StartBalance“Zu einer Logik in der Mode zurückfinden”

“Zu einer Logik in der Mode zurückfinden”

Immer mehr internationale Top-Designer denken die Mode neu. Neu  bedeutet: mehr Nachhaltigkeit, mehr Sinn, vernünftigere Arbeitsbedingungen. Um dem ganzen Gewicht zu geben, haben Top-Größen wie Margarita Missoni, Gabriela Hearst und Isabel Marant ein Manifest verfasst, dem sich auch Fashion-Star Arthur Arbesser angeschlossen hat. SHEconomy-Autorin Alexandra Russ traf den international gefragten Österreicher in Mailand zum digitalen Hintergrundgespräch. 

“Wir müssen das Modesystem verlangsamen”. Mit diesen Worten richtete sich der Designer Giorgio Armani Anfang April in einem offenen Brief an die Medien und kündigte an, nur mehr zwei Kollektionen pro Jahr herauszubringen. In die selbe Kerbe schlug vor kurzem auch Alessandro Michele, Kreativdirektor von Gucci, und kündigte an seinen Modekalender zu entschleunigen. Die Umweltverschmutzung und der hohe Verbrauch an Ressourcen, die die Modeindustrie verursacht, sind seit langem bekannt. Nur zaghaft hat in den letzten Jahren ein Umdenken eingesetzt. Die Corona-Krise und der weltweite Lockdown haben vielen Kreativen die Möglichkeit gegeben inne zu halten und das System Mode zu überdenken. Daraus entstanden jetzt Initiativen führender Modedesigner, Kreativer und CEOs, um das System Mode zu reformieren.

So haben erst kürzlich unter dem Namen Rewiringfashion.org führende Kreative ein Manifest veröffentlicht, das sich drei Ziele gesetzt hat: Der Modekalender sollte überarbeitet werden und Fashion Shows auf zwei Saisonen beschränkt werden. Das System der Fashion Shows soll aufgebrochen werden, um den Designern mehr Freiheiten bei der Gestaltung ihrer Shows, zum Beispiel für den digitalen Raum, zu geben. Und zuletzt soll es keine Rabattschlachten wie Black Friday, Cyber Monday oder Single Day mehr geben. Namhafte Größen wie Missoni, Gabriela Hearst oder Erdem unterstützen diese Initiative. Der österreichische Spitzen-Designer Arthur Arbesser, der bis Ende 2019 als Kreativdirektor für das internationale Label Fay tätig war und seit Jahren eigene, weltweit vielbeachtete Kollektionen hervorbringt, ist Teil dieser Bewegung. Hier lesen Sie über seine Beweggründe, seine eigenen Bemühungen um Nachhaltigkeit und sein ganz persönliches Konzept für die Zukunft.

Wie geht es Ihnen in Mailand? Wie erleben Sie das social distancing?

In Mailand war der Lockdown deutlich härter und strenger als in Wien beziehungsweise in Österreich. Es war eine seltsame und sehr spürbare Veränderung. Langsam ist es wieder angelaufen. Ich persönlich habe nicht wirklich Lust, viele Leute zu treffen oder auszugehen. Ich brauche noch ein bisschen Zeit, bis ich für soziales Leben bereit bin. In meinem Studio sind wir derzeit eine ganz kleine Gruppe von drei Leuten. Die übrigen Mitarbeiter kehren Anfang Juni wieder zurück.

Sie sagen, dass alles auf Neuanfang gestellt wird. Jeder Designer hat nun die Chance sich neu zu erfinden. Wie gestalten Sie Ihren “Neuanfang”?

Es war sehr gut, dass man sich zwei Monate damit beschäftigen konnte, wofür man steht, wofür meine Marke steht, was man völlig in der Vergangenheit lassen kann, und was man mitnehmen will. Ich hatte die Chance, mich wieder auf die echte Kreativität zu konzentrieren. Ich hatte insgesamt Zweifel an der Mode, warum produziert man Kleidung, die man nicht braucht. Plötzlich war es ganz still, Vögel haben gezwitschert, ich habe Tiere gehört und ich dachte mir, es ist eigentlich sehr angenehm nicht in einen Easy Jet steigen zu müssen, um in eine Fabrik fliegen. Der Umwelt und Sustainability-Gedanke kam total auf. Wir haben Vorsätze im Team gefasst. Unsere Stock Fabrics aus früheren Kollektionen werden wir in den nächsten Kollektionen aufbrauchen. In der nächsten Sommerkollektion haben wir viel Popeline Baumwolle verwendet. Wir haben jetzt eine kleine Fabrik in Veneto gefunden und machen aus den Resten Hawaii Shirts für vier- bis sechsjährige Kinder. Das Schöne ist, dass man in Italien kleine Fabriken findet, die spezialisiert sind, wie zum Beispiel diese im Veneto auf Kinderhemden.

Haben die Fabriken wieder geöffnet? Sind die Lieferketten wieder intakt?

Seit 4. Mai sind die Stofffabriken wieder geöffnet. Die Herbst/Winter Kollektion wird also rechtzeitig fertig. Die Produktion ist natürlich viel kleiner geworden, weil viele Boutiquen ihre Order verkleinert haben, aber wir sind sehr froh, dass alles fertig wird.

Man kauft bewusster, weniger ist mehr, also bessere Qualität. Wie sehen Sie das?

Das hoffe ich sehr. H&M und Zara wird es immer geben, aber Leute müssen verstehen, dass es sich nicht ausgehen kann, wenn ein Pullover 15 € kostet. Die jüngere Generation ist sowieso viel bewusster als die ältere. Ich hoffe auch, dass zum Beispiel Fliegen teurer wird. Es kann sich nicht ausgehen um 7€ irgendwohin zu fliegen.

