Bestimmt habt ihr das auch schon öfters gehört: Frauen sind doch eh schon gleichberechtigt! Ihnen stehen alle Türen offen. Das erzählt man so lange, bis Frau zu den entscheidenden Schlüsselmomenten im Leben kommt: Sei es der Kinderwunsch, das Streben nach einer höheren Führungsposition, oder gar ein politisches Amt. Entweder merkt Frau, dass etwas mit der Bezahlung nicht stimmt, oder dass man sehr schnell recht allein in den Räumen der Macht dasteht (wenn Frau überhaupt reingelassen wird).
Wie sehen die Zahlen und Fakten aus?
In Österreich müssten wir laut Global Gender Gap Report noch ganze 131 Jahre bis zur Gleichstellung der Geschlechter warten, wenn alles gut geht. In der Privatwirtschaft stagniert der Anteil weiblicher Geschäftsführerinnen in den letzten zehn Jahren zwischen 5 bis 10 Prozent (heuer liegt er bei 12,5%). In der Politik sehen wir ähnliche Tendenzen: 2022 stieg der Frauenanteil unter Bürgermeisterinnen erstmal über 10 Prozent, was als großer Erfolg gefeiert wurde. Egal, welche Räume der Macht man unter die Lupe nimmt – meistens dominiert eine eher homogene Gruppe: Männlich, mittelalt, weiß, höhere Ausbildung. EU-weit sind daher auch 92 Prozent aller CEOs börsennotierter Unternehmen Männer. Die Entscheidung darüber, was und wie produziert und unter welchen Bedingungen gearbeitet wird, liegt daher überwiegend in der Hand von wenigen, sich stark ähnelnden Männern. Das Eigentum an diesen Unternehmen ist ähnlich geschlechterhierarchisch verteilt: Anteile an Unternehmen bzw. Kapitel konzentriert sich – global gesehen – ganz überwiegend bei einer Handvoll Männern, die damit über mehr Vermögen als die Hälfte der Weltbevölkerung verfügt. Das ist einer der Gründe, weswegen Feministinnen und Feministen von männlicher Herrschaft sprechen, wenn wir kritisieren, was trotz formaler Gleichberechtigung nach wie vor nicht gleich oder gerecht an Führungsstrukturen in der Privatwirtschaft ist.
Die Rekrutierung der Mächtigsten folgt dem aus der Forschung bekannten Ähnlichkeitsprinzip bzw. Prinzip der homosozialen Rekrutierung, das Männerbünde und männerbündische Strukturen in Organisationen über die Zeit hinweg aufrechterhält, in Deutschland speziell als Thomas-Schablone bekannt. Demnach ist das durchschnittliche deutsche Vorstandsmitglied 1968 in Westdeutschland geboren und heißt erschreckend oft Thomas. Willkommen im Mythos der Meritokratie – das bedeutet eine Gesellschaft, bei der ausschließlich die Besten weiterkommen und honoriert werden. Doch seien wir ehrlich – wenn dem so wäre, dann wären die Räume der Macht vielfältig und für unsere Gesellschaft repräsentativ gestaltet. Zugespitzt gesagt: Was einen nach oben in die Führungsetage bringt ist mehr das Geschlecht als die Leistung.
Was tun gegen die ungleiche Verteilung?
Nachdem ein gängiges Argument vieler Unternehmen bisher lautete ‘Frauen wollen einfach keine Führungspositionen’, wurden der gesellschaftliche Druck und die Forderung nach fairen Chancen der Partizipation für alle in den letzten Jahren lauter. In bottom-up Prozessen wurden Netzwerke für Frauen oder Minderheiten im Unternehmen gegründet. Die ersten Führungskräfte-Programme ausgerollt, sowie das eine oder andere Ziel gesetzt. Doch es gibt Maßnahmen, die weitaus wirksamer sind und die das Potenzial haben, uns sehr schnell nach vorne zu katapultieren, auf dem Weg zu einer geschlechtergerechteren Gesellschaft.
Das Frauenvolksbegehren stellte bereits 2018 äußerst relevante Forderungen “Macht teilen”, also gleicher Beteiligung von Frauen und Männern in Parlamenten, Unternehmen und öffentlichen und privaten Organisationen.
Ein Blick auf die 2018 eingeführte verbindliche Quote für Aufsichtsräte gibt Aufschluss, was wirkt: Die Quote fordert mindestens 30 Prozent Frauen in den Aufsichtsratsgremien großer und börsennotierter Unternehmen für ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis. Die Repräsentanz von Frauen hat sich innerhalb der letzten 5 Jahre von 16 auf 36,5 Prozent erhöht (Arbeiterkammer Frauen.Management Report 2024). Auch in staatsnahen Unternehmen gilt die Quote von 40 Prozent und wird durchgesetzt.
Fazit: Wir wissen sehr wohl, was wirkt. Warum werden diese Maßnahmen nicht verstärkt umgesetzt und ausgeweitet, zum Beispiel auf den Vorstand oder die Geschäftsführung, nach deutschem und französischen Vorbild? Genau da setzt die eine neue, lange verhandelte EU Richtline an …
Was sagt die neue EU Richtline?
