Sie haben bereits von 1999 bis 2018 beim Austrian Institute of Technology (AIT) gearbeitet und dort unter anderem die Entwicklung und strategische Positionierung der Energieforschung vorangetrieben. Was hat Sie nun zurück ans AIT gezogen?
Man sagt ja „The first love is the deepest“, und das trifft bei mir absolut zu. Ich sehe das AIT international exzellent positioniert, deshalb freue ich mich sehr, als Sprecherin der Dreier-Geschäftsführung des AIT zu wirken – gerade in dieser Zeit des Wandels in Gesellschaft und Technologie. Ich habe in meinen Stationen bei der Wien Energie und der Salzburg AG viel über Innovationsentwicklung in der Wirtschaft gelernt und versuche nun, meine Erfahrungen in der angewandten Forschung für die Unternehmen noch gezielter einzubringen.
Welche Erkenntnisse haben Sie mitgebracht?
Unternehmen tun sich gerade im derzeitigen Umbruch häufig schwer damit, Fragestellungen in ihrer gesamten Komplexität zu erfassen – nicht nur technisch, sondern beispielsweise auch im legislativen Umfeld. Oft haben Firmen nicht die Personen oder Strukturen, um unterschiedliche Pfade zu erkennen und zu gehen. In ihrem eigenen Segment sind Unternehmen hier natürlich fit, aber in weniger verwandten Umfeldern wird das schwieriger. Hier kann eine Forschungseinrichtung wie das AIT verbinden und vermitteln.
Wo setzen Sie hier konkret an?
Forschung bietet die Möglichkeit, Dinge auszuprobieren. Wir können Unternehmen mit unserer Arbeit dabei unterstützen, Innovationen zu beschleunigen, denn mit unseren Ergebnissen reduzieren wir ihr Risiko. Nehmen wir Wienerberger, den führenden Hersteller von Tonbaustoffen in Österreich – hier werden nun neue Hochtemperatur-Wärmepumpen statt Gas für die Ziegeltrocknung eingesetzt, damit lassen sich rund 80 Prozent CO2 einsparen. In Konzeption ist zudem ein komplett CO2-freies Werk in Uttendorf und die Entwicklung eines elektrischen Ofens, der Ziegel brennt. Diese Herangehensweise ist typisch für das AIT – vom Systemverständnis über die Einzeltechnologieentwicklung bis hin zur Erstellung von Roadmaps und Großdemonstratoren sowie der anschließenden Analyse können wir begleiten und unterstützen.
Wo liegen aus Ihrer Sicht Innovationsfelder mit dem größten Potenzial?
Den Rahmen gibt für uns die sogenannte Triple Transition vor, also die Transformation der Wirtschaft in nachhaltiger, digitaler und menschengerechter Weise. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Industrieprozessen der Zukunft. Wie schaffen wir eine resiliente Infrastruktur? Wie können wir stärker dekarbonisieren, wie die Kreislaufwirtschaft voranbringen, wie digitale Kompetenzen wie Künstliche Intelligenz (KI) in unsere Forschungsthemen einbringen? KI hat schon heute große Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Forschende arbeiten. Wir sind bereits sehr gut unterwegs in Robotik und Automatisierungstechnik, aktuell arbeiten wir am Konzept für sogenannte Research- Accelerating- Plattformen (RAP). Diese Beschleunigungsplattformen können zum Beispiel in der Materialforschung eingesetzt werden, indem sie Kombinationen von Materialen mit bestimmten Eigenschaften ermitteln.
Welche Rolle spielen Kooperationen für das AIT?
Exzellente Forschung braucht internationale Partnerschaften. In der EU können wir mit den Fördermitteln aus dem Forschungsrahmenprogramm beispielsweise auch kleine und mittlere Unternehmen mit auf die große Bühne nehmen, also in den Konsortien für große Entwicklungen verankern. Über Grenzen hinweg arbeiten wir traditionell mit Universitäten zusammen wie etwa der TU München oder mit Schwesterorganisationen wie der Fraunhofer Gesellschaft in Deutschland. Aktuell entwickeln wir aber auch neue Formen der Kooperation wie mit dem Innovationsverbund NEFI (New Energy for Industry) mit 120 Firmen und Forschungspartnern. Denn: Wir bewegen uns in einem Systemwandel, in dem immer mehr komplexe Fragen aufeinandertreffen. Diese Fragen kann niemand allein lösen. Wir sehen das AIT deshalb nicht nur als Übersetzer und Vermittler für Unternehmen, sondern auch als Netzwerkknoten, der unterschiedliche Player zusammenbringt.
Wo liegen heute die aus Ihrer Sicht größten Herausforderungen in der Innovationsentwicklung aus der Forschung heraus?
