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„Wenn man selbst nicht mehr da ist, ist es Zeit, etwas zu ändern“

Anastasia Umrik weiß, wie sich Krisen anfühlen – aber auch, wie man sich aus ihnen herauskämpft. Denn sie hat selbst zahlreichte Neuanfänge erlebt. Anastasia Umrik im Interview. 

Dieses Interview erschien am 8. Dezember 2021 auf www.her-career.com.

Mit sieben Jahren kam sie aus Kasachstan nach Deutschland, wegen einer Muskelerkrankung ist sie auf den Rollstuhl angewiesen, kam auf die Sonderschule – und kämpfte sich bis an die Uni. Nach einer Nahtoderfahrung mit 29 ordnete Anastasia ihre Prioritäten neu und sagt mittlerweile: „Umwege erhöhen die Ortskenntnisse!“ In ihrem sehr persönlichen Buch „Du bist in einer Krise. Herzlichen Glückwunsch – jetzt wird alles gut“ lässt die 34-Jährige alle an ihren Erfahrungen teilhaben und ist auch auf der herCAREER 2022 als Speakerin beim Authors-MeetUp dabei. Sie findet: Krisen sind meistens die, die wir gar nicht als solche bezeichnen! Im Interview mit herCAREER verrät Anastasia Umrik, wie man trotzdem merkt, dass man schon mittendrin steckt in der Krise – und warum das genau der Schlüssel zum Neuanfang ist.

Anastasia, Du giltst als „Krisenexpertin“ – wie wird man denn das?

Anastasia Umrik: Ich habe selbst viele Umbrüche erlebt – meistens unfreiwillig. Insofern hatte ich eigentlich gar keine andere Wahl, als zur Krisenexpertin zu werden. Ich hatte immer die Wahl zwischen Aufgeben und alles mit mir machen lassen – oder aktiv und mit einem klaren Kopf die Dinge zu verändern. Um das zu tun, muss man aber erst einmal sortieren, was man überhaupt verändern kann – und was nicht. Und ein bisschen liegt es wahrscheinlich auch in meinen Genen (lacht).

Dein Buch heißt: „Du bist in einer Krise. Herzlichen Glückwunsch. Ab jetzt wird alles gut.“ Warum wird ab jetzt alles gut? 

Weil man von dem Moment an, wo man begreift, dass etwas schiefläuft, schon begonnen hat, sich dem zu stellen. Ein Zahnradsystem ist in Bewegung gekommen, und nichts wird mehr wie vorher sein.

Heißt das, man muss nur erkennen, dass man in einer Krise steckt, und schon wird alles gut?

Ja! Natürlich geht das nicht so schnell und kann schon ein paar Jahre dauern. Mit Krise meine ich aber vor allem die Krisen, die wir gar nicht als solche betiteln. Also dieses Nicht-Wissen, dieses Sich-durch-den-Tag-schleppen, ständig im Nebel sein. Wir sind doch nicht dafür gemacht, uns durch den Tag zu schleppen! Wir sind nicht dafür gemacht, die Abende mit Netflix zu füllen oder uns ständig Sorgen zu machen! Das ist es, was ich als Krise bezeichne, oder jedenfalls als den Anfang.

Woran merkt man denn, dass es Zeit für einen Wandel ist oder einen Neuanfang – und bedeutet der z.B. im Job immer gleich die Kündigung, oder privat die Trennung?

Es geht nicht um den Job oder die Beziehung, sondern um das, was in einem selbst ist. Wenn man merkt, dass man selbst nicht mehr da ist, ist es Zeit, was zu ändern. Man schaltet auf Autopilot, funktioniert halt – weiß aber gar nicht mehr, was man eigentlich die ganze Woche gemacht hat. Man vergisst, dass man Wäsche gewaschen hat oder was man gegessen hat. Wenn man solche Dinge nicht mehr wahrnimmt, ist man irgendwie nicht mehr da. Aber wo ist man dann? Und das ist der Weg aus der Krise: Ankommen im Jetzt, nicht überlegen, was man heute noch alles machen muss, sondern mal innehalten.

