StartBusinessBewerbungsgespräch ohne Perfektionsdruck

Bewerbungsgespräch ohne Perfektionsdruck

Bianca Flaschner ist selbstständige Executive Search Spezialistin, Karrierecoach und ehemalige HR-Managerin. Sie ist vor 20 Jahren in das „People“-Geschäft eingestiegen und weiß daher genau, worauf es im Bewerbungsprozess ankommt. Eines vorweg: Perfektion ist es nicht. 

Frau Flaschner, eine junge Frau Anfang 20 will sich für einen Job bewerben, für den mehrere Jahre Berufserfahrung vorausgesetzt werden. Soll sie sich dennoch bewerben?

Es kommt darauf an. Die Frage ist: Was bringt die Dame mit und welche Erfahrungen konnte sie bisher machen? Hat sie etwa Praktika gemacht, eine Fachhochschule besucht oder passende Ausbildungen absolviert? Außerdem kommt es stark auf die Persönlichkeit und die Interessen der Person an. Wenn die erforderte Berufserfahrung in der Ausschreibung ein bis zwei Jahre beträgt und die junge Frau eine Fachhochschule besucht hat sowie einschlägige Praktika absolviert hat, dann würde ich ihr raten sich zu bewerben.

Ich selbst habe in meiner Karriere immer wieder Personen eingestellt, die fachlich nicht so viel mitgebracht haben, aber eine ganz tolle Persönlichkeit hatten. Ich habe Potenzial gesehen und die haben sich tatsächlich toll entwickelt.

Welche Dos und Don‘ts gibt es im Bewerbungsgespräch?

Ich bin gegenüber Ratgebern, in denen Do’s und Don’ts angeführt werden, ein wenig skeptisch. Als Interviewerin merke ich nämlich, dass es Personen gibt, die sich ganz stringent an diesen Leitfaden halten, um ja keine Fehler zu machen. Das verunsichert sie, sie verstellen sich dann und sind nicht authentisch. Wichtig ist, dass Bewerberinnen und Bewerber im Gespräch höflich, freundlich und wertschätzend sind. Aber auch, dass sie sich über das Unternehmen informieren: welche Produkte stellt es her, in welchen Märkten agiert es und welche Konkurrenz gibt es? Während der Recherche kann man sich gleich Fragen notieren, da es im Interview voraussichtlich die Möglichkeit geben wird, Fragen zu stellen. Am besten hat man hier gleich einige parat. Viele haben die Sorge, eine falsche Frage zu stellen. Hier ist es die Aufgabe der interviewenden Person, ein angenehmes Gesprächsklima zu schaffen, in dem sich die Leute auch trauen, sich zu öffnen.

Was überhaupt nicht gut ankommt, ist, wenn Personen über den derzeitigen Arbeitgeber schimpfen. Außerdem sollte man einstudierte Floskeln vermeiden, denn jedes Interview ist anders. Deshalb rate ich, das Interview in der Gesprächsführung zu üben. So entwickelt man eine gewisse Souveränität und Selbstsicherheit.

Sie setzen sich für Authentizität bei Stellenbesetzungen ein, sowohl von Seiten der Bewerber*innen als auch von HR-Seite. Wie bleibt man im Bewerbungsgespräch authentisch?

In meinen zwanzig Jahren Berufserfahrung ist mir immer wieder untergekommen, dass sich Personen in Bewerbungsgesprächen verstellen. Und im Nachhinein kommt heraus, dass alles eine leere Sprechblase war. Deshalb ist es wichtig ehrlich zu sein und klar auf den Tisch zu legen, was man kann und vielleicht auch, was man nicht kann. Es ist auch möglich ganz offen zu sagen: Ich bin bereit, mich darin zu vertiefen und zu lernen. Das meine ich, wenn ich davon spreche, authentisch zu sein. Bei der Authentizität geht es nicht darum, beim Vorstellungsgespräch in der Jogginghose aufzutauchen.

Wie führen Personalchefs authentische Bewerbungsgespräche?

Auch umgekehrt kann es passieren, dass sich Unternehmen im Vorstellungsgespräch auf eine Art und Weise geben, die nicht der Wahrheit entspricht. Unternehmen wollen sich immer als hipp, weltoffen und flexibel präsentieren, Home-Office ist hierfür ein gutes Beispiel. Oft stellt sich aber heraus, dass die Kultur in der Realität eine andere ist. So kann es passieren, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach kurzer Zeit wieder verloren gehen. Das erkennt man sofort an den Fluktuationszahlen.

