StartUncategorizedDon´t Judge. "aufgeschnappt" von Nadia Weiss

Don´t Judge. „aufgeschnappt“ von Nadia Weiss

Beim mittlerweile gesellschaftsfähigen „Binge-Watching“ geriet ich in den vergangenen Tagen in den Sog der HBO-Serie „The Industry“ auf Sky. Darin raufen schicke junge Menschen in der Londoner Finanzwelt um eine Festanstellung bei einer Investmentbank. Druck, Ehrgeiz und Intrigen bestimmen die Atmosphäre im Großraumbüro. Doch anders als im Finanz-Hai-Klassiker „Wall Street“ der 1980er Jahre mischen nun auch Frauen mit. Nicht als Dekoration. Sondern durchaus als Strippenzieherinnen und Karrieristinnen. Ein Schlüsselmoment besteht darin, dass eine junge Frau, die als Trainee um den Job kämpft, von einer weiblichen Führungskraft darin bestärkt wird, einen männlichen Vorgesetzten wegen einer wahrscheinlich sexuell motivierten, jedenfalls übergriffigen Handlung zu melden. Die junge Frau antwortet: „Sehen Sie mich nur als Opfer?“

Warum ist es für unser Selbstgefühl noch immer so herabsetzend als Opfer zu gelten? In Amerika ersetzt man den Begriff aus diesem Grund mittlerweile häufig mit „Überlebende“. Niemand will Opfer sein, denn, so haben wir es doch alle gelernt: Opfer sind schwach. Es gab Stärkere, die das Opfer in diese Rolle drängen konnten. Genau dieses Denken, dieses Vorurteil unseren eigenen Erfahrungen, unserer Persönlichkeit gegenüber, erschwert die Bemühungen um eine chancengleichere Gesellschaft. Sehr lange wollten viele Frauen keine „Quotenfrauen“ sein. Vorurteil: Du bist nicht gut genug, wenn du es in diesem System nicht ganz nach oben schaffst und nicht das System bietet dir systematisch geringere Chancen. Übergriffe wurden nicht gemeldet. Vorurteil: Wer belästigt oder gemobbt wird, hat keine Autorität.

Die Liste lässt sich weiter führen. Eine Journalistin, die von ihrem ehemaligen Chef geklagt wurde, weil sie ihn der sexuellen Belästigung bezichtigte, hörte vor einem Wiener Gericht unlängst Folgendes: Das Unternehmen sei für solche Vorfälle bekannt. Wer dort arbeitet und nicht kündigt, nimmt dies also billigend in Kauf. Falls sie glaube, trotzdem Karriere machen zu können, „träume sie von warmen Eislutschern“.

Die Worte stammten von einer Richterin. Die gut ausbildete, berufserfahrene Journalistin entspricht dem Prototyp einer jungen, attraktiven Frau. Eine Zeugin und frühere Kollegin bemerkte, „selten einen solchen Ehrgeiz“ erlebt zu haben. Der ehemalige Chef ist ein bekannter und durchaus mächtiger Medienmanager in Österreich. Ein perfektes Drehbuch für Vorurteile aller Art, Täter-Opfer-Umkehrungen in alle Richtungen und süffisanter Berichterstattung.

Denn Hand aufs Herz: Wer von uns kennt keine Vorurteile? Jede und jeder von uns war ihnen bereits ausgesetzt oder brachte sie anderen Menschen entgegen. Ein wenig Selbstreflexion kann uns dazu bringen, es in Zukunft besser zu machen. Wer seine Schwächen kennt, ist auf dem besten Weg, sich nicht von ihnen beherrschen zu lassen. Oder wie der Feminist Ali Mahlodji beim digitalen Event „LunchBreak The Pattern“ zum Weltfrauentag bemerkte: „Ich will keine Welt, in der meine Tochter stark sein soll. Ich will eine Welt, in der sie sein kann, wie sie ist.“

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