Arthur Arbesser ist eine sehr kleine Marke, die in viel geringeren Mengen produziert als die großen Brands. Wir sind in einer kleinen Fabrik in Turin. Ich kenne jede Näherin und weiß wie jeder Zuschneider heißt. Wir müssen keine Kleidung verbrennen, weil wir sie am Ende der Saison nicht verkauft haben. Wir haben uns vorgenommen, bewusstere Materialien in Zukunft zu verwenden, andere Materialien lassen wir ab dem Sommer 2021 ganz weg. 

Sie unterstützen als Designer die Plattform rewiring fashion ,wo sich viele Kreative, Designer und CEOs zusammengeschlossen haben, um die gesamte Modeindustrie wieder zu verlangsamen. Wie kam es zu dieser Initiative?

Meine Freundin Margarita Missoni hat mich angerufen und mir von dieser Initiative erzählt. Sie war im Gründungsboard. Ich arbeite eigentlich schon jetzt so, wie es in dem Manifest beschrieben wird. Ich mache keine Precollection, sondern nur zwei Kollektionen im Jahr. Wir machen keine Sales. Das Ziel ist, dass das Ganze wieder zurück zu einer Logik findet. Im November braucht man noch keine Bikinis oder die ersten Sommerröcke in einem Geschäft zu sehen. Das ist dasselbe, wie wenn wir uns im Oktober über Weihnachtsdeko in den Geschäften aufregen. Das einzige, was ich noch besser verstehen muss, ist dass die Modeschauen in season stattfinden sollen. Das heißt, es werden Kollektionen gezeigt, die bereits produziert wurden. Die Einkäufer kaufen aber für die nächste Saison ein, die noch nicht gezeigt wurde. Bis jetzt war es aber immer so, dass eine Modeschau einer Kollektion zusätzlichen Zauber verlieh und ihre Attraktivität nochmals steigerte. Die Logik hinter diesem neuen System muss ich erst noch verstehen. Wir haben offensichtlich verlernt, auf etwas zu warten, geduldig zu sein. 

Ein weiteres Ziel des Manifests ist es  das Discounting zu reduzieren. Sachen sind nur für eine kurze Zeit zum vollen Preis in den Geschäften erhältlich, um nach zwei bis drei Monaten reduziert zu werden. Eine weitere Entwertung des Kleidungsstückes findet statt. Wie sehen Sie das?

Der Konsument muss sich bewusst sein, dass Qualität seinen Preis hat. In Mailand sehe ich immer wieder sehr gut gekleidete ältere Herren mit top gepflegten Mänteln auf der Straße. Man sieht, dass der Mantel aus den Siebzigern ist, aber nach wie vor irrsinnig schön, weil er besonders gut gepflegt wird. Das haben wir verlernt.

Nach den Kostümen für den Rosenkavalier in Berlin, designen Sie jetzt für die Münchner Oper die Kostüme für das „Schneesturm“ Ballett von Alexander Puschkin. Haben Sie nach den Zweifeln über die Sinnhaftigkeit der Mode gedacht, dass das Designen von Kostümen mehr Sinn macht?

Ich war schon immer ein großer Fan von Bühnen. Zuerst die Kostüme für das Neujahrskonzert und danach die Kostüme für den Rosenkavalier zu designen, war eine sehr positive Erfahrung für mich. Mit Künstlern zu arbeiten, ist sehr inspirierend. Der Choreograph des Neujahrskonzerts, Andrey Kaydanoskiy, wird auch den Schneesturm an der Münchner Oper choreographieren und hat mich sofort gefragt, ob ich Teil des Teams sein möchte. Es ist auch sehr spannend, sich neben seiner eigentlichen Tätigkeit ein neues Netzwerk aufzubauen und neue Leute kennenzulernen. Einmal im Jahr ein side project zu haben, das mit Bühne zu tun hat, verschafft meinem Kopf kreative Frischluft. Das ist sehr wichtig für mich. 

Wie ändert sich das kreative Denken, wenn man plötzlich begrenztere Möglichkeiten hat und keine gegenseitige kreative Befruchtung? 

Bis zu einem gewissen Punkt kann man alles digital machen. Wenn es dann ans Eingemachte geht, muss man die Stoffe fühlen und angreifen. Für mich war diese Pause auch gut zu verstehen wo meine Stärken sind, und wo es Sinn macht, dran zu bleiben. Es waren absolut inspirierende Monate und ich konnte mich auf Puschkin stürzen. 

Kleinere Präsentationen statt riesiger Fashion Show? Wie wird das in Zukunft aussehen?

Modeschauen kann ich jetzt auch einmal auslassen. Ich hatte meine glorious moments hier in Mailand. Im September gibt es eine kleine Präsentation. Wir werden ein sehr hochwertiges Lookbook mit künstlerischen Fotos shooten und ein kleines Video dazu machen, das dann verschickt wird. Fashion Shows haben aber etwas Magisches. Es hat sich um unser Label eine sehr feine Gruppe gebildet, angefangen von den Models bis zu den Visagisten. Und es ist sehr fein, wenn man diese Glücksmomente teilen kann. Unsere Shows sind auch im Laufe der Jahre sehr gewachsen, aber natürlich kosten sie auch sehr viel Geld. Das werde ich in Zukunft etwas zurückfahren. ,Kleiner, aber besser!‘, ist derzeit unsere Motivation. Trotzdem werden Fashion Shows nie durch das Digitale ersetzt werden. Im Moment brauchen wir aber Theater und Bühne dringender als Modeschauen. Das Wichtigste an der Corona-Krise ist – neben all der Krankheit und den schrecklichen Folgen, die das Virus über uns gebracht hat –, dass wir nun alle draufkommen, dass Natur und Umwelt unsere dringlichsten Probleme sind.

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