, um Content zu veröffentlichen, aber sich keine Gedanken machen, wie sie den Inhalt individualisieren können. Das Ergebnis sind dann im Prinzip lauter geklonte Inhalte zu einem Thema. Und das nehme ich jetzt schon verstärkt beispielsweise auf LinkedIn wahr. Wir können so aber nicht differenzieren, was eigentlich die eigene persönliche Meinung der Personen zu dem Thema ist oder nicht.
Welche kritischen Aspekte sehen Sie beim Einsatz von KI-Tools speziell für Personal Branding?
Für mich ist es immer ganz wichtig zu differenzieren: Sichtbarkeit ist nicht gleich Sichtbarkeit. Nur weil ich Content produziere, heißt das noch nicht automatisch, dass ich eine Personal Brand aufbaue oder diese sichtbar mache. Meine Personal Brand setzt sich zusammen aus meinen beruflichen Erfahrungen, meinen Skills und Fähigkeiten, meinen Branchenkenntnissen, aber auch meiner persönlichen Meinung und meinem Engagement. All das zusammen sollte ich idealerweise über Content sichtbar machen, zum Beispiel auf einer Plattform wie LinkedIn. Content ist also primär ein Mittel zum Zweck, um über mein Thema zu sprechen und mit Menschen zu diesem Thema in den Austausch zu kommen. Und idealerweise hat mein Content meinen persönlichen Touch – so wie ich diesen auch offline rüberbringe, sollte er sich auch online in meinem Content widerspiegeln.
„Viele Menschen kopieren das, was bei anderen gut funktioniert“
Was könnte daraus entstehen?
Die große Gefahr beim Thema KI-unterstützter Content ist, dass die Persönlichkeit völlig verloren geht, wenn Menschen nicht diesen extra Schritt machen, ihre Inhalte durch die Sprache, durch die Tonalität und durch persönliche Erfahrungen zu individualisieren. Und das ist leider etwas, was jetzt schon sehr oft passiert. Viele Menschen kopieren einfach das, was sie bei anderen Menschen sehen und was bei anderen Menschen gut funktioniert und vergessen dabei, dass sie dadurch nichts Individuelles oder nichts Neues erstellen. Sie sind damit maximal eine Kopie von jemand anderem, aber zeigen nicht die individuellen Eigenschaften ihrer eigenen persönlichen Brand. Das ist ein großes Thema, was KI-generierter Content verstärken wird. Wir werden mehr Content sehen, aber es wird schwieriger werden, wirklich die eigene Personal Brand und die eigene Persönlichkeit durchscheinen zu lassen, weil viele Menschen sich nicht die Zeit dafür nehmen werden oder nicht wissen, wie es geht.
Setzen Sie KI in diesem Zusammenhang ein und wenn ja, wie?
Ich nutze KI tatsächlich als Impulsgeber und für die Recherche. Ich stelle zum Beispiel konkrete Fragen an ChatGPT, das Tool spuckt mir dann verschiedene Ideen und Ergebnisse aus und ich greife dann eine Idee auf und arbeite dann da herum meinen Content aus. Das habe ich allerdings auch vor ChatGPT gemacht, nur dass ich dafür Google genutzt habe. Das heißt, wenn ich eine Idee oder einen Gedanken hatte, dann habe ich Google genutzt und habe recherchiert: Was gibt es für Zahlen, Fakten oder vielleicht auch Zitatgeber:innen oder Menschen, die zu dem Thema schon einmal etwas gesagt oder geschrieben haben? Ich habe mir dann Informationen über Google zusammengesucht, die meine Aussage oder meinen Standpunkt unterstützen.
„Meine Eigene Tonalität ist mir besonders wichtig“
Heute nutze ich dafür verstärkt ChatGPT, aber meinen Content schreibe ich selbst. Das merkt man auch an der Art und Weise, wie ich den Content schreibe. Ich nutze die KI maximal, um mir Input und Impulse zu geben, aber meine eigene Persönlichkeit, meine eigene Tonalität und die eigene Art und Weise, wie ich Content erstelle, ist mir besonders wichtig. Auch bei unseren Kund:innen ist uns sehr wichtig, dass wir immer schauen, wie wir die Art und Weise, wie sie offline sprechen, auch online transportieren. Und das funktioniert aktuell mit ChatGPT einfach noch nicht so gut.
Ich kann mir vorstellen, dass das irgendwann mal der Fall sein wird, aber aktuell sehe ich einfach noch große Unterschiede in der Art, was ChatGPT mir ausspuckt und was ich selber parallel schreiben würde und mir ist eben meine Persönlichkeit wichtiger. Deswegen schreibe ich den Content selbst und ChatGPT bleibt Impulsgeber oder auch Research-Maschine.
Was raten Sie für die Nutzung von KI-Tools auf LinkedIn?
Ich würde raten, KI-Tools zu nutzen, wenn sie helfen oder wenn sie die eigene Arbeit vereinfachen oder beschleunigen. Aber gerade im Kontext mit Personal Branding ist es wichtig zu verstehen, dass, wenn ich offline mit Kund:innen zusammensitze, die KI ja auch nicht meine Arbeit übernimmt, sondern ich diese selber mache. Für mich ist es immer ganz schwierig, wenn Menschen sich online eine Sichtbarkeit aufbauen und kreieren, die dann nicht mit der Persönlichkeit, die sie offline sind, übereinstimmt.
Eine Personal Brand ist nicht eine fiktiv online erstellte Persona, sondern idealerweise stimmt sie eins zu eins mit dem überein, wie man offline ist. Also wenn mich jemand auf einer Bühne sprechen hört, sollte er/sie im Prinzip dasselbe Gefühl haben, als wenn er/sie einen Post von mir auf Linkedin liest oder mich persönlich in einem Zoom-Call oder sogar in einem persönlichen Gespräch erlebt. Wenn da irgendwo eine Diskrepanz oder eine Lücke ist, dann ist die Personal Brand nicht gut etabliert.
Ich glaube einfach, dass die KI unsere menschlichen Eigenarten und Eigenschaften nicht kopieren kann. Und ich wünsche mir auch, dass es möglichst lange nicht funktionieren wird, da das Menschliche in der Art und Weise, wie wir kommunizieren und wie wir argumentieren, einfach super wichtig ist und uns mit anderen Menschen zusammenbringt. Mein Fazit: Die KI darf uns unterstützen, aber nicht ersetzen.
Christina Richter ist Gründerin und Geschäftsführerin des Personal Branding Instituts. Bereits seit 7 Jahren konzentriert sie sich dabei im Wesentlichen auf LinkedIn als Kanal und hat in dieser Zeit 15 Top Voices begleitet. Insgesamt hat sie mehr als 1.500 Personal Brands mitentwickelt und 150+ Führungskräfte rund um das Thema trainiert. Gemeinsam mit ihrem Team gibt sie ihren Kund:innen die nötige Strategie und die richtigen Werkzeuge an die Hand, sich in ihrem jeweiligen Fachbereich als Thought Leader zu positionieren. Am Weltfrauentag 2023 erschien ihr Buch „Sichtbare Frauen – So nutzt du LinkedIn & Co. als Karrierebooster“ im Campus Verlag, Sheconomy interviewte sie dazu.