Dann sind ja vermutlich sehr viele von uns in einer Krise.

Ja, in unserer Gesellschaft ist dieser Zustand schon total normal! Wenn Du an der Bushaltestelle stehst, sagt doch keiner: Hey, mir geht’s total gut! Im Gegenteil. Alle meckern übers Wetter, über Corona oder dass der Bus zu spät kommt. Man verbindet sich über das Negative, über das Jammern finden wir Freunde! Eigentlich ist eine „Krise“ einfach der riesige Wunsch in uns, endlich autonom und erwachsen zu werden. Wir wollen machtvoll sein, als Erwachsene kommunizieren und fungieren. Der Körper wird älter, aber innerlich bleibt ein Teil von uns immer das machtlose Kind, das wir mal waren. Wir sind groß geworden, erlauben uns aber selbst nicht, die eigene Größe anzunehmen. Also quetschen wir uns in die alten Kinderschuhe. Sie passen nicht mehr, es drückt buchstäblich der Schuh – das ist die Krise!

Sind Frauen da gefährdeter, gerade sie haben ja oft eine Mehrfachbelastung durch Job, Kinder, Haushalt – und mühen sich dann auch noch ab, super auszusehen, strampeln sich im Fitnessstudio ab. Da sind Krisen vorprogrammiert…

Frauen übernehmen Verantwortung nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Männer. Sie haben auf allen Ebenen eine Dauerbelastung, müssen überall funktionieren. Sie machen keine Pausen, aber sie haben auch viel mehr Energie! Frauen sind enorm stark! Sie kanalisieren die Energie nur falsch. Fünf Minuten am Tag mal innehalten und sich sagen: Ich habe heute schon echt viel gewuppt, das reicht ja meistens schon, um sich selbst wieder zu sehen. Das gibt neue Kraft.

Kann man lernen, mit Krisen umzugehen?

Man muss bereit sein, alte Vorstellungen abzuwerfen, bereit sein, zu sterben, um neu geboren zu werden. Das klingt pathetisch, aber es ist ja so. Man muss sich von der Idee verabschieden, die man vielleicht mal vom Leben hatte. Sich sagen: Dann werde ich mit diesem Mann oder diesem Job eben nicht glücklich. Vertrauen, dass es dann eben anders kommt. Die Erkenntnis „Dann ist das eben so“ lässt einen gleich sich machtvoller fühlen.

Jetzt sind wir ja momentan – durch die Pandemie – im Moment gewissermaßen alle in einer Krise. Kann man auch in einer solchen Situation sagen: Glückwunsch, jetzt wird alles gut? Siehst Du auch hier die viel zitierte Chance?

Es ist falsch, nach Chancen zu greifen, wenn man noch am Fallen ist. Sie werden vielleicht später irgendwann sichtbar, wir werden erst in ein paar Jahren wissen, wofür das alles gut war. Manche Krisen sind auch einfach unnötig und tun weh. Wichtig ist, dass man darauf vertraut, dass es irgendwann gut wird. Zumindest wird man im Nachhinein sehen: Das habe ich überstanden, und mir ist nichts passiert. Man sollte jetzt Abschied nehmen von seinem alten Leben. Denn das, wie es vor Corona war, wird es nicht mehr geben. Das muss man auch mal knallhart aussprechen: Es ist vorbei.

Das hast Du auch selbst schon mal erkannt – Du hattest ein eigenes, erfolgreiches Modelabel, das Du inzwischen aufgegeben hast. Dabei war es ziemlich erfolgreich. Was ist passiert?