Welches Klischee rund um weibliche Führungskräfte können Sie nicht mehr hören?

Da gibt es viele. Ich tue mir sehr schwer damit, dass wir so sehr in Schubladen denken. Frauen werden einerseits als hysterisch und hart bezeichnet. Dann sind sie wieder zu weich oder zu emotional. All diese Zuschreibungen erfolgen, ohne dass darauf geachtet wird, welches Potenzial und welche Fähigkeiten die Frau mitbringt. Diese Einteilung nach Geschlecht finde ich schade. Und ich finde auch schade, dass es in dieser Debatte gegeneinander geht. Denn eigentlich brauchen wir das Gegenteil: die gegenseitige Wertschätzung sollte im Vordergrund stehen und wir müssen miteinander arbeiten, um etwas verändern zu können.

Was raten Sie Führungskräften, wie man mit beruflichen Rückschlägen umgeht?

Rückschläge sind sehr negativ behaftet und keiner traut sich, darüber zu sprechen. Aus meiner Erfahrung kann ich jedoch nur dazu raten, zu Rückschlägen zu stehen. Es ist ganz wichtig, ein Selbstbewusstsein zu entwickeln und die eigene Mitte zu finden, um mit solchen Situationen besser umgehen zu können.

Ich habe außerdem gemerkt, dass Rückschläge ganz unterschiedlich aussehen können. Manche Personen haben etwa Probleme mit dem Vorgesetzten oder mit Kollegen. Hier ist es ganz wichtig, darüber zu reflektieren und sich auch das eigene Verhalten bewusst zu machen, damit so etwas in einem anderen Job nicht wieder passiert.

Oder oftmals gibt es keinen linearen Lebenslauf. Einmal hatte ich im Rahmen eines Executive Search Projekts einen Top-Manager vor mir sitzen, der eine Lücke im Lebenslauf hatte. Von einem Tag auf den anderen war er zwei Jahre lang out-of-job und ist dann wieder in einer viel niedrigeren Position eingestiegen. Ich habe ihn gefragt, was hier passiert ist. Er hat mir erzählt, dass eines seiner Kinder erkrankt ist und er sich um das Kind kümmern musste. Dass er mir als Interviewerin darüber erzählt hat, habe ich als sehr wertschätzend empfunden und ich konnte seine Person dadurch viel besser erfassen.

Das ist ja eigentlich untypisch. Denn meistens sind es die Frauen, die sich aus dem Beruf zurückziehen, um Angehörige zu pflegen und jahrelang unbezahlte Arbeit leisten.

Ja, absolut. Ich habe das ganz toll gefunden. Er hat ganz klar gesagt: „Meine Familie ist meine Priorität.“ Hut ab, damals – das ist schon einige Jahre her – waren wir nämlich noch nicht so weit, wie wir heute sind.

Haben Sie das Gefühl, dass sich Frauen in ihrem jeweiligen Job oft doppelt oder dreifach anstrengen müssen?

In meiner eigenen Karriere konnte ich das nicht wahrnehmen, weil da in meinem Umfeld immer sehr objektiv evaluiert und nicht zwischen Mann und Frau differenziert wurde. In meinen Coachings bemerke ich aber schon, dass sich einige Frauen in ihrer Arbeit benachteiligt fühlen. Ich hatte jedoch auch schon Coaching-Situationen mit Männern, die sich benachteiligt fühlen, weil ihr Unternehmen den Fokus aktuell verstärkt auf Frauen legt. Dadurch wird es für sie schwieriger, in Führungspositionen zu kommen. Dieses Thema macht sich also sowohl bei Frauen als auch bei Männern bemerkbar.

Oft stellt sich im Coaching jedoch heraus, dass das wahre Thema jedoch ein anderes ist. Man darf nämlich nicht vergessen: Frauen sind häufiger doppelt belastet. Vor allem, wenn es Kinder oder pflegebedürftige Verwandte gibt – das bleibt oft an der Frau hängen. In Österreich sind wir noch recht weit hinten, wenn es um Kinderbetreuungseinrichtungen geht. In dieser Hinsicht bräuchten Frauen deutlich mehr Support.

Fotomaterial© Interfoto

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