Das ist eindeutig die Finanzierung. Salopp gesagt gilt Folgendes: Ein Euro in der Grundlagenforschung, zehn Euro für die angewandte Forschung und 100 Euro in der hochskalierten Industrie. Wir benötigen die gesamte Kette an Institutionen und eine gesicherte Finanzierung, um durchgängig die Rahmenbedingungen für exzellente Forschung zu schaffen. Wir fordern deshalb eine nationale Forschungsquote von vier Prozent, denn wir sind ein Industrie-Exportland, das von Top-Technologie abhängig ist. Wir müssen immer vorn sein, bei den Besten und Schnellsten – Technologieentwicklung ist wie Marathon im Sprint-Tempo. Um die Industrieaktivitäten in Österreich und Europa zu sichern und weiterzuentwickeln, braucht es permanente Spitzenleistung. Wir fordern deshalb für das folgende 10. EU-Forschungsrahmenprogramm eine Höhe von 200 Milliarden Euro sowie eine Absicherung des Budgets – das heißt, dass dieses Geld nicht anderweitig eingesetzt werden darf.
Sehen Sie sich auch als eine Art Außenministerin für das AIT?
Ja, ganz klar. Ich möchte das AIT in Österreich und der EU stärker und sichtbarer positionieren und den Impact, also die Wirksamkeit unserer Arbeit, erhöhen. Bislang habe ich in Brüssel bei den Beamten und Beamtinnen in Bezug auf die Anwendung neuer Technologien absolute Offenheit erlebt. Auch im europäischen Vergleich finden relativ kleine Einrichtungen wie wir mit sachlichen Argumenten Gehör.
Welchen Nutzen hat das AIT für die österreichische Wirtschaft?
Wir schauen uns in einem stringenten Strategieprozess sehr genau an, was die Stakeholder brauchen. Konkret: was österreichische Unternehmen am Standort benötigen oder welche Technologien und Prozesse für die Triple Transition sinnvoll sind. Wir entwickeln dann in diese Richtung und geben unsere Ergebnisse zurück. Hochrelevant ist zum Beispiel der Bereich Energie, hier haben wir einen echten USP durch unser Wissen im Bereich kritische Infrastruktur. Wie können wir Netze sicher weiter entwickeln, wie lassen sich mehr erneuerbare Energien einspeisen und wie muss sich die Energiewirtschaft künftig aufstellen? Wir unterstützen die Industrie etwa mit der Entwicklung von Wechselrichtern oder Ladestationen, ähnliches gilt für die Wärmenetze. Auch in vielen anderen Bereichen kooperieren wir intensiv mit Unternehmen, beispielsweise bei der Automatisierung, der hochsicheren Kommunikation, der Digitalisierung von Gesundheitsdienstleistung oder der Entwicklung von innovativen Mensch- Maschine- Schnittstellen.
Welche Rolle spielt Diversity für die Arbeit des AIT?
Unser Motto ist „Diversity inspires innovation“. Das klingt nicht nur gut, sondern zeigt unseren Fokus – gemischte Teams bringen neue Entwicklungen besser voran. Derzeit haben wir bei den Wissenschaftler:innen einen 25-prozentigen Anteil Frauen. Es kommen inzwischen deutlich mehr weibliche Talente zu uns, aber nur wenige gehen auch den Weg bis in die Führungsebene. Hier haben wir eine neue Strategie erarbeitet, die sich am gesamten Lebenszyklus orientiert – vom Recruiting über Familienfreundlichkeit bis hin zur späteren Weiterentwicklung. Wir wollen mehr Frauen für einen Aufstieg begeistern.
Der Innovationsmotor
Das Österreichische Institut für Technologie (AIT) ist die größte Forschungs- und Technologieorganisation Österreichs, die eng mit industriellen und öffentlichen Partnern zusammenarbeitet, um innovative Lösungen in Technologie und Wissenschaft zu entwickeln. Der Fokus liegt auf den Bereichen Digitalisierung, Energie, Mobilität und Gesundheit. Mehr als 1.500 Mitarbeitende erzielten im Jahr 2023 einen Umsatz von 200 Mio. Euro. Die GmbH erzielt 60 Prozent externe Erlöse, davon jeweils 30 Prozent Aufträge aus der Industrie und 30 Prozent eingeworbene Forschungsmittel. 40 Prozent der Erlöse stammen aus öffentlichen Geldern.
Zur Person
Dr. Brigitte Bach (57) gilt als treibende Kraft im Bereich der Energieinnovationen. Die Physikerin ist Geschäftsführerin und Sprecherin der Dreier-Geschäftsführung des Austrian Institute of Technology (AIT). Hier war sie bereits von 1999 bis 2018 tätig und entwickelte maßgeblich unter anderem den Bereich Energieforschung, zuletzt an der Spitze des Center for Energy. Zwischen 2018 und 2023 leitete sie Telekommunikation, Elektromobilität und neue Geschäftsfelder bei der Wien Energie und wirkte als COO im Vorstand der Salzburg AG, bevor sie zum AIT zurückkehrte.
Dr. Bach legt nun den Fokus auf die strategische Ausrichtung des AIT, insbesondere in den Bereichen Energieeffizienz, Smart Cities und neue Geschäftsfelder im technologischen Sektor. Sie ist Mitglied im Helmholtz-Verband und aktiv in mehreren europäischen und internationalen Gremien zur Energiepolitik.