Das war einfach vorbei. Ich hatte alles gesagt, was gesagt werden muss. Ich hatte eine Mission, wollte das Denken über behinderte Menschen verändern, und irgendwann war für mich klar: Es ist vorbei. Da war ich sehr konsequent und habe dann aufgehört. Projekte können wie eine Beziehung sein, man hat sich auseinandergelebt, alles gegeben. Dann macht es keinen Sinn, es fortzuführen, auch wenn es gut ankommt! Ich möchte mich immer bewegen, vorankommen, und das weitergeben, was mich jetzt beschäftigt. Und nicht, was die Gesellschaft möchte. Natürlich will ich auch erfolgreich sein – aber ich möchte nicht das Gefühl haben, zu stagnieren.

Inwieweit können uns auch andere raus aus der Krise helfen, wie wichtig ist eine Community?

Sehr wichtig! Vor allem geht es darum, Menschen kennenzulernen, die uns als Beispiel dienen. Dazu müssen wir uns aber immer neue Kreise erschließen. Nicht in alten Freundeskreisen steckenbleiben, wo jeder jeden kennt, sondern frischen Input bekommen und sehen, wie andere über die Welt denken. Viele bewundert man, und da darf man ruhig auch mal ganz direkt fragen: Wie machst Du das? Andere nicht als Konkurrenten sehen, sondern von ihnen lernen. Denn alles, was man an anderen bewundert, trägt man selbst auch in sich. Eine Community hilft ungemein, weil man dort Gleichgesinnte trifft, die man bewundert, zu denen man aufschaut, und wiederum auch solche, die zu einem selbst aufschauen und die man supporten kann. Kurz gesagt: Man selbst sollte immer in der Mitte bleiben.

Am Freitag, 07. Oktober 2022, können Besucher:innen der herCAREER EXPO in München Anastasia Umrik bei ihrem Authors-MeetUp „Du bist in einer Krise. Herzlichen Glückwunsch – jetzt wird alles gut“ live erleben.


Über Anastasia Umrik

Anastasia, Jahrgang 1987, erfüllt fast alle Merkmale eines zur Randgruppe gehörenden Menschen: Weiblich, Ausländerin, durch eine Muskelerkrankung auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie beschloss in den jungen Jahren auf Biegen und Brechen so zu werden wie Andere. So sehr war der Wunsch endlich anzukommen, weniger aufzufallen und lieber in der Masse unterzugehen, als ständig mit ihren eigenen unerfüllten Träumen und äußerlichen Merkmalen konfrontiert zu werden. So schloss sie die Tür zu ihrer Intuition und weiblichen Weisheit und war sich sehr sicher: So lebt es sich einfacher!

Doch das Leben, das für Andere gelebt wird, geht nicht lange gut. Nach dem Erfolg der beiden Initiativen „anderStark – Stärke braucht keine Muskeln“ und „inkluWAS – design, das denken verändert“, mit denen sie u.a. ihre Kreativität entdeckte, folgte ein tiefes Loch voller Müdigkeit und Lethargie. Auch der Körper ließ sich nicht mehr ablenken und rebellierte, verweigerte das Funktionieren – nichts ging mehr. Nach einem Fast-Tod war Anastasia gezwungen ihr bis dato geführtes Leben und auch ihre Arbeit umzudenken und neue Wege zu finden, die eigene Wahrheit trotz allem auszuleben. Sie hat die Prioritäten für sich in die richtige Reihenfolge gesetzt und hat seitdem beschlossen, ihre Erfahrungen und die individuelle Sicht auf die unterschiedlichen Systeme, Strukturen und Lebensweisen als Coach, Rednerin und Autorin weiterzugeben. Anastasia geht es in ihrer Arbeit nur selten um Perfektion, und auch nicht um politisch korrekte formulierte Sätze. Vielmehr geht es um Aufrichtigkeit, Authentizität und immer wieder das Innehalten und in sich hineinhorchen: „Wer bin ich und wer möchte ich am Ende meines Lebens gewesen sein?“

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