Schon im Jahr 2012 schlug die Europäische Kommission eine Richtlinie vor, um die Unterrepräsentierung von Frauen in Aufsichtsräten auszugleichen und gleiche Wettbewerbsbedingungen insbesondere zugunsten von Frankreich (das als einziges Mitgliedsland einen 40prozentigen Frauenanteil in Aufsichtsräten vorweisen kann) zu schaffen – ein Motiv, das schon in den Gründungsverträgen der Europäischen Gemeinschaften für die Verankerung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit handlungsleitend war. Das Europäische Parlament hat sich 2013 dafür ausgesprochen und eine entsprechende Position beschlossen.
Nach einer darauffolgenden, beinahe zehnjährigen Blockade durch den Rat – also die Vertreter:innen der Mitgliedstaaten – im 2022 beschlossene „Women on Board“-Richtlinie sieht endlich eine EU-weite Geschlechter- nicht Frauenquote vor. Die Richtlinie enthält zwei klare Zielvorgaben: Bis zum 30. Juni 2026 soll ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis von mindestens 40 Prozent Aufsichtsräte oder 33 Prozent Aufsichtsräte und Vorstand zusammen erreicht werden. Die Mitgliedstaaten sind dafür verantwortlich, dass die Unternehmen diese Ziele auch tatsächlich erfüllen, dafür sind entsprechende Regelungen und Maßnahmen wie Monitoringsysteme umzusetzen. Diese Regelung trifft vor allem Kapitalgesellschaften, also diejenigen Unternehmen, bei denen Geschlechterungleichheit auf CEO-Ebene besonders ausgeprägt ist. KMUs sind ausgenommen. Derzeit wären etwa 5.000 Unternehmen in der EU erfasst. Dies muss in den nächsten vier Jahren umgesetzt werden.
Falls die Zielvorgaben nicht eingehalten werden, müssen die Mitgliedstaaten Sanktionen gegen die Unternehmen verhängen. Solche Sanktionen können Geldstrafen oder die Nichtigerklärung von entgegen der Vorschriften bestellte Aufsichtsrat- bzw. Vorstandsmitgliedern sein.
Wer will schon eine Quotenfrau sein?
Seit es die Quote gibt, gibt es Versuche, sie unbeliebt zu machen. Frauen sollen sich nicht trauen, sich selbst stolz ‘Quotenfrau’ zu nennen. Die Initiative ‘Wir sind Quotenfrauen’ des Spiegels in Deutschland hat sich dafür eingesetzt, dieses Stereotyp aufzubrechen. Denn bei der Quoten Debatte geht es nicht darum, die Qualität der Arbeit der verschiedenen Geschlechter zu evaluieren. Es geht um Fairness und Teilhabe.
Kurz und knapp: Die Durchsetzung der Quote und die Bevorzugung einer Frau gegenüber einem Mann für zum Beispiel eine Vorstandsposition bedeutet schlichtweg, dass bei gleicher Qualifikation die Frau bevorzugt wird. Das bedeutet, dass es keiner Debatte über den Verlust von qualifizierten Männern bedarf, ganz im Gegenteil: Die Verbesserung der Vielfalt in Räumen, wo tiefgreifende Entscheidungen getroffen werden, zieht Verbesserungen in den Prozessen und Strukturen der Organisationen nach sich, wie zum Beispiel der Transparenz, Innovationskraft durch Perspektivenvielfalt, und sogar bessere wirtschaftliche Ergebnisse in den Bereichen Produktivität und Gewinn.
Wenn Frauen endlich die Möglichkeit gleicher Anerkennung ihrer Biographie und Leistung, gleichwertiger Partizipation und Gehaltsaussichten haben – warum sollten sie keine Quotenfrauen sein wollen? Oder wie Evenlyn Regner, die Chefverhandlerin des Europäischen Parlaments zum Beschluss der Richtlinie meinte: „Wir öffnen die Tür zur Diskussion, wie Unternehmenskultur künftig aussehen soll und fordern Machtstrukturen auf dem gesamten europäischen Arbeitsmarkt heraus. Diese Türen müssen wir im nächsten Schritt für Frauen in jedem Arbeitsumfeld – nicht nur in Vorständen und Aufsichtsräten – öffnen.”
Also: Quotenfrau, ja gerne! Die braucht es. Dringend.
Schritt für Schritt, Tür für Tür – nur so kann der Prozess der Gleichstellung bewältigt werden. Denn wir sind nicht bereit, weitere 131 Jahre darauf zu warten.
Über die Autor*innen
Désirée Jonek-Lustyk ist Unternehmensberaterin zum Thema Vielfalt und Gleichstellung und die Gründerin des Social Business WOMENTOR.
Christian Berger war einer der Sprecher*innen des Frauen*Volksbegehren und ist Universitäts- und Fachhochschul-Lektor u.a. an der WU Wien.