StartBusinessKarriereWo ist der Fachkräftemangel, wenn man ihn mal braucht?

Wo ist der Fachkräftemangel, wenn man ihn mal braucht?

Start unserer neuen Serie „Jobsuche 40+": Katharina Dello beschreibt wie es ihr als ausgewiesene Fachkraft im Bereich Unternehmenskommunikation in den vergangenen Monaten bei der Arbeitssuche ergangen ist. Nach 60 Bewerbungen und 20 Vorstellungsgesprächen hat unsere Autorin zwar immer noch kein Angebot. Dafür hat sie aber tiefe Einblicke in den Bewerbungsprozess bei Unternehmen und die Seltsamkeiten der Arbeitswelt gewonnen.

Das frage ich mich wirklich. Seit Jahren reden alle von Fachkräftemangel. Der Arbeitsmarkt sei gut, meinte meine letzte Chefin, bevor sie mich entlassen hat. Manche steigern sich in die Behauptung rein, es sei ein Markt der Arbeitnehmer*innen. Dabei muss ich immer an einen Freund denken, der nach fünf Bewerbungen vier Angebote hatte. Er hat allerdings auch Versicherungsmathematik studiert. Allein der Klang dieses Wortes löst bei mit einen Gähnreflex aus. Dafür kann er von seinem Gehalt auch seiner fünfköpfigen Familie ein Eigentumshaus in München finanzieren.

Es ist ja nicht so, dass ich nichts vorzuweisen hätte. Fünf Sprachen fließend, ein Studium und eine Ausbildung, jahrelange Erfahrung im Journalismus, Unternehmenskommunikation und Finanzbranche. Und ich suche einen Job in Frankfurt, der Bankenmetropole schlechthin. Meine Gehaltsvorstellung ist eher zu niedrig als zu hoch. Also wo, bitte, sind die Unternehmen, die bei mir Schlange stehen?

Vermutlich werden die Fachkräfte vor allem in den MINT-Berufen gesucht. Also Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik. Das sagt in den Nachrichten aber keiner. Und der demografische Wandel, der die Anzahl der potenziellen Arbeitskräfte generell reduziert, ist wohl noch nicht fortgeschritten genug. Wahrscheinlich bin ich längst in Rente, wenn der zuschlägt.

Immerhin scheint meine Qualifikation gefragt zu sein. Bei rund 60 Bewerbungen hatte ich auch 20 Einladungen zu Vorstellungsgesprächen, das ist der beste Schnitt meines Arbeitslebens so weit. Wohlgemerkt, es waren 20 Unternehmen, die mich eingeladen haben. Bei den meisten gibt es nicht nur ein Gespräch, sondern zwei oder sogar drei. Es war für mich also ein irrer Aufwand, mich auf alle diese Gespräche vorzubereiten. Und das alles, um hinterher zu erfahren, dass „wir uns leider für jemand anderen entschieden haben. Aber bitte betrachten Sie das nicht als eine Bewertung Ihrer Qualifikation“. Hmpf.

In schöner Regelmäßigkeit stoße ich danach auf LinkedIn-Posts dieser Firmen, in denen die Personalvorstände erzählen, wie sehr sie Fachkräfte suchen und was sie ihnen alles bieten. Aarrgh!

Um meine Chancen zu erhöhen, habe ich natürlich erst meine Bewerbung auf Vordermann gebracht. Dann hockte ich mich vor den Rechner und googelte „so punkten Sie im Vorstellungsgespräch“. Danach fühlte ich mich deutlich besser vorbereitet.

Hat mir bis jetzt allerdings auch keinen Vertrag eingebracht.

Ich höre jetzt schon die ganzen Ratschläge wie „vielleicht bewirbst du dich bei den falschen Unternehmen“, oder „vielleicht musst du deine Unterlagen überarbeiten“ oder auch „schon mal an einen Umzug gedacht?“. Leider führen diese ganzen gut gemeinten Kommentare nur dazu, dass ich das Gefühl bekomme, dass es an mir liegt. Dass ich etwas falsch gemacht habe. Aber ich bin doch sicher nicht die einzige, der es so geht? Die richtig lange suchen und sich nach jeder Absage neu aufraffen muss, um es „nicht als Bewertung ihrer Qualifikation“ zu sehen?

Was wäre denn normal, frage ich mich, in einem angeblich von Arbeitnehmer*innen getriebenen Markt. Fünf Bewerbungen und vier Angebote in etwa? Nach dem Reality Check in der mir angestammten Profession, verbuche ich das vorerst mal als Fantasie aus dem weiten Land der HR-Mythen.


Mehr zu unserer Autorin unserer neuen sheconomy Kolumne „Jobsuche 40+“ finden sie auf ihrem LinkedIn Profil

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